Als Kind mimte Luisa Wöllisch im Krippenspiel ihrer Tutzinger Pfarrgemeinde einen Engel, übernahm später Rollen im Montessori-Schultheater in Biberkor und gehört heute zum Ensemble der Freien Bühne München. "Ich bin Luisa, 22 Jahre alt, komme aus Tutzing, meine Hobbys sind Musicals besuchen, tanzen, singen, reiten und schwimmen. Mein Traum ist, eine bekannte Schauspielerin zu werden", stellt sie sich vor.
Das klingt geradlinig und natürlich für eine junge Frau, die ehrgeizig ihre Karriere in die Hand nimmt. So selbstbewusst aufzutreten, war Luisa Wöllisch allerdings nicht in die Wiege gelegt. Sie ist ein "Downie", wie sie selbst sagt. Eine Frau mit dem angeborenen Gendefekt Trisomie 21, der geistige und körperliche Beeinträchtigungen mit sich bringt. Doch genau dieser Umstand hat der Tutzingerin jetzt ihre erste Hauptrolle in einem Spielfilm eingebracht.
Im Film "Die Goldfische", der Ende März 2019 in die Kinos kommen soll, spielt sie an der Seite von Tom Schilling, Birgit Minichmayr und Jella Haase in einer Gruppe Behinderter. Oder besser gesagt: Sie ist die einzige echte Behinderte, alle anderen spielen behindert. "Und Luisa hat uns wirklich alle umgehauen", sagt Regisseur Alireza Golafshan. "Sie ist eine absolut professionelle Schauspielerin, die halt zufällig das Down-Syndrom hat." Auch Strapazen - Dreh diesen Sommer bei mehr als 30 Grad in einem rosa Fellmantel und Fahrt zu acht im Dieselbus ohne Klimaanlage - habe sie cool weggesteckt.
Am Küchentisch ihres Zuhauses in Tutzing begrüßt Luisa Wöllisch - stämmige Figur, lange, braune Haare, großflächiges Gesicht mit sanften Augen - die Besucherin freundlich-zurückhaltend. Mutter Eva Wöllisch sitzt mit am Tisch. Das schwierige Austarieren wird spürbar, zwischen einer liebevollen Mutter, die ihrem eingeschränkten Kind helfen will und doch weiß, dass die Tochter ihren eigenen Weg gehen muss - und der jungen Erwachsenen, die sich behaupten will. Erzählt Luisa Wöllisch, dass sie früher mit dem großen Bruder beim Opa Tiere nachgespielt und sie eigene Sendungen mit einem Aufnahmegerät produziert haben, staunt die Mutter. "Ach, davon wusste ich ja gar nichts!" Luisa Wöllisch schüttet sich darüber lachend aus, die raue Stimme überschlägt sich vor Vergnügen.
Nach der Schule machte Luisa Wöllisch Praktika, aber Gastro, Kindergarten und Altenheim entpuppten sich nicht wirklich als ihre Welt. "Wir wollten nicht, dass sie irgendwo nur untergebracht ist, sondern einen Beruf findet, der sie erfüllt", beschreibt die 54-jährige Mutter die schwierige Suche. Aufgeblüht ist Luisa Wöllisch erst, als sie einen Platz im Ensemble der Freien Bühne München ergattert hat. In diesem "Theater für alle" arbeiten auf der Bühne und dahinter Menschen aller Altersklassen, verschiedener Herkunft, mit und ohne Behinderung zusammen. Luisa Wöllisch konnte dort als Erste eine dreijährige Schauspiel-Ausbildung absolvieren, als berufsqualifizierende Maßnahme unterstützt von der Arbeitsagentur. Neben Bühnenauftritten bekam sie ihre erste Kinorolle in der Kriminalkomödie "Grießnockerlaffäre". Eine Szene am Friedhof, Fahrt im Bus, drei Tage Dreh.
Ihr großer Erfolg aber ist jetzt eine Hauptrolle in "Die Goldfische". Worum es geht: Das Leben von Banker Oliver (Tom Schilling) auf der Überholspur ist jäh zu Ende, als er nach einem Unfall querschnittsgelähmt in der Reha aufwacht. Seine Realität verdrängt er zunächst, dann inspiriert sie ihn zu einem riskanten Plan. Mit einer Wohngruppe behinderter Menschen ("Die Goldfische") macht er sich auf den Weg nach Zürich, um eine beträchtliche Menge Schwarzgeld zu retten. Für die Rolle der "Franzi", einem toughen Mädchen mit Down-Syndrom, hatte die Crew schon landauf, landab Laienschauspielerinnen gecastet. Vergeblich. Bis die Scouts bei der Freien Bühne München auf Luisa Wöllisch stießen. Sie studierte als Playback-Song "Atemlos" von Helene Fischer ein und überzeugte alle mit einer fünf Minuten langen Improvisationsszene - "Da hat sie uns zugetextet, ohne dass ihr einmal der Atem ausging", sagt Alireza Golafshan.
Eine Geschichte, in der Behinderte benutzt werden, um an ein Ziel zu kommen - gab es Bedenken bei Luisas Familie, als die Zusage kam? "Zuerst war ich skeptisch", bekennt Eva Wöllisch. Dann habe sie das Drehbuch gelesen. Das Ganze sei so absurd und witzig und auch mit Tiefgang, dass sie als Agentin ihrer Tochter das Okay gab.
Ihren Text lernte sie, indem sie ihn aufs Handy sprach und immer wieder abhörte. Ihre Rolle gefiel ihr, "weil die Franzi so eine Selbstbewusste ist wie ich. Da musste ich mich nicht groß vorbereiten". Nur äußerlich wurde sie als Typ verändert, jeden Morgen eine halbe Stunde in der Maske. Eine Prozedur, die sie genoss. Und das Arbeiten mit Stars wie Jella Haase auf Augenhöhe: "Die waren alle total nett und superoffen." Unangenehm war ihr nur eine Szene, in einem Rapsfeld bei Dießen: "Ich musste da durch, mit so einer dünnen Strumpfhose. Das hat so gestochen, und ich musste weiter. Das Feld war so uneben, ich habe nichts gesehen, bin auf meinen hohen Turnschuhen immer wieder umgeknickt und der Raps ging mir so bis zum Hals", erzählt sie. In der Filmfamilie fühlte sich Luisa gut aufgehoben, ging mit zum Feiern bis zum frühen Morgen und weinte am Ende ein bisschen, als man auseinanderging. Im neuen Jahr trifft sich das Team wieder, zum Nachsynchronisieren im Tonstudio.
Ihre erste größere Gage gibt Luisa das finanzielle Polster, um von zu Hause auszuziehen. In Tutzing ist es der 22-Jährigen "zu langweilig", sie möchte in München mit Freundinnen ins Kino oder zu Theateraufführungen. Ihr Traum: eine betreute WG. Doch für viele Einrichtungen sei sie "zu fit", sagt ihre Mutter. Neben der Wohnungssuche konzentriert sich Luisa auf ihren neuen Job als Schauspiel-Dozentin an der Freien Bühne München. Dort wartet zudem eine neue Hauptrolle auf sie. Luisa soll die "Lulu" spielen, Aufführung in der Black Box des Gasteigs. "Sicher ein außergewöhnliches Projekt", sagt Bühnengründerin Angelica Fell. Dank Luisas phänomenaler Bühnenpräsenz könne es aber gelingen. Sie sieht in der jungen Schauspielerin ein absolutes Vorbild, "eine Role-Model" für viele Menschen mit Beeinträchtigung, die auf Bühnen und im Film öfter sichtbar werden sollen.