Kampf gegen Diskriminierung:Münchner Alltag

Ein Patient, der nicht behandelt wird, weil er Italiener ist. Ein Mann, dessen Konto gesperrt wird, weil er Iraner ist. Mehr als 2000 Menschen melden sich pro Jahr bei der Antidiskriminierungsstelle in München wegen Rassismus. Neun Beispiele aus den vergangenen Monaten.

Lisa Sonnabend

Herbstsonne in Berlin

Frauen mit Kopftuch werden häufig Opfer von Diskriminierung.

(Foto: dpa)

Angela Dellner-Aumann und Theresia Danco sitzen in ihrem Büro in der Burgstraße 4, nur wenige Schritte vom Marienplatz entfernt. Vor ihnen zwei Tassen Tee. Für die beiden Sozialpädagoginnen ist es nicht immer einfach, ruhig zu bleiben. Sie arbeiten bei Amigra, der Antidiskriminierungsstelle für Menschen mit Migrationshintergrund der Stadt München. Wer sich wegen seiner ethnischen Herkunft, Sprache, Religion oder Weltanschauung benachteiligt fühlt oder wer Zeuge eines Diskriminierungsfalles wird, kann sich seit 2003 an Amigra wenden. Und das machen viele. Mehr als 2000 Menschen pro Jahr kontaktieren Dellner-Aumann und Danco. Ihre Argumentationsbasis: die Menschenrechte. Doch eine Diskriminierung zu beweisen, ist oft nicht einfach. Wie belegt man eine Stichelei, wenn es keine Zeugen gibt? Wie überzeugt man eine Direktorin, nicht dem Lehrer zu glauben, sondern dem Schüler? Dellner-Aumann und Daco schildern anonymisierte Münchner Fälle aus den vergangenen Monaten:

Zwei Schülerinnen tragen während des Sportunterrichtes ein Kopftuch. Die Lehrerin fordert sie auf, es abzunehmen. Die Mädchen weigern sich. Die Lehrerin besteht jedoch darauf und sagt: "Religion ist ein Privatangelegenheit. Ich trage ja auch kein Schild, auf dem 'Evangelische Sportlehrerin' steht, auf dem T-Shirt." Dann fragt sie: "Werdet ihr gezwungen, das Kopftuch zu tragen?" Die Mädchen antworten: "Wir machen das freiwillig." Die Lehrerin: "Das sagen ja alle." Und das alles vor versammelter Klasse. So schildert die Mutter einer Schülerin das Geschehen.

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Ein schweratmender Italiener ruft bei Amigra an und beschwert sich, er sei eben in der Arztpraxis schlecht behandelt worden, er sei praktisch rausgeschmissen worden und wolle nun Diskriminierung anmelden. Danco sagt zu ihm: "Stopp, im Moment steht ein anderes Problem im Vordergrund, Sie atmen ganz schwer." Sie informiert ein Städtisches Krankenhaus. Der Mann ist sieben Tage lang krank. Der Arzt wird von Amigra aufgefordert, Stellung zu beziehen. Er leugnet alles - natürlich auch aus Angst, wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt zu werden.

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Einem iranischen Geschäftsmann werden alle Kreditkarten von der Bank eingezogen. Der Mann hat sich bereits mehrmals beschwert. Der Grund, der ihm für die Sperrung seiner Konten genannt wird: ein Embargo gegen Iran. Die Antidiskriminierungsstelle schreibt daraufhin das Bankinstitut an mit der Bitte um Aufklärung. Kurze Zeit später ruft eine Mitarbeiterin an und bedankt sich, dass die Stadt sich um den Fall kümmere. Wenig später bekommt der Mann positive Nachrichten und kann endlich wieder seinen Geschäften nachgehen. Ein Sachbearbeiter hat von einem Embargo gelesen und gedacht: "Um Gottes willen, da sperre ich ihm am besten sämtliche Konten."

Bohrende Blicke und Schmierereien an der Haustür

Eine Eisdiele in der Nähe eines Gymnasiums. Das Angebot ist üppig: Vanille, Erdbeere, Zuppa Romana. Auf dem Schild vor einer Sorte steht "Eisneger", die Bezeichnung der Besitzer für Schokoladeneis. Eine Schülerin bittet die Besitzerin, das Schild zu entfernen. Nichts passiert. Jedes Mal, wenn die Schülerin sich ein Eis kauft, wiederholt sie die Bitte, doch der "Eisneger" bleibt. Als die junge Frau, mittlerweile hat sie da Abitur gemacht, von der Antidiskriminierungsstelle erfährt, meldet sie den Fall. Der Gewerbebeauftragte wird informiert. Wenige Tage später erhält die junge Frau einen Brief mit einer Entschuldigung und eine Kopie mit der Aufforderung an die Eisdiele, das Schild zu entfernen, da sonst eine Anzeige von Betroffenen drohe. Noch am gleichen Tag ist der "Eisneger" endlich verschwunden.

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Eine der Kundinnen von Theresia Danco ist etwa 1,80 Meter groß, trägt bunte Kleider und einen Turban. Einmal trifft Danco sie in einem Kaufhaus, tippt sie an und ruft ihren Namen. Die Frau erschrickt, weil sie denkt, das muss mal wieder die Polizei sein. Als sie Danco erkennt, ist sie so erleichtert, dass sie ihr in die Arme fällt. Danco sagt: "Ich werde allerdings die Blicke der umstehenden Leute nie vergessen! Die wollten mir beinahe schon zu Hilfe eilen. Es muss sich etwas ändern, wie wir Menschen, die ein bisschen anders aussehen, anblicken."

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Viele Menschen mit Migrationshintergrund leiden unter den Anfeindungen aus der Nachbarschaft. Sie bekommen böse Briefe, ihre Türen werden verschmiert. Das Problem: Es ist oft schwierig, dagegen vorzugehen, denn der Täter ist nicht auffindbar. Oft ziehen deswegen die aus, die geschmäht werden, die die Schmierereien abbekommen. Weil sie es nicht mehr aushalten. "Eine große Ungerechtigkeit, doch so läuft es leider", sagt Dellner-Aumann. Eine asiatische Frau, die einen deutschen Mann und ein kleines Kind hat, wird ständig angegangen, wenn sie alleine mit ihrem Baby unterwegs ist. Eine Nachbarin schimpft, sie sei zu laut sei, gehe falsch mit dem Kind um. Doch wenn die Frau mit ihrem deutschen Mann gemeinsam unterwegs ist, ist diese Nachbarin immer äußerst freundlich. "Ein Problem bei solchen Fällen ist, die Anschuldigungen glaubhaft und belegbar zu machen", sagt Dellner-Aumann. Die Antidiskriminierungsstelle versucht deswegen die Leute zu bewegen, Buch zu führen und aufzulisten, wann was genau vorgekommen ist.

Tomas (Name geändert), ein Schüler mit Migrationshintergrund, hält es an der Schule nicht mehr aus. Er werde von den Mitschülern drangsaliert, die Lehrerin unterstütze ihn zu wenig, doch niemand würde dagegen etwas unternehmen. Auf Nachfragen der Mutter sagt die Lehrerin immer wieder, der Junge bilde sich alles nur ein. Einmal wird der Klasse die Aufgabe gestellt, ein Bild auszumalen. Tomas macht dies wunderschön und farbenfroh. Doch dann nimmt ein anderer Junge ihm das Bild weg, gibt ihm seines und behauptet, das schöne Bild sei seines. Die Lehrerin glaubt dem anderen - obwohl zwei Mädchen rufen: "Nein, nein, das gehört Tomas." Die Lehrerin befragt daraufhin die Mutter des Jungen, der die Blätter vertauscht hat, ob es sein könne, dass das Bild von ihrem Sohn sei. Die Mutter von Tomas dagegen wird von der Lehrerin nicht befragt. "Darin besteht eindeutig eine Diskriminierung", sagt Dellner-Aumann.

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Ein muslimischer Mann muss etwas im Sozialbürgerhaus erledigen. Dort fühlt er sich jedoch von dem Sachbearbeiter gedemütigt und wendet sich an die Antidiskriminierungsstelle. Amigra trifft sich daraufhin mit beiden Seiten zu einem klärenden Gespräch. Der Sachbearbeiter, der eine recht ruppige Art hat, hat mehrmals zu dem muslimischen Mann gesagt: "Beim nächsten Mal bringen Sie unbedingt Ihren Ausweis mit!" Der Mann hat dies als bloßstellend empfunden, der Sachbearbeiter beteuert dagegen, es nicht böse gemeint zu haben. Zum Schluss liegen sich der Mann und der Sachbearbeiter in den Armen. Die muslimische Familie lädt den Sachbearbeiter zum Essen ein, doch der darf die Einladung wegen Vorteilsnahme im Amt nicht annehmen.

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Der 14-jährige Felix ist ein leidenschaftlicher Fußballer. In seiner Mannschaft spielt auch ein dunkelhäutiger Junge. Bei einem Punktespiel beschimpft der Vater eines Gegners den dunkelhäutigen Jungen mehrmals als "Neger". Felix und sein Team unterbrechen daraufhin die Partie und verlangen, dass dem Vater die rote Karte gezeigt werde. Der Schiedsrichter sagt, er habe die Beschimpfungen nicht gehört. Felix' Mannschaft, die zu dem Zeitpunkt mit 0:2 zurückliegt, beschließt, das Spiel abzubrechen. Felix meint, als er der Antidiskriminierungsstelle die Geschichte erzählt: "Wir haben das Spiel verloren, aber irgendwie sind wir doch die Gewinner."

Die Antidiskriminierungsstelle ist zu erreichen unter 089/23325255 oder per Mail an amigra.dir@muenchen.de. Weitere Informationen zur Arbeit von Amigra gibt es hier.

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