Süddeutsche Zeitung

"Karl Valentin - Bildersprache":Neue Sichtweisen

Der Fotograf Herbert Becke hat gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Gunter Fette ein Buch herausgegeben. Darin kombinieren sie Fotos aus dem Münchner Stadtleben mit Zitaten und Aphorismen Karl Valentins

Von Sabine Reithmaier

Ein Foto, aufgenommen in der Münchner U-Bahnstation Nordfriedhof: Hinter dem Stationsschild zwei große Plakate - eines wirbt für eine Zigarettenmarke, das andere für einen Zahnarztbesuch. "Da hab ich ein Leben lang Angst vor dem Sterben gehabt, und jetzt des ...", steht darunter. Auf eine nicht ganz fassbare Art und Weise passt der lapidare Spruch Karl Valentins gut zu dem Foto, so gut, dass man sofort zu schmunzeln beginnt. Was ja nicht schlecht ist in diesen Zeiten.

Der Fotograf Herbert Becke und der Rechtsanwalt Gunter Fette haben gemeinsam ein feines Buch herausgeben. Sie haben nicht den vielen Werken, die bereits über den skurrilen Komiker erschienen sind, ein weiteres hinzugefügt, sondern sie haben "Bildersprache" quasi posthum mit ihm gemacht. Oder zumindest in seinem Sinne. Becke, jahrzehntelang Leiter der Volkshochschule München-Nord, fotografiert seit mehr als 40 Jahren leidenschaftlich gern Menschen, Künstler, Straßenszenen, nie spektakulär, dafür "bodenständig" (Becke), was durchaus wörtlich zu nehmen ist. Noch länger begeistert sich der 70-Jährige für den speziellen Witz Karl Valentins. Bereits mit 16 gründete er die "Valentinaden-Bühne", eine Theatergruppe, bestehend aus zwölf Jugendlichen, die Valentin-Karlstadt-Szenen aufführten. Wobei Gründer Becke beharrlich Wert darauf legte, den Valentin zu geben.

Rechtsanwalt Gunter Fette, Jahrgang 1941, ist dagegen jedem bekannt, der einmal versucht hat, Valentin- oder Karlstadt-Zitate zu verwenden, ohne vorab die Rechtefrage zu klären. Christian Ude bezeichnet ihn in seinen "1059 Vorwörtern", die er für das Buch geschrieben hat, treffend als Valentins "Stellvertreter auf Erden oder so ähnlich". So gesehen war es ein genialer Schachzug Beckes, Fette mit ins Boot zu holen. Denn es gibt nur ganz wenige andere, die sich so gut in Valentins Texten auskennen wie der Jurist, der auch bereits einiges über den Komiker veröffentlicht hat. Davon abgesehen wirken die beiden auch gemeinsam im Vorstand der "Saubande", dem Verein zur Förderung der Münchner Volkssängerkultur und des Valentin-Karlstadt-Musäums.

Becke durchforstete sein Fotoarchiv nach geeigneten, Valentin-würdigen Aufnahmen, fand alte Schwarzweiß-Fotos, aber auch aktuelle und sogar noch nicht veröffentlichte Bilder. Bei den meisten handelt es sich um Münchner Motive, allerdings rätselt man gelegentlich lang, wo das Bild wohl entstanden ist. Die vergammelte Rolltreppe etwa, die von einem Tiefgeschoss ins Freie führt. Nicht leicht zu erkennen, dass es sich um den Aufgang vom Altstadtring in Münchens teuerste Einkaufsstraße, die Maximilianstraße, handelt. "Des ignorieren wir net amoi", lautet der Kommentar zu der versifften Treppe.

Freilich: Valentins Sprüche sind kaum zu toppen. "Heute in mich gegangen. Auch nichts los", heißt es an anderer Stelle, und das Foto zeigt nur einen Menschenschatten, dessen Kopf sich exakt mit einem auf dem Rasen liegenden Fußball deckt. Beckes Aufnahmen ergänzen die Sentenzen in vielen Fällen vorzüglich. Manchmal wirken die von Fette ausgewählten Sprüche wie zu den Fotos verfasste Kommentare.

Viele davon kennt man bereits, andere dagegen hat man noch nie gehört oder gelesen. Was ein bisschen schade ist, dass im Buch meist eine Quellenangabe zu den Zitaten fehlt, weil ab und an würde man schon gern nachschauen, in welchem Zusammenhang Valentin den Satz gesagt hat.

Zum Dritten Reich äußerte sich Valentin meist eher subtil, fast immer so, dass man notfalls seine Kritik auch überhören konnte. "Bald hättens noch wissen wolln, ob der Kanarienvogel auch eine reine Abstammung gehabt hat", merkte er zu den Bemühungen der Reichsstelle für Sippenforschung an, die für die Arier-Nachweise zuständig waren. Und das Foto zeigt ein in den Boden eingelassenes Relief vor dem Jüdischen Kulturzentrum in München.

Auf zwei Fotos freilich, die damals trotz seiner Bemühungen nicht veröffentlicht wurden, jetzt aber im Buch zu sehen sind, kommentierte er 1943 die Lage im Land ziemlich unverblümt: Mager und gebeugt lichtete er sich als "Deutschlands letzte Reserve" ab, mit Holzschwert, gestreifter Turnhose und einem aus Papier gefalteten Helm auf dem Kopf. Bei den Nazis wäre das sicher nicht gut angekommen.

Herbert Becke, Gunter Fette, Karl Valentin - Bildersprache, Volk Verlag, 144 Seiten, 19,90 Euro

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SZ vom 24.11.2020/van
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