Sein Ende war so außergewöhnlich wie sein langes Leben. „Wenn diese Mail bei den Empfängern ankommt, habe ich das Leben aus gesundheitlichen und aktuell weltanschaulichen Gründen verlassen“, schrieb Karl Stankiewitz am 13. Dezember 2024, dem Tag seines Todes. Am Abend zuvor hatte er noch vier enge Freunde zu sich in die Widenmayerstraße eingeladen, eine letzte „Kaiserschmarrnrunde“ zum Abschied, bei der alle ganz offen über seinen bevorstehenden Tod sprachen, den der 96-Jährige lange geplant hatte. „Was kommt nach morgen?“, lautete eine der Fragen an Karl Stankiewitz. Wahrscheinlich, antwortete er, gehe er ins Nirgendwo.
Tags darauf setzte er in Begleitung eines Arztes, einer Juristin und seiner Familie seinem Leben ein Ende, selbstbestimmt. Max Zeidler erinnerte am Donnerstag in der Trauerfeier auf dem Münchner Ostfriedhof an diese letzte Begegnung. Bereits im vergangenen Sommer war Stankiewitz auf seinen Freund zugegangen mit der Bitte: „Ich möchte dich fragen, ob Du meine Trauerrede halten kannst?“ Max sagte zu, und so ließ er das Jahrhundertleben des Journalisten Stankiewitz noch einmal vor der Trauergemeinde Revue passieren, sofern das in ein paar Minuten überhaupt möglich ist: Die schwierige Jugendzeit in München, als Stankiewitz nach der Scheidung seiner Eltern wochentags im Kinderasyl in der Au untergebracht war. Der Krieg, als er mit dem Fahrrad durchs brennende München fuhr, vorbei an Leichen und Trümmern, um die Bombenschäden zu melden.
Und dann die lange, lange Zeit danach, in der Stankiewitz zunächst als Journalist bei der jungen Süddeutschen Zeitung und der Abendzeitung arbeitete, als Chronist Münchens und Bayerns, und später als vielreisender Weltbürger und Buchautor. An seinem Freund Karl habe er immer dessen Humor geschätzt, erzählte Max Zeidler. Zum Beispiel, als sie mal gemeinsam wandern gingen und Passanten über den rüstigen Mann staunten, der schon mehr als 90 Jahre alt war. Wie lange er das noch machen wolle? „Bis ma hin sind“, gab Stankiewitz schlagfertig zurück. Ein für ihn typischer Spruch, der seine Lebenseinstellung widerspiegelte: einfach weitermachen. „Er war nie ein alter Mann“, sagte sein Freund, der Kabarettist Christian Springer. Dazu passend merkte Anton Biebl an, wie er als Münchner Kulturreferent Stankiewitz vor zwei Jahren mit dem Ernst-Hoferichter-Preis 2023 auszeichnete. Einfach noch eine Weile neugierig bleiben, antwortete der Preisträger auf die Frage, was er sich fürs Leben wünsche.
„Demokratie war sein Lebensthema“, sagte Biebl. Stankiewitz, der wusste, was Krieg und Diktatur bedeuten, verfolgte das Geschehen auf der Welt bis zum Schluss mit wachem Geist, auch wenn sein Hören und Sehen zusehends schwanden. Vielleicht gerade deshalb fing er mit 95 Jahren im Sommer 2024 an, „Gedankenblitze“ zu verfassen, die er per Mail verschickte. Es sind 65, zum Teil autobiografische Notizen, die sich wie ein persönliches Vermächtnis lesen und als gebundenes Heft an die Trauergemeinde verteilt wurden. „So lange ich dazu in der Lage bin, möchte ich weitermachen mit diesen blitzartigen Aufzeichnungen“, schrieb Stankiewitz in seiner Einleitung.
Die letzten Einträge zeigen, wie sehr er schließlich an seinen Gebrechen, aber auch an den politischen Krisen der jüngsten Zeit litt: „Euch und den Nachkommen wünsche ich eine bessere als die gegenwärtige Welt. Eine Welt des Friedens statt der Kriege, der Vernunft statt Verdummung, Solidarität statt Spaltung, Freundlichkeit statt Verrohung, Wahrheit statt Lüge, Naturliebe statt Naturzerstörung.“
„Wir werden Dich feiern als einen Aufrechten“, sagte Christian Springer und erinnerte daran, dass es ohne Presse keine Demokratie geben könne. Schließlich kam der Verstorbene auf seiner Trauerfeier noch einmal selbst zu Wort. Mit seiner Enkelin Tania hat Stankiewitz das Goethe-Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh’“ aufgenommen. Es schließt mit „Warte nur! Balde Ruhest du auch.“
Anmerkung der Redaktion: Wir berichten in der Regel nicht über Selbsttötungen. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen von Suizidgedanken, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de) unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111.