Kampf um Aufmerksamkeit:Gesicht zeigen

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Warum Parteien auch chancenlose Aspiranten ins Rennen schicken

Von Dominik Hutter

Es kann durchaus aufreibend sein, als Kandidat für die Münchner Oberbürgermeisterwahl ins Rennen zu ziehen. Infostand hier, Podiumsdiskussion dort, mal werden Fotos gemacht und mal muss der Bewerber Stellung beziehen zu irgendeiner politischen Frage. Und wofür das alles? Von den zwölf OB-Kandidaten, die bei der bislang letzten Kommunalwahl im Jahr 2014 angetreten waren, errangen neun weniger als 1,5 Prozent der Stimmen. Neben den beiden Großen Dieter Reiter (SPD, 40,4 Prozent) und Josef Schmid (CSU, 36,7) konnte im ersten Wahlgang nur noch die Grüne Sabine Nallinger mit 14,7 Prozent einen Achtungserfolg erzielen. Es folgte: Michael Mattar (FDP) mit 1,4 Prozent. Am wenigsten Stimmen bekam damals Karl Richter von der rechtsradikalen Bürgerinitiative Ausländerstopp (Bia) - 0,4 Prozent.

Abschreckend wirkt das offenbar nicht auf das Bewerberfeld. Statt der damals zwölf OB-Kandidaten treten bei der anstehenden Wahl am 15. März gleich 14 an. Nur drei der zugelassenen Stadtratslisten verzichten auf einen eigenen OB-Kandidaten, eine davon unfreiwillig: Heinz Meyer, von der Bia für den Chefposten vorgeschlagen, wurde wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue abgelehnt. Volt und die Rosa Liste haben sich von vornherein entschieden, nur für den Stadtrat anzutreten.

Dass die meisten Parteien und Gruppierungen, selbst sehr kleine, einen Kandidaten für die Nachfolge des erneut kandidierenden Dieter Reiter (SPD) aufstellen, hat vermutlich weniger mit Realitätsverlust oder Selbstüberschätzung als vielmehr mit dem Wahlkampf zu tun. In den Wochen vor dem Urnengang, wenn um Aufmerksamkeit und um Wählerstimmen geworben wird, hilft es, Gesicht zu zeigen. Das Gesicht eines Spitzenkandidaten. Gerade unbekannte Gruppierungen benötigen ein Wiedererkennungsmerkmal, einen persönlichen Touch. Dazu kommt: Auf viele Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen etwa, werden bevorzugt und manchmal auch ausschließlich OB-Kandidaten eingeladen. Wer dann keinen hat, darf vielleicht nicht kommen und vergibt die Gelegenheit, öffentlich für die eigenen Positionen zu werben. Im schwer überschaubaren Feld der zahllosen Kandidaten wird oft nur die Spitzenposition richtig wahrgenommen. Und das ist eben meist - mehr noch als der Listenführer - der OB-Kandidat.

Manchmal verzichtet eine Partei aus taktischen Gründen trotzdem auf diese werbewirksame Rolle: Die Grünen sind 1993 so vorgegangen, weil sie unbedingt einen Oberbürgermeister Peter Gauweiler (CSU) verhindern wollten. Um dem Kandidaten des Koalitionspartners SPD durch eine eigene Kandidatur keine Stimmen abzuknapsen, trat die damalige Spitzenfrau, Bürgermeisterin Sabine Csampai, nicht an - und Christian Ude schaffte den Sieg mit 50,8 Prozent gleich im ersten Wahlgang. Auch sechs Jahre später, 1999, schickten die Grünen niemanden gegen Ude ins Rennen, der seine einzigen Kontrahenten Aribert Wolf (CSU) und Rainer Stinner (FDP) mühelos schlug. Erst 2002 trat mit Hep Monatzeder, Csampais Nachfolger im Bürgermeisteramt, wieder ein Grüner für den Posten des Rathaus-Chefs an. Er kam auf 2,7 Prozent und steigerte sich bei der darauffolgenden Wahl 2008 auf 3,4 Prozent.

Die beiden Bürgermeister werden übrigens anders als der Oberbürgermeister nicht direkt von den Münchnern gewählt, sondern durch den Stadtrat bestimmt. Ein Wechsel auf dieser Ebene ist in der neuen Amtsperiode schon sicher: Denn die langjährige SPD-Politikerin Christine Strobl, die zunächst als Zweite und seit 2014 als Dritte Bürgermeisterin wirkte, tritt nicht mehr an. Aktuell ist der Fraktionschef der CSU, Manuel Pretzl, Zweiter Bürgermeister. Wie genau es nach der Wahl weitergeht, ist offen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die Besetzung der Bürgermeisterposten die Mehrheitssituation im Stadtrat widerspiegelt. Falls es denn eine Koalition oder zumindest ein lockeres Bündnis gibt. Denkbar ist auch eine Politik der wechselnden Mehrheiten.

© SZ vom 28.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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