Kein Fahrverbot:500 Euro für ein Menschenleben

Ein Mensch wird überfahren, der Täter kommt wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Das Urteil: 500 Euro Geldauflage. Kein Führerscheinentzug, kein Fahrverbot. Einzige Bedingung: Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs. Diese Entscheidung hat gestern das Jugendgericht am Münchner Amtsgericht gefällt.

Von Alexander Krug

Angehörige der Getöteten sind entsetzt. "Das ist lächerlich", kommentierte die Schwester im Gespräch mit der SZ das Urteil.

Es ist der 12. November 2002. Daniel T., damals 18 Jahre alt und erst seit einem Monat in Besitz des Führerscheins, fährt mit seinem Golf auf der Daglfinger Straße. Mit im Auto vier Freunde, die Musik ist voll aufgedreht. Kurz hinter dem S-Bahn-Übergang sieht er plötzlich Jutta B. auf der Straße.

Die 38-jährige promovierte Biologin erschrickt, bleibt stehen, geht unschlüssig einige Schritte vor und zurück. Daniel T. macht eine Vollbremsung, versucht gleichzeitig nach links auszuweichen. Doch in diese Richtung geht nun auch Jutta B. Sie wird vom rechten Kotflügel des Autos erfasst, meterhoch in die Luft geschleudert. Beim Aufprall erleidet sie ein Schädel-Hirn-Trauma. Zwei Tage liegt sie im Koma, dann stirbt sie.

Ein Gutachter stellt später fest, dass Daniel T. mindestens 71 Kilometer pro Stunde gefahren war, 21 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Der Angeklagte räumt das freimütig ein. "Ich bin zu schnell gefahren", sagt er mit leiser Stimme. "Mir tut das alles so leid."

Daniel T. hatte damals keinen Tropfen Alkohol getrunken, auch Drogen waren nicht im Spiel. Der heute 19-Jährige ist Schreiner-Lehrling, kommt aus so genannten geordneten Verhältnissen. Der Unfall hat ihn sehr mitgenommen, zeitweise war er in psychologischer Behandlung.

Das Gericht geht von einer Verkettung "unglücklicher Umstände" aus. Fest steht, dass der Unfall hätte vermieden werden können, wenn Daniel T. sich an das Tempolimit gehalten hätte. Fest steht aber auch, dass nichts passiert wäre, wenn Jutta B. nicht einige Schritte zurück gemacht hätte. Staatsanwalt, Verteidiger und Richterin sind sich darin einig, es bei einer Geldauflage in Höhe von 500 Euro zu belassen. Das Geld soll an eine gemeinnützige Einrichtung fließen. Auf die Anordnung eines Fahrverbotes wird verzichtet. Das Urteil wird sofort rechtskräftig.

Die Schwester von Jutta B. ist empört über den Urteilsspruch. Dass auf die Verhängung eines Fahrverbots verzichtet wurde, kann sie nicht akzeptieren. Noch weniger, warum man als Auflage nicht wenigstens Sozialarbeit angeordnet hat. "Ich bin mehr als enttäuscht", sagt sie verbittert.

Anwalt Wolfgang Dingfelder, der Daniel T. verteidigt hat, ist dagegen von der Richtigkeit der Entscheidung überzeugt. Ein Fahrverbot sei nur bei "besonders rücksichtslosem Verhalten" anzuordnen, typischerweise für einen "Verkehrsrowdy"(StGB, Paragraph 44).

In diesem Fall aber habe das einzige Fehlverhalten des Angeklagten in einer Geschwindigkeitsübertretung von 21 km/h bestanden. "So etwas kommt doch täglich hunderte Male in der Stadt vor." Grundlage einer Entscheidung für die Verhängung eines Fahrverbots dürfe nur das Maß der "fahrerischen Pflichtverletzung" sein. Die schrecklichen Folgen des Unfalls spielten dabei keine Rolle.

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