Kunstmarkt:Der Bärtige von der Straße

Kunstmarkt: Emil Noldes Jugenderinnerungen "Das eigene Leben" mit dem Original-Aquarell "Bärtiger Mann und blondes Mädchen" als Frontispiz kam 1989 zur Versteigerung.

Emil Noldes Jugenderinnerungen "Das eigene Leben" mit dem Original-Aquarell "Bärtiger Mann und blondes Mädchen" als Frontispiz kam 1989 zur Versteigerung.

(Foto: Nolde Stiftung Seebüll/Karl & Faber Kunstauktionen)

Das Auktionshaus Karl & Faber wurde vor 100 Jahren als Antiquariat gegründet. Heute gehört es zu den Playern auf dem internationalen Kunstmarkt und versteigert vor allem moderne und zeitgenössische Kunst - und manchmal rettet es Schätze aus dem Sperrmüll.

Von Evelyn Vogel

Im Sommer 1989 entdeckte ein junges Münchner Ehepaar auf einer Straße in Schwabing eine Bücherkiste, die offensichtlich für den Sperrmüll dort abgestellt worden war. Darin ein Exemplar von Emil Noldes Jugenderinnerungen "Das eigene Leben". Doch nicht die autobiografischen Zeilen des expressionistischen Malers erregten die Neugier der jungen Leute, sondern ein Aquarell, das als Frontispiz eine Buchinnenseite zierte. Sie holten sich Rat bei einem namhaften Antiquar im Universitätsviertel, der sie wiederum zu den Experten des Auktionshauses von Karl & Faber schickte.

Dort wurde aus der Hoffnung der jungen Leute, dass der Sperrmüllfund etwas Besonderes sein könnte, alsbald Gewissheit. Das Buch, das sie en passant vor der Vernichtung gerettet hatten, war von 1931 und das Aquarell "Bärtiger Mann und blondes Mädchen" von Nolde ein echter Schatz. In der Herbstsaison 1989/90 wurde es bei Karl & Faber versteigert und brachte statt der geschätzten 50 000 Mark mit Aufgeld mehr als 280 000 Mark. Die Süddeutsche Zeitung berichtete später von einer "spannenden Bieterschlacht", die den Preis nach oben trieb.

Dies ist nur eine von vielen Anekdoten, die in dem zum 100-jährigen Bestehen des Auktionshauses Karl & Faber bei Hanser nun erscheinenden Buch "Zum Ersten, zum Zweiten, zum 100." angerissen wird. Rupert Keim, seit 2003 Mitinhaber, Geschäftsführer und Auktionator von Karl & Faber, und Sheila Scott, seit 2008 nicht nur Auktionatorin, sondern ebenfalls Mitgeschäftsführerin, haben es zum Jubiläum herausgegeben. Und natürlich erfährt man in dem handlichen und doch überaus gehaltvollen Buch auch viel über die Geschichte des Auktionshauses.

Kunstmarkt: Rupert Keim übernahm 2003 zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwägerin das Auktionshaus.

Rupert Keim übernahm 2003 zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwägerin das Auktionshaus.

(Foto: Martin Piechotta/Karl & Faber)
Kunstmarkt: Die Auktionatorin Sheila Scott ist seit 2008 Mitgeschäftsführerin bei Karl & Faber.

Die Auktionatorin Sheila Scott ist seit 2008 Mitgeschäftsführerin bei Karl & Faber.

(Foto: Verena Kathrein/Karl & Faber)

Der 32 Jahre alte Germanist Curt von Faber du Faur aus Stuttgart, Sohn eines Armeegenerals und einer Adeligen, und der 30 Jahre alte Kunsthistoriker Georg Albert Josef Karl, Sohn eines Juristen aus dem niederbayerischen Mitterfels, gründen es 1923 - und zwar als Kunst- und Literatur-Antiquariat mit Lagerverkauf. Kennengelernt haben sich die zwei so unterschiedlichen Männer "in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs", wie es im Buch heißt. Die Geschäfte laufen von Anfang an prächtig. Die erste Auktion veranstaltet Karl & Faber im Mai 1927, bei der die Sammlung Victor Manheimers versteigert und eine Erstausgabe des "Simplizissimus" von 1669 für 1750 Goldmark zugeschlagen wird. Alle paar Jahre wechselt man in größere Verkaufsräume und an noblere Adressen.

Im Sommer 1931, gut acht Jahre nach der Gründung des Antiquariats, scheidet Curt von Faber du Faur aus der gemeinsamen Firma aus. Der "gute Baron" und "distinguierte Gentleman", wie er genannt wird, hat 1928 eine reiche Amerikanerin geheiratet und wandert mit ihr und seiner 7000 Bände umfassenden Privatbibliothek 1939 in die Vereinigten Staaten aus. Er wird Gastlektor in Harvard, geht 1944 als Literaturprofessor nach Yale. Er bleibt dem von ihm mitgegründeten Unternehmen, vorerst auch finanziell, zugeneigt und stirbt im Januar 1966 im Alter von 75 Jahren in den USA.

Georg Karl hingegen hat Ende der Dreißigerjahre zu kämpfen, obwohl er schon seit 1933 NSDAP-Mitglied ist und auch an Nazi-Größen verkauft. Doch sein Opportunismus bringt ihn durch die NS-Zeit. Später wird er sich als "stiller Widerständler und vom Regime Benachteiligter" stilisieren. Im Spruchkammerverfahren 1947 wird er zwar als Mitläufer eingestuft, erhält aber bereits drei Monate später eine neue Lizenz.

Nun setzt Georg Karl vor allem auf Kunstauktionen. 1961 steigt sein Sohn Louis in die Firma ein und baut die vom Vater begonnene Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Kunstmarkt aus. Doch auch die Kunden aus Übersee haben das Nachsehen, als ihnen eine kleinformatige Porträtzeichnung Franz Liszts von Jean-Auguste-Dominique Ingres im Herbst 1965 vor der Nase weggeschnappt wird. Wer ist der unbekannte Schweizer Bieter, der mehr als 120 000 Mark für das auf 25 000 Mark geschätzte Blatt hinblättert?

Kunstmarkt: Der "gute Baron" Curt von Faber du Faur.

Der "gute Baron" Curt von Faber du Faur.

(Foto: Karl & Faber)
Kunstmarkt: Georg Karl galt als autoritärer Charakter.

Georg Karl galt als autoritärer Charakter.

(Foto: Karl & Faber)
Kunstmarkt: Louis Karl, der Sohn des Gründers Georg Karl, sorgte für ein familiäres Betriebsklima.

Louis Karl, der Sohn des Gründers Georg Karl, sorgte für ein familiäres Betriebsklima.

(Foto: Karl & Faber)

Die Geschichte dahinter ist urkomisch: Die Zeichnung stammt aus dem Besitz der Familie Richard Wagners. Der 22-jährige Wolf-Siegfried, genannt "Wummi", hat das Bild kurzerhand aus Wahnfried mitgenommen und zur Versteigerung gegeben, um zu Geld zu kommen. Als Großmutter Winifred dies bemerkt, tobt sie und bittet einen Schweizer Bekannten, das Bild im Auftrag der Familie diskret zurück zu steigern. Nun, mit der Diskretion wird es nichts - und abgesehen von einer Familie in Bayreuth amüsiert man sich allenthalben köstlich über den Vorfall.

Von 1965 an veranstaltet Karl & Faber auch regelmäßig Kunstausstellungen. Zu den Eröffnungen kommen die Künstler oft selbst, auch ins Haus am Amiraplatz, wo Karl & Faber seit 1977 und bis heute residiert. Eine hübsche Geschichte dazu liest sich im Buch in etwa wie folgt: 1982 war der französische Illustrator Tomi Ungerer zu seiner Ausstellungseröffnung gekommen. Doch schon am frühen Nachmittag verlangte er nach einem sehr seltenen Whisky, was die Mitarbeitenden nicht nur vor ein Beschaffungsproblem stellte, sondern auch die Sorge weckte, in welchem Zustand Ungerer wohl am Abend sein würde. Doch dem ging's prächtig und "der nun entspannte Ungerer" nahm sich später reichlich Zeit für die Signierstunde.

Kunstmarkt: Seit 1977 ist das Auktionshaus Karl & Faber am Münchner Amiraplatz zu Hause.

Seit 1977 ist das Auktionshaus Karl & Faber am Münchner Amiraplatz zu Hause.

(Foto: Karl & Faber)

Während Georg Karl, der 1979 im Alter von 87 Jahren in München stirbt, für seinen autoritären Charakter bekannt ist, sorgt sein Sohn Louis Karl für ein familiäres Betriebsklima. Die Mitarbeitenden nennen sich untereinander "Kafas" und unternehmen gemeinsame Ausflüge. Nach den Nullerjahren sucht Louis Karl einen Nachfolger - und wird zunächst nicht fündig. Doch beim Isar-Bowling in München-Giesing erzählt ein Neffe von Louis Karl seinem Schulfreund, dem gerade vom Studium in London zurückgekehrten Rupert Keim, der eigentlich als Urheberrechtsanwalt praktizieren will, von der offenen Nachfolgesituation. Und entgegen seiner bisherigen Pläne steigen er, sein Bruder Christoph und seine Schwägerin Nicola 2003 bei Karl & Faber ein.

Damit beginnt eine neue Ära für Karl & Faber. Vor allem nach der Jahrtausendwende werden Rekorde erzielt: Erich Heckels Ansicht "Park von Dilborn II." von 1914 bringt 2007 mehr als 830 000 Euro. Alfons Waldes "Der Aufstieg", um 1929 gemalt, wird 2016 für 762 500 Euro versteigert. Und Heinrich Campendonks Gemälde "Mädchen mit Katze" von 1918 kommt 2017 für 975 000 Euro unter den Hammer.

Im 100. Jahr seines Bestehens gilt das einstige Antiquariat Karl & Faber als Auktionshaus für moderne und zeitgenössische Kunst. 315 Auktionen verzeichnet das Jubiläumsbuch inzwischen. Daneben engagiert man sich bei Charity-Events und unterstützt junge Künstlerinnen und Künstler durch Förderpreise. Darauf geht das Buch ebenso ein wie auf Restitutionen, Sammlungen, Schenkungen und Privat Sales. Letzteren ist es beispielsweise zu verdanken, dass die beiden Selbstporträts von Elisabeth Epstein von 1911 seit kurzem in der Sammlung des Münchner Lenbachhaus hängen.

Ob wohl beim Auktionshaus Karl & Faber weiterhin Schätze aus dem Sperrmüll auftauchen? Rupert Keim schmunzelt. Noch immer landet vieles, das eigentlich wertvoll ist, auf der Straße. Und manches dann beim Auktionshaus Karl & Faber.

Rupert Keim / Sheila Scott (Hrsg.): Zum Ersten, zum Zweiten, zum 100., Karl & Faber - Kunstauktionen seit 1923, Carl Hanser Verlag, 28 Euro

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