Süddeutsche Zeitung

Kegeln:Unmögliche Manöver

Als Sport ist es eher eine Randerscheinung, doch in geselliger Runde wird nach wie vor gern gekegelt. Zum Beispiel auf Oberbibergs historischer Kegelbahn. Weil in der alten Scheune längst nicht alles eben ist, hat sie ihre eigenen Launen - und ist zugleich ein Treffpunkt für das ganze Dorf

Von Lea Frehse

Wenn eine Erdbeere, ein Hippie und ein Rodler zusammen treffen... - klingt das vielleicht nach dem Anfang eines Witzes. Aber wenn die Erdbeere, der Hippie oder der Rodler dann Schwung holen, um ihre Kugel auf die Bahn zu setzen, dann haben sie für einen Moment ganz ernste Gesichter. Bis die Kugel ins Abseits rollt oder nur ein einsamer Kegel fällt und alle wieder herzlich lachen. "Um Leistung geht es hier ohnehin nicht", sagt Michael Kandler mit rabenschwarzer Perücke und Hippie-Stirnband, "aber am Fasching ist es noch lustiger!"

Das Kegeln in Kostüm und Glühweinlaune zum Faschingsdienstag hat inzwischen wieder Tradition auf der historischen Kegelbahn in Oberbiberg. Von außen könnte man den flachen, grün gestrichenen Holzbau gleich gegenüber von Kirche, Wirtshaus und Maibaum für eine lang gezogene Scheune halten. Im Innern aber warten nicht Stroh oder Gerät, sondern Bierbänke und: die Bahn. Hölzerne Dielen unter hölzernem Gebälk, etwa 15 Meter lang, am Ende neun hölzerne Kegel, bauchig gedrechselt, kniehoch.

Durch die Bretterwand pfeift Winterwind, aus einem kleinen Lautsprecher Volksmusik. Scheune und Bahn sind über 100 Jahre alt, die Gemeinschaft und der Spaß darum aber sind warm und jünger. Bald 20 Jahre ist es her, dass Michael und Leonore Kandler, zu deren Hof die Scheune ebenso wie das Gasthaus gehören, die Bahn wieder herrichteten. Seitdem trifft sich hier im Sommerhalbjahr jeden Freitag und winters zu besonderen Anlässen eine lockere Kegelrunde von bis zu 20 Mitspielern. "Da kommen Leute aus der ganzen Gegend zusammen", sagt Michael Kandler, "ganz ungezwungen, einfach der Unterhaltung wegen." Dass das Kegeln hier besonders viel Spaß macht, liege auch an den Launen der Bahn, meint Elvira Oberstein, 53, heute im knallroten Wams einer Erdbeere: "So eine Holzbahn ist natürlich nicht hundert Prozent eben. Da haut eine Kugel schon mal Kegel um, bei denen man gedacht hatte, es wäre unmöglich. Das ist doch unheimlich lustig!"

Und dann hat die Bahn noch ein ganz eigenes Geheimnis, verrät Wirt Kandler: "Unsere ist vielleicht die einzige Bahn, bei der die Kegel so weit auseinanderstehen, dass eine Kugel auch mal einfach hindurchdurchrollen kann!"

Einen Neuner werfen sie in Oberbiberg deshalb höchstens zwei-, dreimal im Jahr. Und wenn sie in zusammengelosten Mannschaften gegeneinander antreten, dann bevorzugen die Freizeit-Kegler einfache Spiele wie "Fishbowl", ähnlich dem bekannten "Königsspiel" - beides wird paarweise gespielt. "Komplizierte Wettbewerbe sind für uns nicht so geeignet - weil wir doch so selten treffen", meint Erdbeere Oberstein. Umso mehr haben sie beim Kandler mitzufiebern und zu lachen.

Als Verein organisiert sind die Kegler nicht, einen Jahresbericht schreibt Elvira Oberstein trotzdem. Da wird dann festgehalten, wer wie oft freitags als Kegelkönig die goldglänzende Pappkrone aufsetzen durfte, die heute im Gebälk über der Bahn ruht. Und für besondere Verdienste gibt es Auszeichnungen: Leonore Kandler küren sie regelmäßig zur "Mutter der Nation", schließlich haben sie dank Kandlers Brotzeiten immer zünftig zu essen.

Gut bewahrt wird auch die Keglerkasse: Je nach Spiel steht der Einsatz mal bei 50 Cent, mal bei einem Euro. In der Summe reicht das, um einmal im Jahr einen gemeinsamen Ausflug zu finanzieren. Dabei ging es auch schon zu anderen alten Kegelbahnen und nach Maxlrain.

Tatsächlich sind Kegelspiele schon seit vielen Jahrhunderten überliefert. Zeitweise wurden sie von strengen Herrschern als Glücksspiel sogar verboten. Wie in alten Zeiten werden auch beim Kandler die Figuren nicht elektronisch wieder aufgestellt, sondern von Hand, traditionell eine Gaudi für "Kegelkinder", die die Kugeln über eine Rampe zurückrollen. Vor 50 Jahren verdiente sich auch Michael Kandler sein Taschengeld als "Kegelbub". Dann kamen die elektronischen Bahnen in Mode und Oberbibergs Holzkegel gerieten in Vergessenheit. Dass die Kandlers sie wieder instand setzten, dafür sind ihnen die Kegler dankbar. "Das ist eine Gaudi - und echte Dorfgemeinschaft", sagt der Kegler im Rodlerkostüm.

Ein besonderer Ort ist auch das Gasthaus Kandler gleich gegenüber. Die dunklen Holzbänke darin stellte noch Michael Kandlers Großvater auf, der die Wirtschaft 1905 übernahm. Der Ofen, in dem der berühmte Schweinebraten zubereitet wird, ist über 200 Jahre alt. Serviert wird der allerdings nur an Sonn- und Feiertagen mittags, unter der Woche haben die Kandlers mit ihrer Landwirtschaft zu tun. Die urige Wirtschaft diente schon als Filmkulisse für "Pumuckl" und Marcus Rosenmüllers "Wer früher stirbt, ist länger tot".

So richtig ins Rollen kommt die Kegelsaison in Oberbiberg erst im April, wenn die Finger nicht mehr frieren. Bis dahin wärmen Glühwein, Kinderpunsch und Musik aus dem Lautsprecher: "Schön ist es auf der Welt zu sein...".

Gasthaus Kandler, Marienplatz 1, 82041 Oberbiberg. Die Kegelbahn kann man auch mieten. Kosten: 10 Euro pro Stunde. Kontakt: 089/613 16 02 oder Gasthaus-Kandler@t-online.de.

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Quelle:
SZ vom 03.03.2017
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