Süddeutsche Zeitung

Keine Randfigur:Der Gekreuzigte

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Die Michaelskirche erhält einen neuen Mittelpunkt - eine prachtvolle Christus-Figur aus der Renaissance. Dafür gibt es auch theologische Gründe: Sie steht nun im Zentrum der Jesus-Achse des Baus

Von Jakob Wetzel

Die Figur muss zurück ans Kreuz, und zwar ganz langsam und alles andere als grob: An diesem Donnerstagvormittag ist Millimeterarbeit gefragt in der Jesuitenkirche St. Michael. Die 419 Jahre alte Renaissancekirche an der Neuhauser Straße erhält einen neuen Mittelpunkt. An den Stufen unmittelbar vor dem Volksaltar soll ein sieben Meter hohes Kreuz mitsamt einem lebensgroßen Christus stehen. Und diese Figur wird keineswegs mit Nägeln und rohen Hammerschlägen am Kreuz befestigt; es gibt vielmehr eine filigrane Steckverbindung, der Jesus sitzt eigentlich mehr am Kreuz, als dass er hängt. Und Aussparung und Spund müssen exakt ineinanderpassen.

Die Figur des Gekreuzigten ist ein Meisterwerk des Renaissance-Bildhauers Giovanni da Bologna, genannt Giambologna, einer der bedeutendsten Bronzegießer seiner Zeit; sie stammt aus dem Jahr 1594. Am Fuß des Kreuzes kniet eine Bronzefigur der Maria Magdalena, die zu Christus aufschaut. Sie hat 1595 der Giambologna-Schüler Hans Reichle geschaffen. Die beiden Figuren und das Kreuz sollen fortan den Mittelpunkt der Michaelskirche bilden, zumindest für die kommenden drei Jahre. Man werde bis dahin sehen, ob sich die Neuerung bewährt, sagt Kirchenrektor und Jesuitenpater Karl Kern. Danach werde endgültig entschieden.

Die Skulpturen und das Kreuz sind ursprünglich für ein Grabmonument für Herzog Wilhelm V. von Bayern (1548-1626), genannt "den Frommen", vorgesehen gewesen - ein Denkmal, das dann aber nie realisiert worden ist. Deswegen sind seine einzelnen Bestandteile heute über die Münchner Altstadt verteilt. Zu ihnen zählen unter anderem die vier Löwen an der Residenz, die Madonnenfigur auf der Mariensäule und die vier knienden Fahnenträger aus Bronze, die Teil des Prunkdenkmals für Kaiser Ludwig den Bayern in der Frauenkirche geworden sind.

In St. Michael werde nun auf das Drängen zweier Kunsthistoriker hin umgebaut, sagt Karl Kern; die Kosten belaufen sich auf knapp 80 000 Euro, das Geld stammt von Sponsoren. Doch für den Umbau gibt es laut Kern nicht nur kunsthistorische, sondern auch theologische Gründe; um diese zu erläutern, sind für die Kirchgänger drei Abendvorträge in der Karwoche vorgesehen.

Karl Kern erklärt, der Gekreuzigte gehöre schon deshalb in die Mitte, weil es in St. Michael eine zentrale Jesus-Achse gebe: Unter der Empore, zwischen den Eingangstüren in der Südwand der Kirche, steht eine Figur des Jesuskindes; gegenüber, im Norden, ist oben im Hochaltar Christus als Weltenrichter zu sehen. Die Kreuzigungsszene gehöre daher ganz natürlich in die Mitte.

Ganz neu ist die Idee auch nicht: Das Ensemble aus Kreuz, Christus und Maria Magdalena stand bis 1819 schon einmal an den Stufen zum Chor. Dann wurde es entfernt und an wenig prominente Stelle an die Ostwand der Kirche gerückt, wo es seitdem stand. Das Kreuz fußte dort auf einem massiven Sockel. Er selbst sei deshalb erst skeptisch gewesen, ob man die Gruppe zurück ins Zentrum rücken solle, sagt Kern. Jetzt aber schwärmt er vom Umbau: Ohne den Sockel sei das eine wunderbare Idee. Bedenken, das Kreuz könne die Gläubigen stören, hat er nicht. Es sei nicht breiter als knapp 13 Zentimeter, sagt er. Das verstelle niemandem die Sicht.

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SZ vom 04.03.2016
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