Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Die Rückkehr des Sekretärs

Poings Pfarrer Christoph Klingan wird ins Erzbischöfliche Ordinariat nach München gerufen. Als Generalvikar hat er dort künftig das mächtigste Amt hinter Kardinal Marx und soll sich auch um theologische Fragen kümmern. Über einen Mann zwischen Abschied und Neubeginn.

Von Korbinian Eisenberger

Die Umzugskisten stehen noch in seiner Pfarramtswohnung. Erst vor Kurzem hat er sie ausgeräumt. Demnächst hätte er sie zusammengelegt und verstaut, nun da die Sanierung des Pfarramts vor dem Abschluss steht. Erst im Januar ist er schließlich dort eingezogen, nicht ahnend, dass Ende August der nächste Wechsel anstehen würde. Von Poing nach München, von der Pfarrei direkt ins Erzbistum. Der Gemeindepfarrer wird zum Generalvikar und muss deswegen zum zweiten Mal in acht Monaten Kisten packen. Christoph Klingan sagt: "Ich bin auf die Reaktion der Umzugsfirma gespannt, wenn ich schon wieder anrufe."

So manche Nachricht überrascht, nicht anders ging es dem katholischen Pfarrer Christoph Klingan selbst, als Kardinal Reinhard Marx ihn im Poinger Pfarramt besuchte und ihm sein Anliegen vortrug. Generalvikar? "Damit hatte ich nicht gerechnet", sagt Klingan, 41 Jahre alt und seit Mai 2016 Pfarrer der Poinger Kirchengemeinde St. Michael. Er folgt nun Marx' Ruf - nach einer Einarbeitungszeit tritt er im September die Nachfolge von Peter Beer in München an. Dann wird Klingan zum zweitmächtigsten Mann des größten Bistums in Bayern.

Ein Nachmittag in Poing, im Pfarramt riecht es nach frischer Farbe, auf dem Boden liegen Filzschoner aus, noch ist die Sanierung im Gange. Im April saß Klingan hier mit Reinhard Marx beisammen, und der eine unterbreitete dem anderen sein Angebot. Nach einigen Tagen Bedenkzeit sagte Klingan zu. Er wird Marx' Mann in München, ein Mann, der künftig zu den großen Themen Stellung nehmen muss. Zölibat, Verjüngung, Homo-Ehe, der Missbrauchsskandal. Es gibt vermutlich einfachere Themen.

Zum Beispiel in Poing, unweit von Baldham, wo Klingan aufgewachsen ist. Noch ist er hier Pfarrer, und in seinem Besprechungszimmer brennt eine Kerze. Er spricht über das, was kommt, und erzählt von dem, was war - im Landkreis Ebersberg, 20 Kilometer östlich von München, so mancher würde sagen, in der Provinz. Klingan trägt ein Jackett über dem liturgischen Untergewand. Er sagt: "Ich fühle mich hier sehr wohl, um nicht zu sagen: sauwohl." Er, der seine Worte mit Bedacht wählt, oft einordnend einen Nachsatz hinzufügt, sagt "sauwohl" und lässt es genau so stehen. Aus gutem Grund.

Sonntagsmesse in Poing, eine besonderer Gottesdienst, für 25 Kinder steht die Erstkommunion an. Christoph Klingan nennt jeden beim Namen und fängt bei einem Bub in Lederhose an, der sich sogleich aus der Bank bewegt. Da macht der Pfarrer eine Handbewegung und lächelt ihm zu. Der Bub hat verstanden, fasst sich an die Nase, tritt wieder in die Bank zurück und richtet sich sein Trachtenhemd. Einfach nur aufstehen, zum Altar geht es erst ein bisschen später. Gerade noch mal gut gegangen.

Aus dem Diözesenrat in München ist zu vernehmen, dass Klingan dort seit längerem "fachlich und menschlich große Wertschätzung" genieße. Fachlich wird es künftig spannender werden, doch die unmittelbare Nähe zur Basis wird nicht mehr bestehen. In Poing hatte er es drei Jahre mit einer sogenannte Wachstumsgemeinde zu tun. Ein Ort, in dem junge Familien im Großraum München noch Platz finden. Das Ordinariat baut dort gerade einen neuen katholischen Kindergarten, der nächstes Jahr fertig sein soll. 70 Ministranten zählt die katholische Gemeinde derzeit, im Sommer steht das Ministranten-Wochenende im Bayerischen Wald an. Für Klingan zum letzten Mal.

Vor dem Neuanfang kommt der Abschied - ein Abschied, den er nicht zu diesem Zeitpunkt geplant hatte. Sonst wäre er nicht Monate vorher noch umgezogen, dann stünden keine Kartons im ersten Stock. Klingan hat etwas bewegt in Poing, und wenn es nur die Menschen waren, wenn sie zu ihm in die St.-Michaels-Kirche kamen. Doch auf dem Stuhl im Pfarramt sitzt hier kein Mann, dem man einen Karrieresprung ansieht, im Gegenteil. Klingan spricht oft in gebeugter Haltung und in zurückhaltendem Ton. "Wir haben bestimmt nicht die beste und florierendste Jugendarbeit im Erzbistum", sagt er. Es braucht aber keine Superlative, um an einem Ort und seinen Bewohnern zu hängen. Klingan sagt: "Das weinende Auge ist schon sehr groß."

Es ist zwar eher ein Zufall, dass Klingan in diesem Moment auf genau jenem Stuhl sitzt, auf dem Marx bei seinem Poing-Besuch Platz nahm, quasi auf dem Chefsessel. Gleichwohl merkt man dem Mann im Jackett an, dass da eine Herausforderung auf ihn wartet, die er kaum ablehnen konnte und wollte. Nicht zuletzt auch deswegen, weil Klingan und Marx sich bestens kennen, als sein persönlicher Sekretär wohnte Klingan bis zum Wechsel nach Poing fünf Jahre mit dem Erzbischof unter einem Dach. Nun tritt er im Ordinariat die Nachfolge für den 54 Jahre alten Beer an, der seinen Rückzug seit längerem angekündigt hatte.

Und doch ist Klingan auf der Hut, bei diesem Treffen, bei dem auch ein Pressesprecher des Erzbistums mit im Raum sitzt. Für Klingan ist diese Position in doppelter Hinsicht neu. Der Generalvikar wird erstmals nicht mehr für die Verwaltung zuständig sein - was für katholische Verhältnisse einer geradezu revolutionären Reform gleichkommt. Bis hinunter auf Gemeindeebene werden hierfür Spezialisten eingestellt - männlich, weiblich oder divers, heißt es in der Ausschreibung des Ordinariats. Klingan ist Teil des Auswahlgremiums und kennt die Stellenbeschreibung gut: Erzbischöfliche Finanzkommission, diözesaner Steuerausschuss, Verwaltung der Bistumsgelder - alles Aufgaben, die der Erzbischof bisher an seinen Generalvikar delegierte. Klingan sagt: "Ich glaube, dass es dafür deutlich besser ausgebildete Leute gibt als einen Pfarrer."

Laut Ordinariat soll sich der Generalvikar künftig um thematische, inhaltliche und theologische Fragen kümmern. Also auch um drängende aktuelle Themen. Die Kirche machte sich zuletzt vor allem einen Namen wegen des Missbrauchsskandals, der Übergriffe gegen Kinder. Klingan erklärt, er sehe darin "die zentrale Herausforderung dieser Zeit", nicht erst seit gestern. Schon jetzt prüfen Pfarrer bundesweit die Führungszeugnisse vor einer Einstellung, es gibt verpflichtende Schulungen zur Prävention. Klingan sagt aber auch: "Man wird nie ganz ausschließen können, dass etwas passiert."

Der scheidende Generalvikar Beer hat im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal den Zölibat in Frage gestellt, das war im Herbst 2018, nach acht Jahren im Amt. Klingan hält sich drei Monate vor seinem Antritt in München mit großen Thesen zurück. Nur so viel: "Wir müssen schauen, dass wir das Evangelium mit den Worten dieser Zeit verkünden", sagt er. Also hippere Gottesdienste als bisher? Klingan beugt sich wieder nach vorne, in seiner vorsichtig-beschwichtigenden Art. Zwar spiele bei Jugendgottesdiensten in Poing eine Band, keineswegs aber wolle er die klassische Kirchenmusik aufgeben. Der Gottesdienst sei "eine Form, an der man nicht alles anpassen und ändern kann". Aber: "Wenn wir diverse Komponenten in die Verkündigung miteinbeziehen, wird es dem Mensch gerechter."

In der Poinger Pfarrkirche wird aus dem designierten Vikar Klingan wieder Pfarrer Klingan, der den Kleinen bei der Hostienausgabe Kreuzerl auf die Stirn malt. Die Kommunionsfeier geht mit einem Kirchen-Kinderlied zu Ende, zum Mitsingen, von der Orgel begleitet.

Zurück bleibt der Altar und dahinter eine Miniaturkirche aus kleinen Kartons, mit Fotos und Namen verziert. Pfarrer "Christoph" hängt zwischen den Kisten der Kommunionskinder, Ronja, David oder Timothy. Alles gleichgroße Steine für die 84 Erstkommunionskinder heuer. "Jeder Stein ist gleich groß und gleich wichtig", sagt Christoph Klingan erklärend. Weil es in der Kirche und ihren Gemeinden viele feste Bausteine brauche. Gerade dann, wenn der Mann mit den Pappkartons weiterzieht.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2019
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