Katholische Kirche:Erzbistum verzichtet in Missbrauchsfall auf Verjährung

Katholische Kirche: Missbrauchsfall in St. Nikolaus in Garching an der Alz: Pfarrer H. wurde immer wieder versetzt, obwohl sein Fall intern bekannt war.

Missbrauchsfall in St. Nikolaus in Garching an der Alz: Pfarrer H. wurde immer wieder versetzt, obwohl sein Fall intern bekannt war.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Tragen Kirchenverantwortliche Mitschuld? Das soll nun ein weltliches Gericht klären. Die Erzdiözese stellt sich jedenfalls der Klage eines Betroffenen vor dem Landgericht Traunstein - und spricht erstmals sogar von "Schmerzensgeld".

Von Annette Zoch

Das Erzbistum München und Freising beruft sich bei der Klage eines Missbrauchsbetroffenen vor dem Landgericht Traunstein nicht auf Verjährung. Das teilte die Erzdiözese an diesem Mittwoch mit. "Die Erzdiözese ist bereit, zur Anerkennung des Leids des Klägers ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten und für darüber hinausgehende Schadenersatzbegehren eine angemessene Lösung zu finden", heißt es weiter. "Wir bedauern das dem Kläger und anderen Betroffenen widerfahrene Leid zutiefst."

Bei dem Prozess handelt es sich um eine sogenannte Feststellungsklage. Das heißt, der 38-jährige Kläger will zunächst gerichtlich eine Mitschuld kirchlicher Verantwortungsträger daran festgestellt wissen, dass er Ende der Neunzigerjahre in Garching an der Alz von dem damaligen Priester Peter H. missbraucht wurde. Seine Klage richtet sich gegen das Erzbistum München und Freising sowie gegen den früheren Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter. Das Verfahren gegen den verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. ist ausgesetzt, weil zunächst seine Erben ermittelt werden müssen.

Es ist eine Frage, die Bistümer in ganz Deutschland derzeit umtreibt: Soll man sich vor Gericht auf die Verjährung berufen und so womöglich hohe Schmerzensgeldforderungen abwehren? Dann aber wären alle Beteuerungen, Verantwortung übernehmen zu wollen, als Lippenbekenntnisse entlarvt - die Kirche stünde restlos unglaubwürdig da. Deshalb hat jüngst auch das Erzbistum Köln, das derzeit vor dem Kölner Landgericht verklagt wird, auf die Einrede der Verjährung verzichtet.

Juristisch berechtigt jedenfalls sind zivile Schmerzensgeldklagen gegen Bistümer, das hat Stephan Singbartl, der Vorsitzende Richter der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln, bereits bekräftigt: Es stehe außer Frage, dass das Amtshaftungsrecht anwendbar sei. Sprich: Wenn ein Priester einem Dritten Schaden zufügt, haftet zivilrechtlich dessen Dienstherr, also die Diözese. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller erwartet nun eine Klagewelle gegen Bistümer in ganz Deutschland - und nicht alle könnten solch hohe Schmerzensgeldsummen finanziell stemmen. In Köln fordert ein Kläger vom Erzbistum 800 000 Euro.

Opfer-Vertreter erhoffen sich sechsstellige Beträge als Schadenersatz

Andreas Schulz, der Rechtsanwalt des Klägers in Traunstein, nennt die Klageerwiderung des Erzbistums "bei dieser Ausgangslage die einzig vernünftige Handlungsalternative, um Schadensbegrenzung zu betreiben". "Jetzt hat die katholische Kirche die Chance, durch eine Schmerzensgeldzahlung in der richtigen Höhe dem Kläger und allen anderen Opfern des sexuellen Missbrauchs Gerechtigkeit und echte Anerkennung zukommen zu lassen", sagt der Anwalt. "Und wir sprechen hier mindestens von sechsstelligen Beträgen."

Die Verjährungsfrage sei indes "eine Fata Morgana", so Schulz: Mit Blick auf die institutionelle Verantwortung der Erzbischöfe und der Erzdiözese beginne die Verjährungsfrist erst mit Kenntnis des Münchner Missbrauchsgutachtens zu laufen. "Offensichtlich haben die Beklagten das verkannt oder wollten das nicht wahrnehmen."

Als "großes Signal" wertete Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats, die Ankündigung: "Schmerzensgeld und Schadenersatz, diesen Terminus hat man ja bislang nie benutzt", sagte Kick. Bislang zahlt die Kirche lediglich sogenannte "freiwillige Anerkennungsleistungen".

Auch Rosi Mittermeier von der Garchinger Initiative Sauerteig ist "froh und erleichtert" über die Entscheidung des Erzbistums. "Wir möchten das als Signal verstehen, dass sich das Ordinariat für eine großherzige und umfassende Entschädigung entscheidet." Zur grundlegenden Aufarbeitung sei aber auch nötig, strukturelle Ursachen zu benennen: "Unsere Frage ist: Woher kam die Aufforderung zur Vertuschung?"

Priester H. war 1980 trotz bekannter Vorfälle im Erzbistum aufgenommen worden

Der pädophile, mittlerweile aus dem Priesterstand entlassene Priester H. ist einer der bekanntesten Missbrauchsfälle in der deutschen katholischen Kirche, die SZ hatte seinen Fall 2010 enthüllt. H. war 1980 - bereits einschlägig aufgefallen - aus seinem Heimatbistum Essen im Erzbistum München und Freising aufgenommen worden. Damals war Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., Erzbischof. Im Münchner Missbrauchsgutachten widmet sich ein 450 Seiten starker Sonderband den Taten des H..

Zentral war im Gutachten die Frage, wer von den Bistumsverantwortlichen damals von H.'s Vorgeschichte Kenntnis hatte. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hatte ausgesagt, dass er in der entscheidenden Ordinariatssitzung, in der es um H.'s Einsatz ging, nicht anwesend gewesen sei. Das musste er anschließend korrigieren. Bis zu seinem Tod hielt er aber an der Darstellung fest, dass er von der Vorgeschichte H.'s damals nichts wusste.

Der damalige Generalvikar Gerhard Gruber hatte noch 2010 die alleinige Verantwortung für den Einsatz des Priesters übernommen. Im Münchner Gutachten revidierte er aber seine Aussage: Er könne sich nicht vorstellen, dass "der damalige Personalreferent ,oder sogar ich selbst' Kardinal Ratzinger über die Hintergründe der Versetzung von Priester X. nicht informiert hätten". Dass er, Gruber, die alleinige Verantwortung übernommen habe, sei "zum Schutz des Papstes" erfolgt.

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