Süddeutsche Zeitung

Literatur:Fragen an das Schicksal

Die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev liest im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele.

Von Antje Weber, München

Das Schicksal meint es nicht immer gut mit den Menschen. Eine einzige Fehlentscheidung kann ein Leben für immer verändern, ja beenden. Das ahnen die Figuren aus Zeruya Shalevs neuem Roman "Schicksal" (Berlin Verlag) nicht nur, sie wissen es aus eigener, leidvoller Erfahrung.

Die israelische Schriftstellerin ist eine Meisterin darin, die Fäden unterschiedlichster Menschen und historischer Ereignisse miteinander zu verweben - in einer Intensität und Vielschichtigkeit, die ihre Romane immer wieder zu Bestsellern machen. Am 9. November wird die Schriftstellerin im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele lesen. Sie ist nicht die einzige prominente Schriftstellerin, die in diesem Herbst dort Station macht: Vor wenigen Wochen war Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk dort zu erleben, am 23. November liest der Schauspieler Edgar Selge aus seinem Kindheitsbuch, am 26. November der französische Erfolgsautor Edouard Louis.

Das Private ist in ihren Romanen nicht vom Politischen losgelöst

Doch zurück zu Zeruya Shalev. Im neuen Roman verknüpft sie die Schicksale zweier sehr unterschiedlicher Frauen: Da ist zum einen die über 90-jährige Rachel, die in ihrer Jugend als Freiheitskämpferin an Anschlägen gegen die herrschenden Briten beteiligt war und in dieser Zeit die Liebe ihres Lebens kennenlernte - doch eine folgenschwere Entscheidung, scheinbar zufällig, beendete die kurze Ehe jäh. Nun sitzt Rachel mit ihrem gut verborgenen Geheimnis in einer Wohnung in den besetzten Gebieten - nicht nur etliche Kilometer, sondern auch gedanklich weit entfernt von der zweiten Hauptfigur Atara, die ihre Tochter sein könnte. Die ist verstrickt in eine unglückliche Ehe, versucht ihre disparate Patchwork-Familie zusammenzuhalten und nebenbei die traumatische Beziehung zu ihrem Vater aufzuarbeiten. Der wiederum war der ausgeblendete Gatte der Greisin Rachel - und als beide Frauen schließlich in ein mühsames Gespräch über die Vergangenheit kommen, schlägt das Schicksal wieder unheilvoll zu.

Shalev erzählt davon wie immer mit einem guten Gespür für Spannung wie auch Psychologie. Wie stets in ihren Romanen ist das Private dabei nicht vom Politischen losgelöst: Die blutigen Anfänge des Staates Israels werden ebenso mitverhandelt wie die heutigen Leiden eines jungen Elitesoldaten, der nach Sinn sucht. Dass in solchen Krisen ausgerechnet das orthodoxe Judentum eine Zuflucht bieten kann, schildert Shalev in aller Ambivalenz. Und auch wenn ihre Protagonisten daran scheitern, Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu finden: Wichtig ist für Shalev, über alle Differenzen hinweg im Gespräch zu bleiben, den Erzählfluss nicht versiegen zu lassen. Denn, wie sie einen Rabbi sagen lässt: "Das Erzählen der Geschichte an sich ist ein Akt der Erlösung!"

Zeruya Shalev, Di., 9. Nov, 20 Uhr, Kammerspiele, Schauspielhaus, muenchner-kammerspiele.de

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