Kassen statt Klicks:Onlineshops erobern die Innenstädte

Max Wittrock von Internethändler "myMüsli" in München, 2012

Max Wittrock hat gemeinsam mit seinen beiden "MyMuesli"-Mitgründern 2012 einen Laden am Münchner Viktualienmarkt eröffnet.

(Foto: Robert Haas)

Erst mussten Geschäfte wegen der Konkurrenz aus dem Internet schließen, jetzt eröffnen Marken wie Amazon, Home24 oder MyMuesli selbst Läden in der realen Welt. Denn die haben durchaus Vorteile.

Von Pia Ratzesberger

Max Wittrock linst nach rechts. Beobachtet, wer da nun durch die Türe kommt. Er könnte in diesem Laden auch ein Gast sein, er lehnt am Fenster, vor ihm ein Cappuccino, draußen der Viktualienmarkt. Beste Lage. "Da denkst du dir irgendetwas aus und ein paar Jahre später steht das in einem Geschäft." Das sei schon irre. Max Wittrock, 35 Jahre, hat sich Müsli ausgedacht. Damals war von einem Laden noch keine Rede, nur von individuellen Müslis, im Internet zu bestellen. Fast zehn Jahre später gehören ihm und seinen zwei Mitgründern von MyMuesli nun mehr als 50 Läden, die so aussehen wie der in München. Erst das Internet, dann die Städte. So machen das jetzt immer mehr Firmen.

Es gab in den vergangenen Jahren viele Schreckensszenarien, von Shopping Malls ohne Shopping. Von Fußgängerzonen ohne Fußgänger, das Internet sauge die Städte leer, hieß es. Mittlerweile aber ist davon seltener zu hören. Denn vielleicht ist es auch andersherum und das Internet haucht den Innenstädten neues Leben ein. Es gibt zumindest ein paar Anzeichen. In den USA eröffnen Onlineshops wie das Modelabel Bonobos oder der Matratzenhändler Casper reale Geschäfte, der Versandhändler Amazon betreibt jetzt Buchläden und Supermärkte, und auch in München gibt es mittlerweile Dutzende Geschäfte von Firmen, deren Namen man bisher nur von Webseiten kannte. Das Internet ist in den deutschen Innenstädten gelandet - und die Frage ist, warum die Firmen dort überhaupt landen wollen. Hatten sie nicht vor kurzem noch die Argumente aufgezählt, warum ein Online-Shop so viel besser sei als ein Laden?

Da ist zum Beispiel Edited in der Amalienstraße, gleich bei der Universität. Es gibt dort Mode, die aussieht, als käme sie aus Skandinavien, die Firma hat ihren Sitz in Hamburg, der Münchner Laden ist der dritte in Deutschland. Weiße Fassaden, weißes Türschild und drinnen in all dem Weiß ein paar schwarze Kleiderstangen. Vor der Umkleidekabine steht eine Gruppe junger Frauen, sie machen Fotos. Generation Instagram. Vorne an der Türe aber sind gerade zwei ältere Frauen eingetreten, um die 50 Jahre vielleicht. "Kenne ich alles gar nicht", sagt die eine. Solche Kunden will Edited mit seinem Laden kriegen.

Zwar kaufen immer mehr Menschen im Internet ein, der Handelsverband Deutschland prognostizierte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 48,7 Milliarden Euro. Aber es gibt eben auch immer mehr Online-Shops, und welcher von ihnen gut ankommt, ist zu großen Teilen von einem Unternehmen abhängig: Google. Will eine Firma mit ihrer Werbung in der Suchmaschine ganz oben auftauchen, muss sie dafür im Zweifel viel Geld ausgeben. Die Preise variieren, ein Klick aber kann schon mal mehr als 20 oder 30 Euro kosten - und wer bei Google erst auf der fünften oder fünfzigsten Seite zu lesen ist, den findet ohnehin niemand mehr.

Im Internet wird es für Läden zunehmend schwerer, in einer Masse von tausenden Geschäften aufzufallen. Anders als in einer Einkaufsstraße mit fünfzig Läden. Ist jemand erst einmal im Geschäft drin, ist es wahrscheinlicher, dass er dort einkauft, als wenn er sich in einem Onlineshop durchs Angebot scrollt. Dort ist er zwar schneller als in der Innenstadt, aber eben auch schneller wieder weg. Geschäfte wie das in der Amalienstraße, heißt es bei Edited, seien vor allem "Showrooms", den meisten Umsatz mache man nach wie vor Online.

Bei allen Firmen ist das zu hören, die Geschäfte seien nur ein Kanal von vielen. Aber nie sind sie der wichtigste. "Multi Channel Strategie" nennt man das in Marketingabteilungen, eine Sache wird auf verschiedenen Wegen verkauft. Die Machtverhältnisse aber haben sich verschoben. Haben früher die großen Filialen den Onlineshop finanziert, ist das heute andersherum.

"80 Prozent der Menschen kaufen überwiegend noch immer offline ein"

Manchmal sind die Läden nicht mehr als ein Schaufenster für den Onlineshop, dieses Schaufenster aber sieht auch, wer sich für den Instagram-Account der Firma nicht interessiert. "80 Prozent der Menschen kaufen überwiegend noch immer offline ein", sagt Martin Spann von der Ludwig-Maximilians-Universität, Professor am Institut für Digitale Märkte und E-Commerce. Ab einer gewissen Größe also lohnt es sich für ein Unternehmen, Läden in der Innenstadt zu eröffnen, selbst wenn die nach wie vor teurer sind als ein Onlineshop. Der Wettbewerb im Internet aber wird immer härter, auch deshalb wollen Firmen sich mit ihren Geschäften von der Konkurrenz abheben. Näher dran am Kunden sein.

Von der Universität weiter zum Isartor, in der Thierschstraße hat ein Laden eröffnet, an dessen Namen man schon erkennt, dass er aus dem Internet kommen muss. Er heißt Home24, schließt aber wie alle anderen um 20 Uhr - in der realen Welt müssen sich die Firmen nun an Regeln halten, die sie eigentlich aushebeln wollten. Home24 verkauft Möbel übers Internet, hat sechs solcher Läden in Deutschland, die man aber nicht als Läden bezeichnet, sondern genau wie bei Edited als "Showrooms". Der "Fokus" sei nach wie vor der Onlinehandel, "durch die persönliche Interaktion" in den Läden aber sinke die Hemmschwelle, auch ein teures Möbelstück zu kaufen, sagt Marc Appelhoff aus dem Vorstand von Home24.

Wenn man erst einmal auf dem Sofa sitzt, lässt man sich vom Verkäufer eben leichter überreden. Dass sich für die Online-Möbelhäuser ein Laden zu lohnen scheint, zeigt auch das Beispiel von Ambiente Direct, die Firma hat zwar schon länger einen Laden in München, zieht jetzt aber von der Zielstattstraße an den Lenbachplatz - an einen der prominentesten Plätze in München.

Mit den Möbeln ist es ähnlich wie mit dem Müsli, ein Laden bietet den Kunden, was ein Onlineshop nie bieten kann. Müslis probieren, Couch fühlen, Brillengläser testen. Der Onlinehändler Ace and Tate aus Amsterdam hatte in München erst einen Popup-Store aufgemacht, ist mittlerweile fest an den Gärtnerplatz gezogen. "Wir sehen Stores nicht einfach nur als Ort, um unsere Produkte zu verkaufen", sagte der Gründer Mark de Lange einmal. Seine Läden bezeichnet er lieber als Galerie statt als Geschäft - auch dort viel Weiß, viele Spiegel. Den Läden der neuen Internetfirmen sieht man an, von wem sie erdacht sind. Das mag zum einen daran liegen, dass die Firmen meist recht jung sind, zum anderen aber auch daran, dass die Internetfirmen wissen, dass sie im Laden mehr bieten müssen als im Onlineshop.

Am Viktualienmarkt erzählt Max Wittrock gerade, dass er den Laden dieses Jahr noch umgestalten will. Der solle zwar keine Galerie sein, aber eben auch nicht nur ein Laden. Vielleicht ein Treffpunkt. Es funktioniere auf jeden Fall nicht mehr, sagt Wittrock, dass man im Laden allein Geld gegen Produkt tausche. Dazu brauche man ja keinen realen Laden mehr.

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