Karaoke in Bars:Mehr Jenny, weniger Shakira

Sie stellen sich auf die Bühne - obwohl nicht jeder Ton sitzt. Seit 20 Jahren singen in Deutschland Kneipenbesucher Karaoke. Profis werden ausgebuht, Normalos sind hier die Stars. Doch der nächtliche Gesangssport ist in Gefahr. Ein Besuch in der Münchner Hopfendolde.

Lisa Sonnabend

Jenny macht einen auf Shakira. "Underneath your clothes, there's an endless story." Die Hand umschlingt das Mikrofon wie ein Profi, die Stimme der 23-Jährigen durchdringt den Raum, wenn auch nicht bis in die hintersten Reihen. Die blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden, das schwarze Trägertop umspielt die Schulter, der Jeansrock ist kurz. Sie wippt mit dem Bein zum Takt der Musik. Nur die Hüften kreisen zu lassen, das ist nicht drin. Zu konzentriert blickt Jenny von der Bühne aus nach rechts oben, auf den Bildschirm, der den Liedtext anzeigt. Doch das macht gar nichts. Die Leute wollen Jenny sehen, nicht Shakira.

Hopfendolde Karaoke

"Ich singe zur Entspannung": Jenny singt seit 2005 Karaoke.

(Foto: Lisa Sonnabend)

Donnerstagabend in der Hopfendolde, einer Kneipe in der Schwabinger Feilitzschstraße. Karaokeabend. Die Gäste klatschen im Takt mit, als Jenny singt, sogar die Bedienung hinter der Bar. Die Leuchtgirlanden an den Fenstern blinken in bunten Farben. Ein Spaßvogel ruft laut: "Ausziehen!"

Seit 20 Jahren wird zwei Mal die Woche in der Hopfendolde die Karaokeanlage aufgebaut. Laut Wirt Ali war die Hopfendolde damals die erste Bar in München, in der die Gäste auf der Bühne singen durften. Und eine der ersten Bars in Deutschland. In Lokalen in Asien wird bereits seit 40 Jahren gesungen, 1992 schwappte der Trend nach Deutschland über.

Jenny kommt seit 2005 regelmäßig in die Hopfendolde. Sie sagt: "Ich singe zur Entspannung." Früher habe sie Gesangsunterricht genommen, doch dafür fehle ihr mittlerweile die Zeit. Fast jede Woche ist sie hier, trifft Freunde, trinkt ein Bier - und singt. Fünf Mal pro Abend steigt sie auf die Bühne.

Sie ist eine der Stars an diesem Abend. Denn beim Karaoke sind keine wahren Profis gefragt, die sich auf der Bühne bewegen wie Mick Jagger und die Lieder mit beeindruckender Stimme hinschmettern. Zu glatt, zu langweilig. Ebenso verpönt sind diejenigen, die keinen einzigen Ton treffen und deren Stimme nicht einmal in der ersten Reihe zu hören ist. Man will sich ja nicht fremdschämen. Dann gibt es noch diejenigen, die denken, sie könnten ganz wunderbar singen, Whitney Houstons "I will always love you" auswählen - sich jedoch maßlos dabei überschätzen. Sie werden schnell zum Kneipengespött. Die durchschnittlich begabten, die Normalos, sind beim Karaoke König. Nicht jeder Ton muss getroffen werden, nicht jede Bewegung Rockstar-Qualitäten haben.

Seit das Fernsehen die Casting-Show entdeckt hat, boomt der Gesangssport in Deutschland. Doch Karaoke-Bars profitieren nicht davon - im Gegenteil. Längst gibt es Karaoke-Spiele wie Singstar. Statt in der Kneipe wird nun am Sofa gesungen. Satt vom Barhocker aus wird sich nun vom Fernsehsessel aus amüsiert, nicht mehr über die Karaoke-Sänger in der Kneipe, sondern über Castingshow-Teilnehmer. Eine Statistik darüber gibt es keine, heißt es bem deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Wirt Ali aus der Hopfendolde sagt: "Die Abende sind ein bisschen ruhiger geworden bei uns."

Ali, der in Wirklichkeit Arshed Muhammad heißt, hat in seiner Heimat Pakistan Chemie studiert, ehe er in den Siebzigern nach Deutschland kam. Er wohnt mit seiner Familie in der Feilitzschstraße, ein Stockwerk über der Hopfendolde. Als 1990 ein neuer Besitzer für das Lokal gesucht wurde, stieg er ins Kneipengeschäft ein und führte kurze Zeit später Karaoke ein. "Es wurde gerade Trend - und da habe ich eine Anlage gekauft", erzählt er.

"Nur wer trinkt, singt"

Mittlerweile setzt die Hopfendolde zunehmend auch auf Sportübertragungen, bei wichtigen Fußballspielen ist das Lokal immer voll. An die zehn Bildschirme hängen in dem großen Raum, auf den unterschiedliche Sportarten übertragen werden. Fußball, Tennis, Snooker oder Dart. Auf einem Screen läuft gerade Armdrücken. Die Hopfendolde ist ein schummriges Lokal, das Licht ist gedämmt, die Gäste sitzen auf Bänken aus dunkelbraunem Holz. Die neunziger Jahre sind hier noch immer gegenwärtig, auch auf der Getränkekarte. Die Preise sind für Münchner Verhältnisse extrem günstig: Für 2,50 Euro bekommt man ein Helles, für 4,50 Euro eine Maß Bier.

Die meisten Gäste kennen sich, trinken zusammen eine Runde Schnaps an der Bar, lachen und streiten gelegentlich. Ali ist jeden Abend dabei. Er selbst greift allerdings nie zum Mikrophon. "Nur wer trinkt, singt", sagt der Wirt, grinst und nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas. Rocco, Gary, Judith, Michael, Anthony, Jenny und die anderen dagegen trinken offenbar schon, zumindest singen sie.

Beim DJ-Pult liegt der dicke Ordner mit dem Songverzeichnis. Über 12.000 Lieder umfasst er angeblich, von ABBA bis Zappa. Wer ein Lied ausgewählt hat, schreibt den Titel und seinen Vornamen auf einen Zettel, reicht diesen dem DJ, und wartet, bis er aufgerufen wird. Die Musik kommt vom Band, auf dem Bildschirm über der Bühne lesen die Hobbysänger den Songtext mit.

Am beliebtesten sind Klassiker, Cat Stevens "Father & Son", Wolfgang Petrys "Wahnsinn" oder "The Time of My Life" aus dem Film Dirty Dancing. Mutige greifen gelegentlich auch zu schwierigeren Nummern. Gerade versucht sich eine Gruppe Männer an "Paradise City" von Guns'n'Roses, immerhin das Haareschütteln sieht ähnlich gekonnt aus wie bei Sänger Axl Rose. Dann folgt Rocco mit dem souligen "Play That Funky Music", gewieft dreht er sich im Kreis, ohne sich dabei mit dem Mikrophon zu verheddern. Das Publikum singt mit, klatscht im Takt. Torti hat Madness mit "Our House" gewählt. Dann singt einer Robbie Williams "Feel", inbrünstig, aber ziemlich falsch.

Der 50-jährige Anthony ist zum vierten Mal hier. Der gebürtige Philippiner hat lange selbst in einer Band gespielt, nun singt er am liebsten Songs von Elvis Presley oder den Beatles nach. Er trägt enge Jeans, einen breiten Gürtel, Cowboyhut auf dem Kopf und setzt sich auf einen Barhocker. Er reißt dramatische Grimassen, als er Elvis mimt und das ruhige "Loving you" singt. Doch das Publikum ist nicht besonders ergriffen, wohl zu professionell. Dann, es ist nach Mitternacht, geht Jenny noch einmal auf die Bühne. Ihr Lied: Tina Turner, "Simply the best".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: