Kammerspiele: König-Ludwig:Drei Stunden Leiden

Er hat gelebt, er hat gelitten - und ist an sich selbst zerbrochen: In den Münchner Kammerspielen inszeniert Ivo van Hove das Leben des Märchenkönigs.

Tobias Dorfer

Manche Geschichten beginnt man am besten mit ihrem Ende. Da tritt der Märchenkönig von der Bühne ab. Der Bühne, auf der er sein Leben mit all dem Pomp und Prunk, mit dem Wahnsinn, den Abgründen und der ihm eigenen Leidenschaften inszeniert hat. Ludwig II., verfolgt von einer Kamera, lässt sich von der Gardrobiere den Mantel reichen, hakt sich bei seinem Leibarzt Dr. Gudden unter, und verlässt die Münchner Kammerspiele.

König Ludwig II

Ein ungewohnter König Ludwig II.: Jeroen Willems in den Kammerspielen München.

(Foto: Jan Versweyveld / oh)

Das Paar läuft, begleitet von einer Kamera, die Maximilianstraße hinauf. Auf der Leinwand ist zu sehen, wie Regen auf die Schirme prasselt, neben den Schirmen wirbeln Schneeflocken. Hinter den Männern läuft ein Mann her, der mit einem Schlauch für den Regen sorgt. Dann die Oper, die Feldherrenhalle am Odeonsplatz. Immer weiter. Irgendwann werden Ludwig und Dr. Gudden von ihrer Umgebung verschluckt. Auf der Bühne im Theater gibt Graf von Holnstein noch bekannt, dass der König Selbstmord begangen hat und dafür auch seinen Arzt töten musste. Dann geht das Licht aus.

Knapp drei Stunden lang hat der Märchenkönig gelebt und gelitten. Hat seine Paranoia zu Schau getragen, Träume gebaut und selbst wieder eingerissen, ist seinen Leidenschaften erlegen - und, allzu offensichtlich, auch dem männlichen Geschlecht. Die allzu deutliche Darstellung der homosexuellen Neigungen des Märchenkönigs, hat dem Film Ludwig II. von Luchino Visconti aus dem Jahr 1972 viel Kritik eingebracht und die Zensoren gut beschäftigt.

Nun hat der belgische Regisseur Ivo van Hove zum 125. Todestag Ludwigs für die Kammerspiele eine Bühnenfassung von Viscontis Werk erarbeitet, die sich - wie der Film - eng an der Biographie des Königs entlang hangelt. Historische Zusammenhänge rücken bewusst in den Hintergrund. Sie dienen lediglich als Rahmen für die Darstellung von Ludwigs Leben.

Der Belgier Jan Versweyveld, der für die Bühne verantwortlich ist, geht für die Theaterversion sogar noch einen Schritt weiter. Nicht einmal mehr die historische Kulisse lenkt von der Person Ludwig ab. Eingegrenzt von schwarzgrauen Wänden schafft sich der König mit weißer Kreide seine Welt selbst. Wie aus dem Nichts entsteht mit wenigen Strichen ein Schloss, noch ein Schloss, der Mond, ein Sternenhimmel. Und wenn es dunkel wird auf der Bühne (und das geschieht häufig), dann sieht das Publikum das Schaffenswerk des Nachtmenschen Ludwig in voller Pracht.

Jeroen Willems ist ein ungewohnter Ludwig. Seine Gesichtszüge sind markant. Und mit seinem kurzen, gestylten Haar, dem offenen Hemd und dem gut sichtbaren Brusthaar sieht der in eine weiße Uniform gekleidete Akteur so gar nicht wie ein Monarch aus, sondern eher wie ein abgehalfterter Schlagersänger. Rastlos irrt er über die Bühne und durch sein Leben.

Immer wieder treten Menschen vor ihn, die ihn beeinflussen, verraten, bedrängen. Der Pater und seine Cousine Sisi, die ihn zur Heirat mit Sisis jüngerer Schwester Sophie überreden wollen. Graf von Holnstein, der ihn drängt, den von Otto von Bismarck entworfenen Kaiserbrief zu unterschreiben und damit die Eigenständigkeit Bayerns aufzugeben. Arzt Bernhard von Gudden, der später ein Gutachten für die Regierungskommission schreibt, das den bauwütigen Märchenkönig für geisteskrank erklärt.

Intensiv beschreibt Regisseur van Hove, wie der Märchenkönig immer mehr dem Wahnsinn verfällt. Wie er die Nacht zum Tag macht, sich in die Einsamkeit seiner Märchenschlösser zurückzieht, die Politik vernachlässigt und sich lieber mit den attraktiven Stallburschen vergnügt.

"Was soll ich in Tirol?"

Konsequent setzt der Regisseur auf seinen Hauptdarsteller, der fast fortlaufend auf der Bühne zu sehen ist. Die anderen Protagonisten rücken in den Hintergrund. Nur wenigen gelingt es, sich im Schatten von Jeroen Willems hervorzuheben. Brigitte Hobmeier etwa, die eine wunderbar elfenhafte Kaiserin Sisi gibt, fernab von jedem Kitschfilmklischee. Oder Wolfgang Pregler als geldgieriger Komponist Richard Wagner, dem es sehr offensichtlich nur um eines geht: dass Ludwig II. seine Rechnungen bezahlt und ihm ein schönes Konzerthaus errichtet.

Eingekreist von den Zwängen, den gesellschaftlichen und politischen Erwartungen zu entsprechen, entfremdet sich Ludwig immer weiter von seiner Welt. Er flüchtet sich in die Welt der Kunst, der homoerotischen Leidenschaften, der Architektur. Als seine Gegner dann beschließen, den König für geisteskrank erklären zu lassen und ihm damit die Macht zu nehmen, ist Ludwig die Lebensgrundlage entzogen. Er könne ja nach Tirol gehen, schlägt ihm Graf von Dürckheim (Edmund Telgenkämper) vor. "Was soll ich in Tirol?", fragt Ludwig.

Wenn die Bühne zusammenbricht und die Inszenierung eines Lebenstraums wie eine Seifenblase zerplatzt, bleibt nur noch der Gang ins Wasser. Es ist eine große Leistung von Regisseur van Hove und Ludwig-Darsteller Willems, dass der Märchenkönig - trotz aller Schwächen - am Ende nicht als Witzfigur dasteht. Natürlich: Es wird nicht verschwiegen, dass er seine Verlobte Sophie Elsa nennt, nach der Heldin aus Wagners Oper Lohengrin. Oder dass er den Schauspieler Joseph Kainz (Stephen Scharf) dazu zwingt, nur in Zitaten aus Theaterstücken zu sprechen.

Van Hove geht es jedoch um mehr als um drollige Spleens: Um die Gesamtheit eines an sich selbst und seiner Umwelt zerbrochenen Menschen, dessen Leben bis heute unzählige Menschen fasziniert.

Als Professor Gudden Ludwig von seiner Absetzung unterrichtet, steht der König auf dem Tisch, an dem der Arzt sitzt. Ein letztes Mal steht er über den anderen. Ludwig könnte schreien, um sich schlagen - doch er kickt lediglich sanft die Blätter des Gutachtens über die Tischplatte. "Ein solches Possenspiel war doch nicht nötig", sagt er. "Ein Wort nur, und ich hätte selbst den Entschluss gefasst abzutreten."

Dann tritt er ab. Verlässt die Bühne. Nimmt den Mantel. Und kommt nicht wieder.

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