Süddeutsche Zeitung

Katholisches Erzbistum München:Internet-Überwachung befremdet Priester

"Ich war bei Facebook. Das war nicht erwünscht": Katholische Pfarrer des Erzbistums München müssen damit rechnen, dass ihre Dienstcomputer vom Ordinariat überprüft werden. Arbeitsrechtlich ist das in Ordnung - doch offenbar herrscht bei den Betroffenen ein Klima der Angst.

Von Rudolf Neumaier

Pfarrer Peter Grün (Name geändert) sagt, er sei sich vorgekommen wie in einem schlechten Film. Er musste im Ordinariat antreten, in der Abteilung, die sich laut Erzbistums-Homepage als "Kompetenzzentrum der Personalarbeit" versteht. Der Mann, der Pfarrer Grün empfing, war ein geistlicher Mitbruder, doch von höherem Rang. Auf dessen Schreibtisch standen Bulle und Bär: Symbole der Börse. "Ich dachte mir, wo bin ich denn hier gelandet?", erzählt Grün. Der Personalmanager des Ordinariats habe nicht über Aktienkurse reden wollen. Die Sache war heikler. Grün hatte seinen Dienstcomputer privat genutzt. Zu privat offenbar.

Das Erzbistum München hat im Jahr 2011 die Dienst-PCs von Mitarbeitern gescreent, also alle von den Geräten aus aufgerufenen Internetseiten überprüft. Grün ist einer von 18 Priestern, die dann "mit dem Verdacht einer missbräuchlichen Nutzung des Dienstcomputers konfrontiert" wurden. Das Screening selbst ist laut den Dienstverträgen zulässig. Wie das Ordinariat jedoch danach vorging, ist nach Grüns Schilderung äußerst fragwürdig. Verstieß es gegen das eigene Arbeitsvertragsrecht? Die erzbischöfliche Presse teilt kategorisch mit: "Die Behauptung, dass gegen Regeln verstoßen wurde, ist falsch."

Nein, er besuchte keine kriminellen Homepages und er beteuert, dass er auch keine Pornobilder angeschaut habe. Die Seiten, die Peter Grün aufrief, weckten aber bei den Vorgesetzten im Ordinariat den Verdacht, dass der Pfarrer zwischenmenschliche Kontakte angebahnt und gepflegt haben könnte. Und zwar solche, die ungebührlich sind für katholische Priester. Grün sagt, er sei sich vorgekommen wie ein kleiner Bub, der von einem Lehrer für etwas gemaßregelt werde, was er nicht begangen habe. Er spricht von Demütigung, Erniedrigung. "Ich war geschockt."

Die Internet-Überwachung wurde vor fast genau einem Jahr im Priesterrat ausführlich besprochen - und kritisiert. Der Priesterrat ist ein Beratungsgremium des Erzbischofs, das bis zu vier Mal im Jahr zusammentritt. Dem Protokoll der Juni-Sitzung von 2012 zufolge sprach Kardinal Reinhard Marx selbst das Thema an. "Atmosphärische Störungen/Angst im Klerus und Internetzugang/Facebook" ist zu Marx' Wortbeitrag vermerkt.

Domkapitular Klaus Peter Franzl berief sich laut Protokoll auf die Nutzungsregeln im Arbeitsvertragsrecht der Bayerischen (Erz-)Diözesen (ABD), wonach Seiten mit Pornografie, Glücksspiel, Partnerschaft und Dating, Chat, Extremismus und Online-Auktionen tabu seien, "da sie eine nicht dienstliche Nutzung nahelegten". Im Protokoll steht: "GV Dr. Beer zeigt sich sehr betroffen über die Nutzung der Dienst-PCs durch manche Priester: Dating und Pornografie. Hier müsse das Erzbistum als Dienstgeber aktiv werden." Beer zufolge sollten sogar Suchtbeauftragte eingeschaltet werden.

Bis zu vier Mal pro Jahr

Das Arbeitsvertragsrecht der Kirche sieht vor, dass das Ordinariat Stichproben zur Internetnutzung nehmen darf. Die erzbischöfliche Pressestelle räumt ein, dass das Ordinariat immer noch ausgiebig von diesem Recht Gebrauch macht - bis zu vier Mal pro Jahr. Die Kirchenleitung darf die Protokolle bei begründetem Verdacht sogar auswerten - unter der Voraussetzung, "dass der Mitarbeiter vorher gehört und der lokale PC überprüft wurde und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird". Pfarrer Grün sagt, weder sei er vor der Auswertung der Protokolle gehört worden, noch hält er das Vorgehen für verhältnismäßig.

Dem Protokoll des Priesterrates zufolge ist er keineswegs der einzige, der sich schlecht behandelt fühlte. Von Kritik an den Gesprächen in der Bistumszentrale ist die Rede; die Briefe des Ordinariates seien "in einem harschen Ton verfasst" gewesen. Ein Kaplan wird zitiert, der den "scharfen Ton des Briefes, der Angst auslöse", beklagte. Auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung bestätigt dieser Kaplan den Inhalt des Protokolles, will aber weitere Fragen nicht beantworten. Nur so viel: "Ich war bei Facebook. Das war nicht erwünscht." Und Generalvikar Peter Beer räumt heute ein, dass der Brief "unpassend" formuliert gewesen sei, "das darf nicht passieren, da muss sich was ändern".

Im Protokoll des Priesterrates steht, dass dieser Kaplan mehrere Wochen nach dem Termin im Ordinariat ein Gesprächsprotokoll mit der Bitte um Bestätigung zugesandt bekam. Offenbar unterzeichnete er es nicht. "Es sei kein Einzelfall, dass jemand Angst habe", wird der Kaplan aus dem Priesterrat zitiert. Anschließend verweist er auf eine Äußerung eines Priesterseelsorgers, der nach eigenem Bekunden täglich Gespräche mit Priestern führe, "die Angst hätten". Darauf angesprochen, sagt dieser Priesterseelsorger, die Atmosphäre habe sich inzwischen deutlich verbessert.

Das würde Pfarrer Peter Grün nicht unterschreiben: "Mein Vertrauen in die kirchliche Führung ist zerstört." Zumal das Ordinariat Vorgaben des ABD ignoriert habe. Dort ist festgelegt, der Mitarbeiter sei "unverzüglich über den Verdacht zu unterrichten, der sich aus der Kontrolle der Einhaltung der Nutzungsbeschränkung ergeben hat". Und dem Mitarbeiter sei "unverzüglich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben". Die "unverzügliche Unterrichtung" dauerte mehrere Monate: Gescreent wurde im Oktober 2011, der Brief an Grün ging vier Monate später raus.

Auf die Frage, wie das Erzbistum zum Vorwurf stehe, es habe mit seinem Vorgehen unter Priestern Angst verbreitet, antwortet die Pressestelle: "Die Stichproben sind ein klar geregeltes, transparentes Verfahren und sollen lediglich einer missbräuchlichen Nutzung des dienstlichen Internetzugangs entgegenwirken. Solche Stichproben erfolgen in ähnlicher Form auch in vielen anderen Einrichtungen und Unternehmen im staatlichen wie im wirtschaftlichen Bereich."

Manche Firmen verzichten ganz auf solche Kontrolle der Internetnutzung ihrer Mitarbeiter. Andere sind dazu übergegangen, bestimmte Seiten auf den eigenen Servern zu sperren - soziale Netzwerke etwa, Auktionsplattformen und Ähnliches. Das Ordinariat hingegen teilt mit, eine Sperrung sei "technisch wenig praktikabel".

Folgenreich war der Fund von pornografischen Bildern auf einem Dienstcomputer für einen Kirchenmusiker im Januar 2009: Der Mann musste gehen. Der Diözesan-Pressesprecher ließ sich mit den Worten zitieren: "Pornografie und die musikalische Gestaltung von Messen, das geht nicht zusammen." Diesmal gab es keine Entlassungen. Generalvikar Beer gibt zu: Die Frage, ob die Demission des Musikers verhältnismäßig war, sei berechtigt.

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SZ vom 06.07.2013
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