Kampf gegen die EU:Müssen Verbraucher vor dieser Kiwi geschützt werden?

Kampf gegen die EU: Kiwi - Doppelkiwi Foto: oh

Kiwi - Doppelkiwi Foto: oh

(Foto: oh)
  • Die Münchner Biomarktkette VollCorner hatte verwachsene Kiwis im Angebot. Ein Kontrolleur prangerte das sofort an.
  • Mehrere Verordnungen erschweren den Verkauf: Der Anteil der Doppelkiwis unter allen angebotenen darf höchstens zehn Prozent betragen. Außerdem dürfen sie generell nur im Verbund mit "normalen" verkauft werden.
  • Der VollCorner-Geschäftsführer will ein Zeichen setzen "gegen staatlich verordnete Lebensmittelverschwendung" und notfalls auch vor Gericht ziehen.

Von Jasmin Siebert

In der Mitte der Zwillingskiwi prangt ein Aufkleber mit einem Mausgesicht. Die beiden Kiwis sollen die Ohren bilden. Mit viel Fantasie wird so aus einer genetischen Anomalie, die bei etwa 20 Prozent der Kiwis auftritt, eine Kiwimaus. Die Münchner Biomarktkette VollCorner hat die Früchte nach eigenen Angaben vor ein paar Wochen ins Sortiment aufgenommen. Prompt entdeckte ein Kontrolleur des Instituts für Ernährungswirtschaft und Märkte die Früchte und forderte den Biomarkt auf, sie aus dem Sortiment zu nehmen. Geschäftsführer Willi Pfaff weigerte sich: "Ich wollte ein Zeichen gegen staatlich verordnete Lebensmittelverschwendung setzen."

Doch was ist das Problem mit den Doppelkiwis? Generell verboten sind sie nicht, nur darf ihr Anteil unter den angebotenen Kiwis zehn Prozent nicht überschreiten, besagt eine EWG-Verordnung von 1990. Außer für Kiwis gibt es solch strenge Vermarktungsnormen noch für neun weitere Obst- und Gemüsesorten, etwa Äpfel, Tomaten und Erdbeeren. Je nach Perfektionsgrad werden sie in drei Handelsklassen eingeteilt: Extra, I und II. Bioware ist meist Klasse II: Dort ist die Toleranz für kleine Makel, Abweichungen in Größe und Form größer. Auch ist es erlaubt, dass zehn Prozent der Früchte von der Norm abweichen.

"Hier beginnt für mich die Unsinnigkeit", sagt Biopionier Willi Pfaff, der seinen ersten VollCorner-Laden 1988 eröffnet hat. Wenn Doppelkiwis generell verboten wären, hätte er sie vielleicht aus dem Sortiment genommen. Doch dass sie im Verbund mit normalen Kiwis verkauft werden dürfen, nicht jedoch alleine, findet er wenig einleuchtend. So bleiben die Kiwis "Maus" für 49 Cent das Stück im Regal.

Pfaff bezieht die Kiwis vom Bio-Großhändlerbetrieb Weiling, sie wachsen auf den Plantagen der AgricolliBio GmbH im italienischen Latina bei Rom. "Auf den Feldern sind Mehrfachfrüchte sehr präsent. Bei der Ernte machen sie etwa 20 Prozent aus", sagt Geschäftsführer Alexander Feulner. "Doch keiner will sie." Der Handel nicht wegen der Normen und die verarbeitende Industrie nicht, weil in die Schälmaschinen nur einfache Kiwis passen.

"Ich habe kein Problem mit Doppelkiwis", sagt Peter Sutor, Leiter des Instituts für Ernährungswirtschaft und Märkte. Lebensmittelnormen gebe es zum Schutz der Verbraucher und Sutor müsse sich als vereidigter Beamter an die Gesetze halten. Die Doppelkiwis hätten einen größeren Strunk, der eher verholze als der normaler Kiwis. Das höhere Gewicht bedeute nicht automatisch mehr Fruchtfleisch. Mit einer Ausnahmegenehmigung dürften aber auch nicht perfekte Früchte eine Zeitlang verkauft werden.

Pfaff übt grundsätzliche Kritik am System der Lebensmittelnormen: "Lebensmittel zu klassifizieren, ist Unsinn. Wir wollen natürliche Lebensmittel, keine normierten." Am schlimmsten findet er, dass sich die Normen ausschließlich auf die Optik beziehen und der vermeintliche Verbraucherschutz nur ein Vorwand sei. "Man müsste auch andere Kriterien wie Pestizide, Geschmack und sozialen Hintergrund der Bauern miteinbeziehen." Die bisherigen Normen dienten vor allem der Großindustrie. Gleich große Früchte ließen sich platzsparender verpacken und transportieren. Den gleichen Punkt merkt auch Sutor an.

Carsten Wille mit Gemüsekiste, einer der drei Gründer des Startups Etepetete am Eingang Sieglindenstraße 2.

"Wer is(s)t schon gern normal?", fragt das Start-up Etepetete. Mitgründer Carsten Wille verkauft auch die angeprangerten Doppelkiwis.

(Foto: Florian Peljak)

Er betont jedoch, dass es in den vergangenen 15 Jahren einen Wandel gab. Während sein Institut früher noch viele Waren verbieten musste, ist es heute eher so, dass die Händler Gemüse ablehnen, das seine Leute als einwandfrei einstufen. Sutor, der selbst 30 Hektar Kartoffeln anbaut, sieht das Problem weniger bei den Normen als beim Konsumenten. Immer wieder gibt es Aktionen von Supermärkten mit "Sonderlingen". So würden sich herzförmige Kartoffeln zwar zum Valentinstag gut verkaufen oder deutsche Äpfel mit Hagelschaden, wenn dies als Unterstützung für betroffene Bauern angepriesen ist, doch auf Dauer blieben die unförmigen Früchte liegen.

Pfaff hat neue Doppelkiwis geordert, andere Biomärkte haben es aus Solidarität ihm gleichgetan. "Ich werde Mauskiwis verkaufen, so lange es welche gibt", sagt Pfaff. Zunächst einmal so, wie es das Recht vorsieht: in einer Kiste gemischt mit einfachen Kiwis. Sonst drohen bis zu 2000 Euro Bußgeld. Pfaff möchte aber erreichen, dass die Kiwiverordnung geändert wird. Sutor hat ihm die Adressen bei EU und bayerischer Regierung gegeben. Sollten die Mauskiwis bis zur nächsten Ernte nicht legal sein, möchte Pfaff vor Gericht ziehen.

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