Süddeutsche Zeitung

Missbrauch in der katholischen Kirche:"Man kann nicht erwarten, dass ich jetzt alle Fragen beantworte"

Was hat die Münchner Erzdiözese gelernt aus dem Missbrauchsskandal? Bei einer Podiumsdiskussion verspricht der Erzbischof mehr Transparenz - einer entscheidenden Frage jedoch weicht er aus.

Von Bernd Kastner

Ganz am Ende kommt eine Frage aus dem Publikum, und die trifft ins Schwarze. Es geht um Missbrauch durch Priester und eine "glaubhafte Aufarbeitung". Will sich die Kirche vor Zivilgerichten auf Verjährung berufen? Die Frage richtet sich an Reinhard Marx, der vorne sitzt auf dem Podium in der Katholischen Akademie. Er hätte die Chance zu einem klaren Bekenntnis.

Um die Lehren aus dem Missbrauchsskandal geht es an diesem Abend, die Freisinger Domberg-Akademie hat eingeladen, ein Jahr ist vergangen seit der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens. Marx dankt pauschal den Betroffenen, dass sie darüber reden, was Kleriker ihnen angetan haben, und er äußert seinen Schmerz über die Verbrechen: "Die Kirche, die du dir wünschst und die du auch sehen möchtest, die gibt es gar nicht", sagt er. "Es gibt diese dunkle Seite."

Einen Scheinwerfer auf diese dunkle Seite richtet Maria-Theresia Kölbl vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Dass es im Dunkeln um Macht gehe, um gegenseitigen Schutz in der Kirche, in der Verantwortliche aus der Schusslinie genommen wurden, um sie zu schonen. Kölbl kontrastiert das mit ihrem eigenen Erleben: "Ich als junge Frau kriege viele Grenzen aufgezeigt in der katholischen Kirche." Dabei gehe es nicht um Fragen der Kompetenz: "Weil ich eine Frau bin, darf ich etwas nicht." Zugleich lese sie im Gutachten, dass Menschen, die viel Leid verursacht haben, keine Grenzen gesetzt worden seien. Menschen? Männern.

Kai Christian Moritz, Schauspieler von Beruf und engagiert im Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz, sieht Staat und Politik in der Pflicht. Er plädiert für rechtliche Regelungen, um Betroffenen Akteneinsicht zu garantieren. "Wenn man das nicht will, dann sagt das auch eine ganze Menge aus." Der Subtext: Kirche und Staat, Hand in Hand. Transparenz? Allenfalls sehr dosiert.

Marx selbst zeigt sich offen für staatliche Intervention in der Missbrauchsaufarbeitung, das sei "ganz in unserem Sinne". Aber dann müsse der Staat auch andere Institutionen in den Blick nehmen, es gebe Missbrauch ja nicht allein in der katholischen Kirche. Und ja, er selbst könne sich vorstellen, künftig innerkirchlich offener zu agieren: Dass er jedes Jahr einen "Rechenschaftsbericht" ablege vor dem Diözesanrat oder einer Synodalversammlung. Was hat ihn bislang daran gehindert? Niemand auf dem Podium fragt ihn das.

Wie hält es der Erzbischof mit der juristischen Verjährung?

Als Renate Spannig, eine kritische Basis-Katholikin, ans Saalmikrofon geht, werden Grenzen der Reformbereitschaft deutlich: Wie kümmert sich das Bistum um erwachsene Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben? Marx antwortet, man überlege gerade, wie man auch Frauen ins Hilfenetzwerk einbinden könne. Dann will Spannig vom Kardinal wissen, wie die Kirche Nächstenliebe leben wolle, wenn sie Grund- und Menschenrechte nicht beachte. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", diesen simplen Satz im Grundgesetz meint sie. Marx bremst: Zu sagen, die Kirche achte die Menschenrechte nicht - "da müssen Sie aufpassen!" So lasse sich keine Diskussion führen mit denen, die anderer Meinung seien: "Dann haben Sie die ganze Truppe draußen." Ihm sei, das betont er mehrmals, "Einmütigkeit im Voranschreiten" sehr wichtig.

Dann schreitet der Kardinal als Obermoderator voran. Als Moderatorin Claudia Pfrang zum Ende kommen will, interveniert Marx: Alle drannehmen, die am Saalmikro stehen! Als die Moderatorin dann noch Fragen aus dem Chat einbringen will, versucht Marx zu bremsen. Jetzt setzt sich Pfrang durch. Also die Frage aus dem Netz: Wie hält es der Erzbischof mit der juristischen Verjährung? Würde die Kirche verzichten, sich darauf zu berufen, könnten staatliche Zivilgerichte das Geschehene untersuchen.

Schon ein paar Stunden zuvor, bei seiner Pressekonferenz, wollte er sich nicht zur Verjährung äußern. Er sei kein Jurist und habe auch keine Sachkenntnis. Und jetzt, da der Titel des Abends über ihm eingeblendet ist, "Von Aufarbeitung und Reformbemühungen", ist seine Antwort auf die letzten Fragen: "Ich glaube, man kann nicht erwarten, dass ich jetzt alle Fragen beantworte." Wer konkrete Fragen an ihn habe, möge ihm bitte schreiben. Und die konkrete Frage nach der Verjährung? Marx übergeht sie.

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