Dass Karl Valentins und Bert Brechts frühes filmisches Meisterwerk, die „Mysterien eines Frisiersalons“ aus dem Jahr 1923, heute überhaupt in einer Hofausstellung des Valentin-Karlstadt-Musäums präsentiert werden kann, ist schon für sich genommen ein Mysterium: „Wie so viele seiner Werke war es verschollen; doch weil Enno Patalas, seinerzeit Leiter des Münchner Filmmuseums, exzellente Kontakte zum Moskauer Filmarchiv hatte, erhielten wir 1976, mitten im Kalten Krieg, eine Kopie“, erklärt Patalas’ einstiger Assistent, der 78-jährige Filmexperte und Ausstellungskurator Peter Syr. Meter gegen Meter wurden Schwarzweißfilme getauscht, „für einen Meter Farbfilm gab es dann sogar vier Meter Schwarz-Weiß-Film“, erklärt Syr die damalige „Währung“. Während die Münchner besonders an Filmen aus den russischen Revolutionsjahren von Eisenstein und Co. interessiert waren, begehrten die Moskauer Werke des Neuen Deutschen Films. „So kommt es, dass das Münchner Filmmuseum heute weltweit die größte Sammlung an russischen Revolutionsfilmen besitzt“, erklärt Syr und schmunzelt.

Die Horror-Slapstick-Komödie „Mysterien eines Frisiersalons“ wiederum war in einem anderen Sinne revolutionär. „Man könnte sie als den weltweit ersten Splatterfilm bezeichnen“, sagt Museumsleiterin Sabine Rinberger bei der Eröffnung unter blauem Himmel vor den großen Bildertafeln, in denen der Stummfilm in seine dramaturgischen Einheiten zerlegt wird. Rollende Köpfe, spritzendes Blut, Liebe und Eifersucht, Gewalt und Folter – bei der Wahl der Mittel waren Brecht, Valentin und Regisseur Erich Engel nicht zimperlich. Wobei der Horror in jeder Szene sofort mit Komik gebrochen wird, wie Rinberger betont. Genau darin lag sicherlich der Einfluss Valentins, vermutet sie.
Die elfköpfige Besetzung bestand neben Liesl Karlstadt und Karl Valentin aus Brechts engen Freunden wie Max Schreck, berühmt geworden als Prototyp eines Vampirs in Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“, die Münchnerin Carola Neher, die später die „Polly“ in Georg Wilhelm Pabsts Verfilmung von Brechts „Dreigroschenoper“ spielte (und noch später unter tragischen Umständen im sowjetischen Gulag zu Tode kam), oder Kurt Horwitz, der Anfang der Fünfzigerjahre Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels wurde.

„Das Ganze kam überhaupt nur zustande, weil Brecht seinerzeit eine Sinnkrise hatte“, erzählt der Kurator Syr. Im Jahr 1922 hatte sich Brecht vom Schreiben für das Theater abgewandt, um sich auf das Schreiben von Drehbüchern zu verlegen. Doch die wurden von den Filmstudios abgelehnt. In dieser kreativen Pause entstand die Idee, ein Projekt mit Karl Valentin zu entwickeln. Ihn kannte und schätzte Brecht schon länger, laut Syr hat Brecht bereits bei seinem 1919 entstandenen Einakter „Kleinbürgerhochzeit“ die Stummfilmgroteske „Valentins Hochzeit“ (1912) als Vorlage genommen.
Gedreht wurde in einer Lagerhalle in der Schwabinger Tengstraße, die Valentin zuvor schon als Filmstudio genutzt hatte. „Sie alle hatten wohl eine unheimliche Gaudi bei den Filmaufnahmen“, vermutet Syr wegen der Notizen in den Drehbüchern.
Den Film und seine Entstehungsgeschichte können Passanten nun zwischen den Stellwänden mit großformatigen Film-Stills selbst erwandern. Über die dazugehörigen QR-Codes lassen sich die dramaturgischen Einheiten auf dem Smartphone betrachten: So ist zu erleben, wie die Frisiermamsell sich in Professor Moros verliebt, Verfasser des Werks „Wie wirke ich sympathisch“. Als er dann in Begleitung seiner Geliebten im Frisiersalon auftaucht, beginnt sie der Konkurrentin gewaltsam zuzusetzen, am Ende gar mit Elektroschocks. Derweil bekommt der Professor irrtümlicherweise einen völlig neuen Look verpasst: Eigentlich will er wie ein Herr auf einem Plakat frisiert werden; da aber das Plakat versehentlich umgedreht wurde und nun einen „Chinesen“ mit einer Odol-Werbung zeigt, findet er sich zu seinem Entsetzen mit Glatze und zweigeteiltem Bart wieder.
Derweil geht es auch einem anderen Kunden an den Kragen, der wird versehentlich geköpft. So hat die Frisiermamsell plötzlich statt eines Perückenkopfs ein „echtes“ Menschenhaupt in der Hand, tanzt damit fast wie Salome mit dem Haupt von Johannes dem Täufer. Doch anders als in der Bibel werden im Film Kopf und Rumpf mit Mullbinden wieder zusammengefügt. Selbst Valentin, der im Zuge eines Duells mit einer Kugel durchlöchert wird, kann diese zum guten Schluss wieder aus seinem Körper herausbefördern – in Tennisballgröße!

„Auch hier erweist sich Valentin wieder einmal als Vorreiter, den Surrealismus, den Luis Buñuel und Salvador Dali in ihrem Experimentalfilm ,Ein andalusischer Hund’ in ihren Szenen einsetzten, nahm er hier schon vorweg“, sagt Rinberger.
Die „Mysterien“ zeigt sie übrigens jeden Sonntag in einer Matinee im Kino des Valentin-Karlstadt-Musäums, alternativ sind sie auf dem Youtube-Kanal des Musäums zu finden. Und, noch schöner: Am 24. September werden sie in einer Open-Air-Vorführung an das Isartor projiziert. Weil die Stummfilme ja nie wirklich stumm waren, „und die Sowjets nur den Film, nicht aber die Musik dazu tauschten“, kam Syr auf eine Idee. Er klopfte bei Konstantin Wecker an. „Und der sagte, es sei ihm eine Ehre, für diesen Valentin-Film Musik neue Musik zu komponieren.“
Mysterien eines Frisiersalons, Hofausstellung des Valentin-Karlstadt-Musäums bis 8. Oktober; Open Air-Filmvorführung mit Musik von Konstantin Wecker am Dienstag, 24. September, Innenhof des Isartors