Süddeutsche Zeitung

Klinikum Schwabing:Wenn Kinder sich schwer verbrennen

In Schwabing werden Kinder mit Brandverletzungen aus der ganzen Welt behandelt. Einmal im Jahr proben die Ärzte den Ernstfall.

Von Alessa Becker

Leonardo wird auf einer Trage aus dem Krankenwagen in die Kinderklinik Schwabing transportiert. 13 Kindergartenkinder laufen ihm hinterher, manche kreischen, andere sind still geworden und machen große Augen. "Aua, ich habe meine Hand am Adventskranz verbrannt, die Haut geht ab", sagt der Fünfjährige und verzieht das Gesicht. Im nächsten Moment lacht er wieder. Es ist nur ein Spiel, zum Glück.

Für etwa 300 Kinder und Jugendliche ist es allerdings kein Spiel, sondern schmerzhafte Realität: So viele kleine Patienten werden jedes Jahr im Zentrum für schwerbrandverletzte Kinder im Klinikum Schwabing behandelt, jedes zweite davon stationär. Die Abteilung ist eines von nur 19 Schwerbrandverletztenzentren für Kinder in Deutschland und das größte in Bayern. "Deshalb kommen Patienten aus der ganzen Welt zu uns", sagt Carsten Krohn, Leitender Oberarzt der Schwerbrandverletzteneinheit.

Krohn zeigt am Beispiel von Leonardo, wie Brandverletzte in der Klinik behandelt werden. Jedes Jahr am "Tag des Brandverletzten Kindes" findet im Klinikum Schwabing ein Aktionstag statt, um Kindern spielerisch die Angst vor dem Krankenhaus zu nehmen. Mit Anästhesieschwester Sabine Lubner-Langener spielen sie den Ernstfall durch, zeichnen sich mit Wasserfarbe rote Wunden auf die Hand und basteln Brandblasen aus Gelatine. Dann werden die Verletzungen gesäubert und verbunden. Leonardo zeigt den anderen Kindern stolz seinen Verband, "gerade noch mal gut gegangen", erklärt er.

Deutschlandweit verbrennen und verbrühen sich jährlich etwa 6000 Kinder so schwer, dass sie stationär behandelt werden müssen. Rund 76 Prozent sind jünger als fünf Jahre. "Verbrennungen ersten Grades sind nur gerötet, ähnlich wie ein Sonnenbrand", erklärt Krohn. Grad Zwei ist schlimmer, die oberen Hautschichten sind betroffen und es können sich Brandblasen bilden. Die meisten Verbrennungen ereignen sich im häuslichen Umfeld. Um das Schlimmste zu verhindern, sollten Eltern die Umgebung absichern: Kabel von Wasserkochern nicht herunterhängen lassen, Teetassen unerreichbar in die Mitte des Tisches stellen, Herd und Ofen mit einem Gitter versperren.

In der Erkältungszeit ist auch Inhalieren gefährlich, sagt Oberarzt Krohn. Er erzählt von Patienten, die sich vor Schreck die Heißwasserschüssel über den Schoß gekippt, ihre Oberschenkel und Genitalien verbrüht haben. Zu Weihnachten und Silvester führen außerdem Adventskränze, Kerzen und Feuerwerk verstärkt zu Brandunfällen, wenn Feuerzeuge und Zündhölzer nicht weggeschlossen werden.

Mediziner müssen der Ruhepol sein

Leonardo und seine Kindergartenfreunde erleben nun hautnah die Konsequenzen eines solchen Unfalls. Sie ziehen grüne Hauben auf, es geht in den OP. "Das ist spannend", sagt Ioanna. Die Fünfjährige hat sich das Kinn einmal an einem Ofen verbrannt, "aber nicht so schlimm". Das, was jetzt kommt, hat sie noch nicht erlebt. Schwester Lubner-Langener steckt ihr eine Pulsklammer an den Finger, auf einem Bildschirm wird die Herzkurve sichtbar. "Das ist das Narkosegerät", erklärt sie. Eine Operation ist meist bei Verbrennungen dritten Grades nötig. Die sind so tief, dass sie von alleine nicht mehr heilen können. Um die Wunde zu verschließen, müssen Krohn und seine Kollegen an einer anderen Stelle des Körpers Haut entnehmen. "Das machen wir am Kopf, da fällt es nicht auf, es wachsen ja wieder Haare drüber", sagt er. Nur die oberste Hautschicht, 0,2 Millimeter, wird dafür "wie bei einer Schürfwunde" abgetragen.

"Für Eltern ist so eine Situation emotional extrem belastend", sagt Kai Breuling, Oberarzt in der Kinderchirurgie im Klinikum Schwabing. Er selbst hat Kinder im Vorschulalter und weiß, wie wichtig es ist, dass in Notfällen eine Bezugsperson dabei ist. "Natürlich darf kein Chaos entstehen, wenn Eltern mit ins Behandlungszimmer kommen", deshalb weist er ihnen von Anfang an einen festen Platz zu. Ein Arzt müsse dann "Ventil und Ruhepol sein".

Unmittelbar nach einem Brandunfall sollte man die Wunde am besten mit lauwarmem Wasser kühlen, empfiehlt Oberarzt Breuling. "Eiskaltes Wasser kann besonders bei Kleinkindern zu Unterkühlungen führen." Möglichst sauber und trocken sollte die Verletzung dann sein, wenn das Kind in die Klinik transportiert wird. Und welche Nummer muss man im Notfall wählen? Das weiß Leonardo bereits: "Eins, eins, zwei!", ruft er.

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SZ vom 11.12.2018/vewo
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