Kammerspiele: "Belagerungszustand":Ein Stück voller Zumutungen

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Das Glück hat keinen Platz mehr: An den Münchner Kammerspielen wird "Belagerungszustand" von Albert Camus aufgeführt.

Sabine Leucht

Zu Beginn des Dramas ist der junge Arzt Diego "mit Glücklichsein beschäftigt". Am Ende ist er "mit dem Sterben im Reinen (...) Das Glück hat keinen Platz mehr." Dazwischen ist Albert Camus' Stück viel hin und her gesprungen, hat seine Hauptfigur in die Rolle des erwartungsfrohen Freiers, des Weltverbesserers und zuletzt des Thesenträgers gesteckt, der fast wortwörtlich aus Camus' Essay "Der Mensch in der Revolte" zitiert.

Stefan Merki und Michaela Steiger in Camus' Belagerungszustand. (Foto: Foto: Arno Declair)

Und doch bleibt dieser vielfach Gebeutelte stets festgezurrt in der Unvereinbarkeit von privatem Glück und dem Besten für die Gesellschaft. Einer Gesellschaft zudem, von der er immer sicherer weiß, dass sie sein Engagement nicht verdient. Sein vermeintlicher Heldentod ist demnach so sinnlos, wie man es von einem erwartet, der der Feder des Meisters des Absurden entsprungen ist. So mag Diego zwar ein Bruder des Sisyphos sein, aber sicher kein glücklicher Mensch.

Camus' "Der Belagerungszustand" ist 1948, bei der Uraufführung durch Jean Louis Barrault, gnadenlos gefloppt. Christoph Frick, der die moderne Tragödie heute an den Kammerspielen auf die Bühne bringt (Beginn: 20 Uhr), lacht darüber herzhaft. Er versteht, weshalb "Caligula" und "Die Gerechten" öfter gespielt werden, Regisseure aber statt zum "Belagerungszustand" eher auf den inhaltlich verwandten Roman "Die Pest" zurückgreifen. Da habe man, so Frick, "ein Qualitätsprodukt in der Hand".

Den Endvierziger, der aus der freien Szene der Schweiz stammt und zum ersten Mal in München inszeniert, begeistern allerdings gerade die Zumutungen des Stücks, darunter die unvermittelte Abfolge von Massenauftritten, lyrischen Monologen, psychologischen, chorischen, choreographischen und pantomimischen Szenen. Fricks Ausgangsfrage sei stets "Wozu braucht man eine Bühne?" - und hier brauche er sie, "um sonst miteinander verbackene Verhältnisse räumlich nebeneinander zu stellen und multiperspektivisch aufzufächern". Zum Beispiel das Duo aus Angst und Tod, das im "Belagerungszustand" als "Pest" und "Sekretärin" auftritt und ein bürokratisches Zwangssystem errichtet. Womit es in einer auf Ordnung, Stillstand und Wegschauen eingeschworenen Gesellschaft leichtes Spiel hat.

Matthias Günther, der Fricks Inszenierung dramaturgisch begleitet, sieht wohl die Verwurzelung der Geschichte im besetzten Frankreich, die darin gezeigte bürgerliche Gesellschaft habe jedoch viel mit uns zu tun. Wenn in abstrusen Fragebögen Existenzbescheinigungen verlangt werden, lugt der Faschismus um die Ecke, Günther verweist aber auch auf "das entwürdigende Menschenbild, das bei Flughafenkontrollen hergestellt wird und das wir hinnehmen, weil uns erklärt wird: Einer von euch könnte eine Bombe dabei haben!"

Denn interessanterweise ist nicht Panik, sondern das schleichende Hinnehmen von Dingen die Hauptfolge der Pest - resultierend aus dem stillschweigenden Eingeständnis, die Katastrophe auch verdient zu haben. Und von dieser stillen Hysterie ist heutzutage die ganze westliche Welt befallen.

© SZ vom 04.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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