Süddeutsche Zeitung

Freizeit:So geht Karaoke in München

In den Karaoke-Kneipen der Stadt trällert man Schnulzen und Schlager. Eine Freizeitbeschäftigung, die auch ihre Tücken hat.

Von Franz Kotteder

Tom Jones hat ein bisschen Schlagseite, um es vorsichtig auszudrücken. Bei "Delilah" tastet er sich in der Melodie so durch; ein bis drei Halbtöne hin oder her sind ihm nicht so wichtig. Das ist in Ordnung, wir sind ja hier auch nicht in irgendeiner Touristenfalle in Las Vegas, sondern im Kilian's Pub neben der Münchner Frauenkirche.

Es ist Sonntagabend. Und Sonntagabends gibt's hier Karaoke, da darf jeder mal ans Mikrofon und sein Lieblingslied zum Instrumentalplayback herausgrölen. Sofern er vorher einen Zettel mit seinem Namen und seinem Musikwunsch beim Karaoke-DJ abgegeben hat. Auf der Festplatte seines Computers gibt es anscheinend nichts, was es nicht gibt. Was es genau gibt, kann man in einem dicken, schon ziemlich abgegriffenen Heftchen nachsehen, das an den Tischen ausliegt. Da drinnen stehen locker ein paar Tausend Lieder.

Karaoke kommt eigentlich aus Japan, wo es als Partybeschäftigung entdeckt wurde. Warum es aber ausgerechnet in den irischen Pubs der ganzen Welt so ausdauernd gepflegt wird, ist ein erstaunliches Phänomen. Eins zu eins übersetzt bedeutet das zusammengesetzte Wort "Karaoke" je nach Lesart "leeres Orchester" oder auch "leeres Fass". Letzteres klingt besonders schlüssig, denn ein wenig Alkoholmissbrauch ist der Sache durchaus dienlich. Vielleicht daher die Nähe zu den Irish Pubs, das Klischee schildert die Iren ja sowohl als trink- und sangesfreudig und bereit zur Selbstironie.

Die ist bei dieser Form der Freizeitbeschäftigung schon notwendig. Denn Karaoke hat ja manchmal auch seine Tücken. Zum Beispiel auf Betriebsfeiern. Wer da etwa zu späterer Stunde eine Version von "Marmor, Stein und Eisen bricht" im Stile von Campino, des Sängers der Toten Hosen, hinlegt, hat in der Regel noch länger was davon. Weil einen dann weitgehend unbekannte Kollegen aus abgelegenen Abteilungen auf den Gängen des Hauses mit einem wissenden Lächeln entgegenkommen und vielleicht sogar grüßen. Man kennt sich ja jetzt und weiß, was der andere für einer ist.

Erheblich unverfänglicher ist es da, wenn man der Gesangstätigkeit im geschützten Raum eines Karaoke-Kneipenabends nachgeht. Wobei es da auch Abstufungen gibt. Wer es lieber dezent hat, freundet sich wohl leichter mit der fernöstlichen Variante an.

Da gibt es in München zum Beispiel die Fire Dragon Lounge in der Paul-Heyse-Straße 29, ein chinesisches Feuertopf-Restaurant, das viel von in München lebenden Asiaten besucht wird. Freitags und samstags, spät in der Nacht, singen sie hier Karaoke zu Schlagern aus ihrer Heimat. Das ist lustig zum Zuschauen und -hören, Mitmachen ist eher schwierig. Wer kennt schon chinesische Schlager und kann die Schriftzeichen auf der Leinwand entziffern?

Das Mitkommen ist auch beim Thai-Restaurant Ratchada in der Schwanthaler-straße 8 nicht einfach. Es hat viele thailändische Schlager im Angebot; jeden Abend außer montags wird hier von 23 Uhr an gesungen. Es gibt auch internationale und sogar deutsche Nummern, aber bebildert durch Videos aus fernöstlicher Produktion. Die bestehen meist aus hübschen, jungen Mädchen, die ein bisschen dekorativ am Meer oder einer sonst exotischen Landschaft herumstehen. Zu "It's my Life" von Bon Jovi passt das nur bedingt. Macht aber nichts. Viel wichtiger ist, dass man im Ratchada nicht auf die Bühne muss, um zu singen. Man bekommt das Mikro mit Sender an den Tisch geliefert und kann also in geschützter Runde aus sich herausgehen.

Eine Gaudi für jedes Alter

Das tun viele Jugendliche aus der Münchner Thai-Community, oft gruppenweise. Aber auch drei Thailänderinnen um die 30 sind mit ihren deutschen Männern da und singen begeistert Lieder aus der Heimat. "Mei, das ist für sie ein Stück Heimat", sagt einer der Männer, der seinen Namen nicht nennen will, "da geh ich dann halt mit." In Bangkok hätten sie sich kennengelernt, "nicht etwa über den Katalog!", und auch wenn er Thailand sehr liebe: "Das Singen ist nichts für mich, in meinem Alter schon gar nicht." So um die 60 dürfte er sein. Was soll denn da erst Mick Jagger sagen, der ist doch schon 73? Der Mann winkt ab und lacht.

Rücksichtnahme dieser und anderer Art ist bei Karaoke freilich fehl am Platz. Dass es eine Gaudi für jedes Alter sein kann, lässt sich am besten in der Schwabinger Edel-Boazn Hopfendolde in der Feilitzschstraße 17, die auch unter dem Namen Paddy's Irish Pub firmiert, erleben. Dort singen sonntagabends die eher reiferen Herrschaften. Und man kann das im Kilian's (Frauenplatz 11), ebenfalls sonntagabends, ganz gut beobachten, ebenso wie in seinem Ableger, dem Kennedy's am Sendlinger-Tor-Platz 11 (dort aber mittwochs). Das Publikum ist hier zwar eher deutlich unter 60, aber in jeder Hinsicht sehr selbstbewusst.

"It's my Life", dröhnt auch im Kilian's aus den Boxen, aber auf der großen Leinwand erscheinen lediglich die Textzeilen und keinerlei dekorative Frauen. Bei "Bohemian Rhapsody" von Queen legt sich ein gewisser Orlando mächtig ins Zeug. Aber man hört dabei doch wieder deutlich heraus, warum der Sänger Freddie Mercury halt eine nahezu unersetzliche Fachkraft auf seinem Gebiet gewesen ist.

Orlandos Kollege Mario hingegen scheint der Experte für Italo-Schnulzen zu sein, "Già come vedi" aus Eros Ramazzottis "Code della vita" knödelt er mit vollendeter Inbrunst ins Mikro. An diesem Abend ist die Italien-Fraktion sowieso deutlich im Vorteil. Die 28-jährige Giorgia, die nach München kam, um Literatur zu studieren, und geblieben ist, legt eine fast perfekte Interpretation von "New York, New York" hin. Sag' noch mal einer, bei Karaoke könne man sich nur blamieren.

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Quelle:
SZ vom 04.11.2016/dsip
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