Lesung:Im Hinterhof ist Leben

Lesung: Die Nachbarn im Blick: der zweite Roman "Iglhaut" der Münchner Autorin Katharina Adler.

Die Nachbarn im Blick: der zweite Roman "Iglhaut" der Münchner Autorin Katharina Adler.

(Foto: Christoph Adler)

Katharina Adler liest im Literaturhaus München aus ihrem neuen Roman "Iglhaut", in dem sie vom Alltag einer Hausgemeinschaft erzählt.

Von Antje Weber, München

Eine Schriftstellerin sucht einen Stoff. Nicht ganz einfach beim zweiten Roman: "Das zweite Buch sollte besser werden als das erste. Entwicklung zeigen, gewonnene Reife. Überraschen und doch einen Ton in sich tragen, der ihr ureigenster war." Jetzt, nachdem die erste Veröffentlichung geschafft ist, steckt die Schriftstellerin ihr Ziel höher: "Jetzt war es das Werk. Ein Werk, das bereitlag zur Analyse."

Mit diesen Sätzen ihres Romans "Iglhaut" (Rowohlt), einer namenlosen "Schriftstellerin" untergeschoben, beschreibt Katharina Adler sicherlich auch ihre eigene Situation. Die 42-jährige Münchner Autorin hatte vor vier Jahren für ihren Debütroman "Ida" über die eigene Urgroßmutter viel Lob und Auszeichnungen wie den Bayerischen Kunstförderpreis bekommen. Wie daran anknüpfen? Oder beim zweiten Buch eine ganz neue Richtung einschlagen?

Adler macht diese Suche zu einem Bestandteil ihres Romans. "Warum nicht eine Geschichte über ein Virus, der die Menschheit befiel?", überlegt ihre Schriftstellerin. "Der Gedanke langweilte sie aber schon in dem Moment, als sie ihn nur halb gedacht hatte." Oder über die eigene Hausgemeinschaft schreiben, wie eine Freundin rät? Die Schriftstellerin im Roman, ihrer Stadt eigentlich müde, lehnt die Idee erst brüsk ab und erwärmt sich dann doch dafür: "Läge darin nicht ein tieferer Sinn? Dass sie sich erst mit ihrer Umgebung beschäftigen musste, um sich für immer von ihr zu befreien?"

Katharina Adler jedenfalls hat sich befreit - und einer, womöglich ihrer eigenen Münchner Hausgemeinschaft ein Denkmal gesetzt. Denn die "Schriftstellerin" ist als Figur eher ein Side-Kick, verweist spielerisch auf eine Metaebene, auf der auch die oft prekären Arbeitsbedingungen von Autoren verhandelt werden. Doch präsenter ist auf den fast 300 Seiten des Romans die titelgebende Figur: die Iglhaut.

Vom Ratschen und Tratschen

Diese Iglhaut ist eine zwar allein wohnende, aber doch in vielfältiger Gesellschaft lebende Frau Mitte vierzig und so stachelig, wie ihr etwas prätentiöser Kunstname andeuten soll. Ihre Schreiner-Werkstatt in der Garage im Hof ist der Mittelpunkt des großstädtischen Mietshauses. Hier kommen die unterschiedlichsten Bewohner vorbei, von der Supermarktkassiererin bis zum Joint rauchenden Pfleger, ratschen und tratschen oder teilen auch mal den Kreuzworträtsel-Gewinn einer All-Inclusive-Reise nach Ägypten. Und sie helfen einander - und sei es nur mit Tipps, wo am billigsten den bohrenden Zahnproblemen abzuhelfen wäre.

"Iglhaut" erzählt detailfreudig vom Alltag, vom Zusammenhalt unter Menschen, die auf den ersten Blick nicht mehr zu verbinden scheint als dieselbe Adresse. Es ist ein liebevolles Buch, dem man in der Nahsicht auf die Nachbarn schon auch die in engen Kreisen verbrachten vergangenen zwei Jahre anzumerken meint. Wie heißt es etwa einmal: Gerade die alltäglichen Aufgaben gäben Struktur. "Eine sauber gewischte Oberfläche, gespülte Gläser im Abtropfgestell: Erfolgserlebnisse. Momente der Klarheit in unsicheren Zeiten." Es passiert also nichts Spektakuläres in diesem Roman. Doch sympathisch sperrige Figuren wie die Schreinerin Iglhaut setzen sich in der Erinnerung fest.

"Alle, alle mussten sie zusammenbleiben, hier im Hof, die ganze Nacht und bis zum nächsten Morgen, nein, bis in alle Ewigkeit", denkt diese Iglhaut einmal, als gegen Ende des Romans tatsächlich im Hof gefeiert wird. "Umarmen wollte sie. Die Schönheit ihrer Existenzen loben." Katharina Adler hat das mit diesem Buch eingelöst. Die "Schriftstellerin" ihres Romans dagegen verwirft ihr Projekt - und zieht nach Berlin.

Katharina Adler: Iglhaut. Lesung am Montag, 2. Mai, 20 Uhr, Literaturhaus, Saal- und Streamtickets unter literaturhaus-muenchen.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: