Porträt:Anwältin für die Freiheit der Kunst

Porträt: Karen Pontoppidan, die neue Präsidentin der Akademie der Bildenden Künste, verließ mit 17 den Bauernhof ihrer Eltern auf einer kleinen, dänischen Insel. Sie wollte nur eines: Schmuck kreieren.

Karen Pontoppidan, die neue Präsidentin der Akademie der Bildenden Künste, verließ mit 17 den Bauernhof ihrer Eltern auf einer kleinen, dänischen Insel. Sie wollte nur eines: Schmuck kreieren.

(Foto: Dagny Kaske)

Die Schmuck-Künstlerin Karen Pontoppidan tritt Anfang April ihr Amt als Präsidentin der Akademie der Bildenden Künste in München an. Warum tut sie sich das an?

Von Ira Mazzoni, München

"Wir brauchen die Kunst", davon ist Karen Pontoppidan überzeugt. Und die Kunst braucht eine Akademie, wie die in München. Diese Institution der Freiheit gegen alle normierenden Anfechtungen zu verteidigen, ist die selbstbewusste Dänin angetreten. Sie ist die erste Präsidentin der seit 1808 bestehenden Akademie der Bildenden Künste in München. Sie wurde gefragt, sie war bereit und wurde - ohne Gegenkandidatinnen und -kandidaten - gewählt. Kein Wunder bei ihrem flammenden Bekenntnis zu den Meisterklassen, die eine individuelle Betreuung garantieren, und zu den Werkstätten, die Experimente mit fast jedem denkbaren Werkstoff ermöglichen.

Die Schmuckkünstlerin hat selbst von dem ältesten, aus der Handwerkslehre hervorgegangenen, Ausbildungssystem Europas profitiert, ist erfolgreicher Profi geworden. Schon als 13-Jährige wollte Karen Pontoppidan nur eins: Schmuck machen. Der Bauernhof ihrer Eltern auf einer kleinen dänischen Insel war ihr zu eng. Nachdem sich die Eltern auch noch politisch engagierten und Ämter übernahmen, fühlte sich die Jugendliche zu sehr beobachtet. Mit 17 kehrte sie dem Hof den Rücken, um eine Lehre als Goldschmiedin zu machen. Sie verließ Dänemark um am Berufskolleg für Formgebung, Schmuck und Gerät in Schwäbisch Gmünd zu lernen. Aber das handwerkliche Können reichte ihr nicht. Sie wollte Künstlerin werden, frei sein, frei von Konventionen und Rollenzuweisungen. 1991 wurde sie in der Klasse Schmuck und Gerät an der Akademie aufgenommen. Sechs Jahre lang studierte sie dort bei Otto Künzli, war dann weiter sechs Jahre lang seine Assistentin und wuchs so in die Lehre hinein.

Ein Ruf an das berühmte Stockholmer Ädellab (Edellabor) folgte. Nach guten neun Jahren kehrte die Professorin nach München zurück. Seit 2015 leitet sie die Klasse für Schmuck und Gerät. Es ist die mit Abstand bunteste Klasse der Akademie. Die Studierenden kommen nicht nur aus Europa, sondern auch aus Asien und Südamerika. Das Fremdsein ist so auch für die Studierenden aus München, Nürnberg oder Weimar Ausgangspunkt für künstlerische Reflexionen. Sich in einer fremden Sprache über die jeweils eigenen kulturellen Hintergründe zu verständigen, schult die Kommunikationsfähigkeit der jungen Künstlerinnen und Künstler, ohne die sie keine Chance als Profis hätten. Das Zuhören lässt Gewissheiten schwinden und inspiriert zu neuen Geschichten und neuen Bildern.

"Die Klasse ist meine Leidenschaft", sagt Karen Pontoppidan. Auch als Präsidentin der Akademie wird sie sich weiter um ihre Klasse kümmern. Die neue Rollenverteilung zwischen Politik und Lehre hat sie vertrauensvoll mit ihren Studierenden besprochen. Ihr Amt erlaubt eine Neuberufung für die Klasse Schmuck und Gerät. Der seit Langem vernachlässigte Bereich Gerät soll gezielt gestärkt werden. Karen Pontoppidan hat ihren Vertreter, einen international renommierten Silberschmied, schon benannt - es fehlt nur noch die Unterschrift unter dem Vertrag.

Mehr Chancengleichheit mit dem Meisterklassen-System

Ein wenig stolz ist die Schmuckkünstlerin schon darauf, dass sie das Undenkbare geschafft hat, als Ausländerin und als Frau. Wobei sie unterstreicht, dass nicht das Frausein sie für die Präsidentschaft empfiehlt, sondern die Eigenschaften, die sie entwickeln musste, um als Frau in der Gesellschaft erfolgreich zu sein. Als Bürgerin und Künstlerin hat sich Karen Pontoppidan intensiv mit Genderfragen, Ethnizität, Klassenunterschieden und Hierarchien auseinandergesetzt. Als Lehrende hat sie gelernt, ihre eigene Position kritisch zu hinterfragen. Sie weiß, das Meisterklassen-System der Akademie ist anfällig für Macht- und Vertrauensmissbrauch, weswegen es an anderen Hochschulen abgeschafft wurde. Dennoch verteidigt sie vehement dieses System, weil es mehr Chancengleichheit und mehr Freiheit bietet als jedes andere Hochschulsystem.

Die Akademie der Bildenden Künste in München nimmt Menschen mit besonderer Begabung auf, die häufig in kein System passen. Studierende an der Akademie sind schon Künstlerinnen und Künstler, wenn sie angenommen werden. Sie müssen kein Abitur vorweisen. Durch die individuelle Betreuung in kleinen Klassen werden Studierende befähigt, in ihrem Beruf erfolgreich zu sein. Dazu gehört auch die Befähigung, sich öffentlich zu artikulieren. Es gibt wenig Pflichtveranstaltungen. Jede und jeder Studierende hat die Freiheit, sich das Wissen und die Fähigkeiten in dem Moment anzueignen, in dem sie für die eigene künstlerische Entwicklung notwendig werden. Eigenverantwortliches Lernen und das dazu gehörige Zeitmanagement sind Basis für die Professionalisierung. 19 verschiedene Werkstätten mit hochqualifizierten Werkstattleiterinnen und -leitern unterstützen die Studierenden, wenn sie nach dem geeigneten Material, der geeigneten Technik für ihre Ideen und Projekte suchen.

"Kunst lebt davon, laut zu sein."

Als Präsidentin wird Karen Pontoppidan Botschafterin aller Künstlerinnen und Künstler sein. Sie wird das System Akademie nicht auf den Kopf stellen, sondern dessen Stärken weiterentwickeln helfen. Die Kommunikation nach innen wie nach außen zu verbessern, ist ihr Anliegen. "Wir stellen uns bisher nicht so gut dar, wie wir sind." Vor allem will sie offene Gespräche über den Stellenwert der Kunst in der Gesellschaft anregen. Einerseits werde Kunst geschätzt, andererseits werde ihr aber nicht genügend Raum gegeben, sich zu entfalten. Kunst werde gerne behandelt "wie ein Kind, das gut angezogen in der Ecke stehen soll. Aber Kunst lebt davon, laut zu sein", bekräftigt die Künstlerin. Wie wichtig die Kunst für die Reflektiertheit einer freien Gesellschaft ist, das will Pontoppidan in ihrem Amt mit Nachdruck zum Thema machen.

Für dieses Amt verzichtet sie darauf, Ausstellungen zu kuratieren und zu publizieren. Aber sie wird weiterhin künstlerisch tätig sein. Als Anwältin für die Freiheit der Kunst wird Karen Pontoppidan erstmals bei öffentlichen Auftritten auch selbst Autorenschmuck tragen. Man kennt sie bisher nur ungeschmückt ganz in schwarz gehüllt. Wer in Zukunft der Präsidentin der Akademie begegnet, sollte deshalb auf die Botschaften achten, die sie nonverbal in die Öffentlichkeit trägt.

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