Süddeutsche Zeitung

Theater:Brandstifter im Haus Deutschland

"Kein Schlussstrich!": Mit einer Inszenierung von drei Stücken von Elfriede Jelinek in Nürnberg endet ein bundesweites Theaterprojekt, das die Verbrechen des NSU auf deutschen Bühnen sichtbar machte.

Von Florian Welle, Nürnberg

Dreimal Jelinek, dreimal raucht, dampft, brennt es: Zuerst aus dem Schornstein eines rotgeziegelten Daches, dann aus einer weißsterilen Saunalandschaft, schließlich aus einer schwarzverkohlten Wohnung. Jan Philipp Gloger hat die Stücke "Wolken.Heim.", "Rechnitz (Der Würgeengel)" und "Das schweigende Mädchen" zu einer Trilogie zusammengespannt, in der jeder Part auf den anderen verweist und am Ende das Haus Deutschland entsteht.

Das 2008 uraufgeführte "Rechnitz" bildet dabei das Scharnier der mehrstündigen Inszenierung, die vor Kurzem am Staatstheater Nürnberg Premiere hatte. In ihr heißt es: "Wir weisen heute Abend für Sie nach, dass die Vergangenheit die Gegenwart ist, bis die Gegenwart auch wieder Vergangenheit ist, und dann, genau, wieder dasselbe wie die Zukunft, die dann wiederum Gegenwart sein wird." Sie legt überzeugend die Kontinuität rassistischer Menschenverachtung frei. Von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert über das NS-Regime bis zu der perfiden Anschlagsserie der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU).

Der Abend ist eine Hommage an die Literaturnobelpreisträgerin, die im Oktober 75 Jahre alt geworden ist. Zugleich fügt sich die Inszenierung in den Spielzeitschwerpunkt, der sich rechtem Denken und Handeln in Vergangenheit und Gegenwart widmet und zu dem noch das Dokumentartheaterstück über die Nürnberger Prozesse "Saal 600" von Regine Dura/Hans-Werner Kroesinger und die Kammeroper "Weiße Rose" des kürzlich verstorbenen Komponisten Udo Zimmermann gehören.

Zehn Tote, zwei verheerende Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle

Zuallererst aber war die Jelinek-Trilogie der Hauptbeitrag des Staatstheaters zu dem am Sonntag zu Ende gegangenen bundesweiten Theaterprojekt "Kein Schlussstrich!". Auf Initiative des Trägervereins "Licht ins Dunkel" setzten sich zweieinhalb Wochen lang 15 Städte mit dem NSU auseinander, der sich vor zehn Jahren selbst enttarnt hatte. Auf das Konto von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gehen zehn Tote, zwei verheerende Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle. Allein in Nürnberg verloren drei türkischstämmige Unternehmer, Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar, ihr Leben. So viele, wie in keiner anderen Stadt.

Der NSU gründete sich in Jena. Vom dortigen Kulturdezernenten Jonas Zipf ging auch die Initiative für das Projekt aus, das Stadttheater mit der freien Szene und städtischen Kulturzentren überall dort miteinander verband, wo das Terror-Trio mordete, bis heute andauerndes Leid hinterließ oder sich nach den Taten versteckt hielt: in Jena, Zwickau, Rostock, Dortmund, Heilbronn, Köln, Hamburg, München und Nürnberg, um nur einige zu nennen.

"Kein Schlussstrich!" versteht sich mit seinen "künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Interventionen zum NSU-Komplex" ausdrücklich als "Gegen-Netzwerk" gegen das Vergessen. Ein Großteil der Aufführungen rückte die Opfer und ihre Angehörigen in den Blick. In Nürnberg reichten die Veranstaltungen von Theater und Musik über Workshops und Podiumsgespräche bis zu einem Ableger der von Ayşe Güleç kuratierten Ausstellung "Offener Prozess" im Foyer des Schauspielhauses.

Im Netz kann man die Ausstellung "Offener Prozess" weiterhin sehen

Hervorzuheben ist das siebenteilige Oratorium "Manifest(o)" des deutsch-türkisch-armenischen Komponisten Marc Sinan, das auch in den anderen Städten zur Aufführung kam. Hier war es in der Meistersingerhalle als kathartische Wirkung entfaltendes audiovisuelles Gesamtkunstwerk mit den Jenaer Philharmonikern zu erleben. Oder Teile daraus wie "Der Chor der Vergebung" als Einzelperformance an kleineren Spielorten.

Leider hat man die Ausstellung "Offener Prozess", die sich vor der Theatervorstellung oder in der Pause besichtigen ließ, wenig beachtet. Das lag nicht an ihren Inhalten "Institutioneller und Struktureller Rassismus" und "NSU-Morde", vielmehr an dem Umstand, dass man sich diese multimedial am Bildschirm erarbeiten musste. Nach den ersten eineinhalb sehr dicht inszenierten Jelinek-Stunden war man jedoch froh, in der Pause einmal durchatmen zu können. Hängengeblieben sind von ihr zunächst nur die Einleitungssätze auf der begleitenden Stellwand: "Was bleibt ist die Trauer ... Es bleiben die Kämpfe um eine lückenlose Aufklärung und um Anerkennung, die nicht abgeschlossen ist." Mehr zur Ausstellung gibt es weiterhin im Internet unter offener-prozess.de.

Gemeinsam mit der Ausstatterin Marie Roth hat Jan Philipp Gloger für seine Inszenierung ein Bühnenbild ersonnen, in dem am Ende alle Teile der Trilogie wie Puzzlestücke ineinandergreifen. Die Idee fußt auf dem ersten Satz von "Wolken.Heim." Da frohlockt die Loreley "Wir sind bei uns zu Haus". In diesem Abschnitt dient nur ein Dach als Spielfläche. Hier, auf dem Wolkenkuckucksheim, tummelt sich die Nixe mit einem das Schwert reckenden Wotan und dem völkisch raunenden Heidegger in Trachtenjoppe. Sie halten Ausschau nach der deutschen Identität, und finden diese in der Ausgrenzung. "Wir sind hier. Dort sind die anderen", skandieren sie, untermalt von Brahms "Deutschem Requiem".

"Rechnitz" spielt dann erst einmal vor dem Roten Vorhang, später sogar vor dem Eisernen, ehe man schließlich auf eine Saunalandschaft in der Schweiz blickt. Das reale Schloss der Gräfin Batthyány im Burgenland, auf dem Nazi-Größen in der Nacht zum 25. März 1945 soffen, um dann über 180 jüdische Zwangsarbeiter zu erschießen, bleibt in der Inszenierung unsichtbar. Damals zündeten es die Täter nach dem Massaker an und flohen in die Schweiz, nach Kuba. Das Massengrab wurde nie gefunden, die Tat verdrängt.

Das starke Nürnberger Ensemble erzählt als Dienstboten verkleidet in nonchalantem Plauderton von den Geschehnissen. Man serviert "Schlachtplatte" zur Vorbereitung auf "die Schlacht" - Jelineks kalauernde Sprachkunst, bei der einem oft das Lachen im Hals stecken bleibt, läuft zur Hochform auf. Erst knallen Sektkorken, dann Schüsse. Diese werden von dem Schauspieler Aydin Aydin mit einem Spaten erzeugt. 180 Mal schlägt er das Gerät, mit dem die Toten verscharrt wurden, auf den Bühnenboden. 180 Mal lärmendes Getacker. Ein allzu plakativer Einfall? Vielleicht, auf alle Fälle ein wirkungsvoller.

"Das schweigende Mädchen", der letzte und längste Teil, zeigt dann die von Beate Zschäpe in Brand gesteckte Wohnung des NSU-Trios in Zwickau. In dem Stück, das bereits 2014, ein Jahr nach Beginn des NSU-Prozesses entstand, fragt Jelinek nach den Leerstellen im Prozessgeschehen: dem Versagen der Behörden, der umstrittenen Rolle des Verfassungsschutzes, dem allumfassenden Schweigen. Jan Philipp Gloger hat es als Farce inszeniert, Musical trifft Komödienstadl. Bis sich der Vorhang senkt. Darauf erscheinen die Namen der NSU-Opfer sowie fünfzig weiterer Menschen, die in den letzten Jahren bei rechtsradikalen Anschlägen ums Leben kamen. Dann hebt er sich wieder und jetzt erscheint das fertig zusammengesetzte Haus Deutschland, in dem rechtsextremistische Taten eine Geschichte haben und nicht von Einzeltätern ausgehen.

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