Maxvorstadt:"Wenn ich den ganzen Tag nur herumsitze, kann ich mir gleich die Kugel geben"

Wohnheim des Katholischen Männerfürsorgevereins, Gabelsbergerstraße 72

Rund um das Gesundheitshaus an der Dachauer Straße (im Hintergrund) haben die Männer aus dem Wohnheim jahrelang gerecht und gekehrt.

(Foto: Florian Peljak)

Jahrelang haben Wohnungslose, die im Haus des Katholischen Männerfürsorgevereins leben, im Viertel Müll weggeräumt. Doch jetzt untersagt ihnen die Stadt diese Arbeit.

Von Stefan Mühleisen

An diesem kalten Dezembermorgen ist kein Sperrmüll zu sehen, kein ausrangierter Fernseher, keine zerfledderte Couch, auch herumliegende Pizzadeckel, Glasscherben und benutzte Spritzen sucht man vergebens rund um diesen wuchtigen Backsteinkomplex. Jemand hat penibel aufgeräumt rund um das leer stehende Gesundheitshaus an der Dachauer Straße. Anton Müller und Christian Schneider (Namen geändert) könnten zufrieden sein, hatten sie doch in den vergangenen Jahren jede Menge Sperrmüll, Pizzadeckel, Glasscherben und gebrauchte Spritzen eingesammelt. Sind sie aber nicht. Müller deutet auf zwei rote Plastiktüten. Hundekotbeutel, achtlos weggeworfen. "Die Nachbarn sind es gewohnt, dass es hier sauber ist", sagt er.

Kurz vor Heiligabend ist der 61-Jährige noch missmutiger als sonst in der Weihnachtszeit, ebenso sein 60-jähriger Mitbewohner Schneider. Beide sind Wohnungslose und wollen nicht mit richtigem Namen genannt werden. Beide leben im Haus des Katholischen Männerfürsorgevereins (KMFV) an der Gabelsbergerstraße 72, gleich beim Gesundheitshaus. Beide erzählen, dass ihnen die Adventszeit alle Jahre wieder zusetzt, dass die Hemmschwelle sinkt, Erinnerungen an glücklichere Tage in Alkohol zu ertränken.

Es ist nicht so, dass die Männer jetzt sauer auf die Mitarbeiter des Baureferats sind, denn die waren es, die hier kürzlich aufgeräumt haben. Sie sind sauer, dass sie eben dies nicht mehr machen dürfen: für Sauberkeit sorgen rund um das Gesundheitshaus. Und zwar nicht nur ihretwegen. "Uns ist ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn sehr wichtig", sagt Schneider.

Das KMFV-Haus an der Gabelsbergerstraße mit 41 Plätzen und dem Schwesterhaus auf Nummer 93 (21 Plätze) ist eine Einrichtung der Münchner Wohnungslosenhilfe, ein System mit Notquartieren, Flexiheimen, Clearinghäusern und Unterkünften; Anton Müller und Christian Schneider sind nur zwei von 8695 in München als akut wohnungslos Registrierten, darunter circa 550 obdachlosen Menschen. Alle sind sie mittellos, häufig in heillosen sozialen Schwierigkeiten, oft deshalb psychisch krank, häufig alkoholabhängig. "Den meisten ist es schier unmöglich, eine Wohnung zu bekommen", sagt Einrichtungsleiterin Carmen Jörg. Die meisten bleiben bis zu ihrem Lebensende. Es ist ein Leben im Bewusstsein, am Rande der Gesellschaft zu stehen, auch und gerade weil die Betroffenen kaum Chancen auf Erwerbsarbeit haben.

Wohnheim des Katholischen Männerfürsorgevereins, Gabelsbergerstraße 72

Carmen Jörg leitet das Männerwohnheim.

(Foto: Florian Peljak)

Schon unter normalen Umständen ist Nichtstun kaum erträglich - umso schlimmer, wenn man mit einem missglückten Leben zurechtkommen muss. "Wenn ich den ganzen Tag nur herumsitze, kann ich mir gleich die Kugel geben", formuliert es Christian Schneider. Im KMFV-Haus gibt es deshalb Beschäftigungen, die sich die Bewohner aussuchen dürfen: In der Küche und bei der täglichen Essenausgabe helfen, Wäsche machen - oder eben Müll wegräumen auf dem Gelände des Gesundheitshauses; acht Jahre lang gab es dazu eine Vereinbarung mit dem Kommunalreferat. Doch die hat die Behörde jetzt aufgekündigt. Das Gesundheitshaus soll 2025 abgerissen werden. Bis dahin wird ein Zwischennutzer einziehen: Das Team des Urban-Art-Museums Muca will auf 9000 Quadratmetern eine Kunstbegegnungsstätte einrichten. Dazu müsse das Gelände frei von Lasten und Verträgen sein, teilt die Behörde mit. "Daher wurde der ursprüngliche Reinigungsvertrag mit dem Katholischen Männerfürsorgeverein bereits gekündigt." Derweil rückt das Baureferat einmal wöchentlich an und entsorgt den Müll, der sich auf diesem Areal offenbar schnell und reichlich ansammelt.

Übersehen wurde, dass den Bewohnern damit Wichtiges genommen wird. "Ich bin froh um meine Arbeit. Sonst sitze ich um sechs Uhr früh mit der Flasche Schnaps im Park", gibt Müller zu, die Stimme ein dunkler Bass. Er trägt grauen Stoppelbart, Tattoos auf den Handrücken, Kapuzenpulli. Er habe Koch gelernt, sei "in der Forensik" gewesen, einer Klinik für psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter. Die Unterkunft ist für ihn ein Glücksfall, weil Alkohol nicht verboten ist, Betreuung und Beschäftigung aber helfen, die Sucht einigermaßen in den Griff zu bekommen. Doch damit nicht genug.

Wohnheim des Katholischen Männerfürsorgevereins, Gabelsbergerstraße 72

Das Gesundheitshaus soll 2025 abgerissen werden.

(Foto: Florian Peljak)

"Wenn die Leute hier vorbeigehen, und der Müll liegt rum, dann denken die, wir waren das, weil wir vom Männerwohnheim sind", sagt Schneider. Seine Augen blicken erschöpft. Er stammt ursprünglich aus Cottbus in Brandenburg, mehrere Gefängnisaufenthalte, mehrere in die Brüche gegangene Beziehungen, mehrere Kinder, die er nicht mehr sieht. Seit vier Jahren lebt er im Haus des Männerfürsorgevereins, auch für ihn ist es ein Glücksfall. Vier Jahre lang hat er nahezu täglich den Abfall weggeräumt. Er spricht vom Stolz, den Nachbarn zu zeigen, dass die Hausgemeinschaft eben keinen Müll hinterlässt. Mehr noch: dass ihn die Nachbarn wie einen normalen Menschen ansprechen, "und nicht wie einen Penner".

Es zeigt sich: Der tägliche Aufräumdienst war eine Brücke zwischen den Mittellosen und den Mittelschichtsbürgern im Umfeld. Es kam zu zaghaften, dann herzlichen Begegnungen. Carmen Jörg, die Einrichtungsleiterin, sagt: "Unsere Männer sind sehr gut integriert im Viertel." Es gebe ein Projekt mit einem Kindergarten, wo ihre "Männer" ebenfalls den Außenbereich sauber hielten.

Die Wertschätzung der Nachbarn ist inzwischen gut dokumentiert, in Briefen an den Maxvorstädter Bezirksausschuss etwa. Die SPD fasste das zuletzt in einem einstimmig angenommenen Dringlichkeitsantrag zusammen. Die Bewohner, "sie kümmerten sich rührend um ihre unmittelbare Nachbarschaft", heißt es in dem Papier, welches an das Kommunalreferat appelliert, den KMFV-Bewohnern das Aufräumen wieder zu erlauben.

Womöglich dürfen sie bald wieder, eine Zeit lang zumindest. Noch ist der Kontrakt mit Muca nicht ausgehandelt; wann das Projekt startet, steht nicht fest, wohl irgendwann 2020, heißt es. Bis dahin könnte laut Behörde ein zeitlich befristeter Reinigungsvertrag geschlossen werden. Nach der Übergabe muss das Muca-Team über eine Vereinbarung entscheiden.

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