Keine Lust auf Ruhestand:Das neue Leben der Simone Rethel

Nach dem Tod ihres Mannes Johannes Heesters zieht sich die Schauspielerin, Fotografin und Autorin nicht zurück, sondern startet noch einmal durch. An diesem Samstag wird sie 70.

Von Astrid Becker, Starnberg

Wenn sie zur Kreissäge greift, scheint sie die Welt um sich zu vergessen. Konzentriert hantiert sie an der brachialen Maschine, ganz so, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätte. Sie, die zierliche dunkelhaarige Frau mit der Stupsnase und den großen Kulleraugen, die ihr einst das Genre der Naiven eingebracht haben: Simone Rethel, die Schauspielerin, Malerin, Fotografin und Witwe des legendären Schauspielers und Sängers Jopie Heesters. Ihr ist es nach dem Tod ihres Mannes, 2011, gelungen, noch einmal richtig durchzustarten. An diesem Samstag wird sie 70 Jahre alt.

Ihren Geburtstag will sie nicht zu Hause im Starnberger Ortsteil Söcking verbringen, wo die Familie ihres verstorbenen Mannes ein Haus besitzt, das Simone Rethel bewohnt. "Ich wollte eigentlich gar nicht feiern, aber das ließen Kollegen und Freunde gar nicht zu." Deshalb hat sie nun doch eine Party organisiert, in Stuttgart nach der Vorstellung. Denn noch bis 30. Juni spielt sie dort, in der Komödie im Marquardt, die Anne in "Wir sind die Neuen", der Bühnenfassung des gleichnamigen Films unter der Regie von Ralf Westhoff.

Um Menschen geht es darin, die als Senioren noch mal ihre einstige Studenten-WG aufleben lassen. "Senioren". Was für ein Wort im Kontext mit Simone Rethel. Wer ihr begegnet, dürfte kaum auf die Idee kommen, sie als solche zu bezeichnen. Ein Energiebündel ist sie, eines, das Leben nie als Abfolge von Jahren beschreiben würde. Sondern als etwas, das immer wieder für Überraschungen sorgt, einen vor Herausforderung stellt, neugierig macht. Und etwas, das erst mit dem Tod endet: "Ruhestand", sagt die gebürtige Herrschingerin, sei auch so ein "entsetzliches" Wort: "Sich zur Ruhe setzen, das bedeutet Stillstand. Aktiv zu bleiben, nie aufzuhören, sich Ziele zu setzen, das hält fit, verzögert auch den körperlichen Abbau im Alter."

Alter ist daher für sie selbst kein Thema - und doch eines, mit dem sie gern in die Öffentlichkeit geht. Seit 2005 ist sie Botschafterin für die Initiative "Altern in Würde". Und dies hat keineswegs nur mit der Tatsache zu tun, dass sie fast zwei Jahrzehnte mit einem 46 Jahre älteren Mann verheiratet war. Man erinnere sich: Die Ehe wurde 1992 geschlossen, Johannes Heesters war damals 88 Jahre alt, Simone Rethel 42. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt erfolgreiche Schauspielerin.

Simone Rethel wird 70

Fast 20 Jahre war die Künstlerin, die in Starnberg lebt, mit Entertainer Johannes Heesters verheiratet.

(Foto: Ursula Düren/dpa)

Jopie Heesters war ihre große Liebe. Schon mit 13. Während ihre Mitschülerinnen für die Beatles schwärmten, gab es für Simone Rethel nur einen: Johannes Heesters. Sie sammelte Zeitungsartikel über ihn, besuchte Vorstellungen mit ihm, lugte heimlich durch die Kulissen des Gärtnerplatztheaters, um zu sehen "wo er seine heiligen Füße hinsetzt". Wenn sie das erzählt, huscht ein zärtliches Lächeln über ihr Gesicht. Eines Tages bittet sie ihn sogar um ein Autogramm, ein wahrscheinlich wegweisender Moment, zumindest einer, der sie bestärkt, Schauspielerin zu werden. Eine Lehrerin hatte ihr ohnehin nach einer Schulaufführung dazu geraten. Sie hatte ihr Talent entdeckt - ebenso wie der Regisseur Axel von Ambesser, der sie im Alter von 15 Jahren für die Hauptrolle in seinem Film "Die fromme Helene" engagierte.

Das Filmplakat hat sie sich aufgehoben, es hängt in der Werkstatt des Söckinger Heesters-Hauses. Dort, wo sie schon mal Regale oder Schränke für sich oder Freunde fertigt oder auch Bilderrahmen für ihre Gemälde. Wenn sie hier arbeitet, läuft immer Musik. Automatisch geht sie an, wenn sie die Stromverbindung aktiviert. "Ich brauche das." Ausgleich ist das sicherlich, aber gewissermaßen auch innerer Antrieb.

"Möndi", wie ihr Spitzname lautet, habe schon immer viel handwerkliches Geschick bewiesen, erzählen ihre beiden besten Freundinnen Impala Lechner, selbst Künstlerin, und die ehemalige Grundschullehrerin Lucy Engler. "Mir hat sie gerade erst die Toilettenspülung repariert." Die drei Frauen kennen sich von Kindesbeinen an, also seit gut 60 Jahren, sie sind ein eingeschworenes Team: "Wir halten noch immer wie Pech und Schwefel zusammen", sagt Lechner.

Wie tief die Verbindung der drei Frauen ist, zeigt auch ein Bild, das in der Werkstatt hängt, eines mit Sonnenblumen und drei Fotos der drei Frauen aus jüngeren Jahren. Aber was sind schon Jahre! Für Simone Rethel waren sie nie ein Thema, auch nicht der große Altersunterschied zu ihrem verstorbenen Mann. "Wir haben immer so gelebt, als hätten wir noch mindestens 30 Jahre Zeit." Ihr ganzes Leben hatte sie nach der Hochzeit auf das seine abgestimmt. Als Schauspielerin war sie immer weniger zu erleben. Sein Augenlicht hatte sich schon damals massiv verschlechtert, in den Folgejahren sollte er sogar komplett erblinden. Simone Rethel ging zu dieser Zeit in einer andere Rolle auf, sie studierte Texte mit ihm ein, sie fuhr ihn zu seinen Auftritten, sie soufflierte, falls das nötig wurde.

Denn Heesters war ein Künstler, für den die Bühne überlebensnotwendig war: "Nicht aufgeben", das war sein Credo - und das schrieb sie denn auch auf die Danksagungen nach seinem Tod. Aber Heesters war auch ein Mann, der sich noch mit 106 Jahren regelmäßig auf seinen Heimtrainer setzte und ein Fitnessstudio besuchte. Auch das, so meint sie, habe ihn, den Kettenraucher, so jung gehalten: "Er war ein junger Mann für mich. Er hatte immer Flausen im Kopf."

Simone Rethel-Heesters, handwerklich begabte Schauspielerin

Sich einfach mal aufs Sofa legen und entspannen, hat Seltenheitswert im Leben Simone Rethels.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Und er war ein Mensch, der sicherlich auch ihren Blick für das Alter schärfte. Für die Schönheit des Alters: "Glatte, junge Gesichter erzählen noch nichts vom Leben", sagt sie. 1998 bringt sie ein Buch mit dem Titel "Schönheit des Alters" heraus, das ihre Fotos von ihrem Mann zeigt. 2006 erscheint "Johannes Heesters: Ein Mensch und ein Jahrhundert". "Sag nie, Du bist zu alt" lautet der Titel eines anderen Buches zu diesem Thema, das Simone Rethel 2010 verfasst. Derzeit arbeitet sie schon wieder an einem Buch zum Alter: "Ich interviewe darin 20 prominente Menschen wie Gregor Gysi dazu, wie man bis ins hohe Alter glücklich leben kann und wie wichtig es ist, nie stehen zu bleiben." Sie macht bei diesem Projekt alles selbst, die Interviews, die Fotos - "die ich mittlerweile aber nicht mehr selbst in meiner Dunkelkammer entwickele, sondern digital schieße und am Computer bearbeite." Und schon ist da auch wieder ihr Faible für die Technik, das sich hier Bahn bricht.

Wie ihr Talent für die Malerei und die Kunst ist ihr das technische Verständnis gewissermaßen in die Wiege gelegt worden. Sie ist die Tochter des Malers und Designers Alfred Rethel und Enkelin des Flugzeugkonstrukteurs Walter Rethel. Schreiben, Malen, Fotografieren - das hätte ihr nach dem Tod ihres Mannes vor acht Jahren nicht gereicht, auch wenn sie dies alles zu ihren Berufen zählt: "Aber ich wollte auch wieder schauspielern."

Ein alter Freund, der 2016 gestorbene Produzent Wolfgang Rademann, hilft ihr dabei. Schon recht bald bietet er ihr eine Rolle im "Traumschiff" an. Später spielt sie in den "Garmisch-Cops", bei den "Rosenheim-Cops" und in diversen anderen Serien. Leicht ist es dennoch nicht, wieder Fuß in der Schauspielerei zu fassen: Viele der alten Kollegen, die ihr weiterhelfen könnten, sind gestorben. Rethel nimmt daher immer wieder an Castings teil. Und spielt Theater, wie derzeit in Stuttgart.

Aufsehenerregend dürfte das Projekt sein, das sie zusammen mit Christine Schild und Inge Blau unter der Regie von Ute Willing im vergangenen Jahr in ihrer zweiten Heimat Berlin, im Ku'damm Karree, verwirklicht: "Die drei Zofen" von Jean Genet. Alles machen die Künstlerinnen für die allerletzte Inszenierung in der zum Abriss verdammten Komödie selbst: von den Kostümen über die Werbung bis hin zum Kartenverkauf. "Gewinn haben wir damit nicht gemacht", erzählt Rethel: "Gelohnt hat es sich aber trotzdem. Wir haben alle viel gelernt und viel Spaß damit gehabt."

Und das wünscht sie sich auch zu ihrem Geburtstag, dass es immer weitergeht, sie noch viele Ideen verwirklichen kann. Zum Beispiel, auch mal wieder für eine Komödie im Fernsehen oder im Film besetzt zu werden: "Das ist ja mein ursprüngliches Genre", sagt sie. Dann ist die Gesprächszeit um. Simone Rethel muss los, ihr Terminplan ist dicht. Sie muss wieder nach Stuttgart. Dort warten die Zuschauer auf sie - und ihre Freunde, die mit ihr feiern wollen. Einsam ist sie also nicht, auch wenn es keinen neuen Mann in ihrem Leben gibt: "Das muss nicht sein. Viel wichtiger ist, nicht aufzugeben. Nie."

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