Blick in die ZukunftSchöne Jahreskalender aus München

Lesezeit: 7 Min.

Zilp-Zalp, ruft der Vogel. Aber es geht nicht um Natur in diesem Kalender, sondern um Gedichte, herausgegeben von der Stiftung Lyrik Kabinett.
Zilp-Zalp, ruft der Vogel. Aber es geht nicht um Natur in diesem Kalender, sondern um Gedichte, herausgegeben von der Stiftung Lyrik Kabinett. (Foto: Stiftung Lyrik Kabinett)

Zeitgenössische Lyrik, Industriekultur, Heiteres für Kinder und junge Kunst: Die neuen Kalender erzählen viel über München. Eine Auswahl.

Von SZ-Autorinnen und -autoren

Der Kunstnachwuchs

"Der große Frost" der Klasse Brack ziert das Juli-Kalenderblatt des LFA Kunstkalenders 2025.
"Der große Frost" der Klasse Brack ziert das Juli-Kalenderblatt des LFA Kunstkalenders 2025. (Foto: Robert Brembeck)

Künstler ticken anders. Wäre das nicht so, wären sie keine. Dass der Juli den „Großen Frost“ zeigt, im diesjährigen Kunstkalender „Next Generation 2025“ der Landesförderanstalt (LfA), ist also nur konsequent. Abgebildet ist eine Rauminstallation samt Performance, in der synthetische Eisplatten, ein Kran und Menschen in Pelzen zu sehen sind, die auf Schlittschuhen ihre Bahnen durch einen Akademiesaal ziehen, als seien sie einem russischen Roman aus dem 19. Jahrhundert entglitten.

Der Kalender erscheint seit 1997 als wichtige Plattform für den Kunstnachwuchs aus Bayern. Die LfA begreift es als ihre Aufgabe, als staatliche Spezialbank zur Förderung der bayerischen Wirtschaft, auch Kreative zu unterstützen, die weniger vordergründig das Bruttosozialprodukt des Freistaats anheizen.

Zu sehen sind auf den Monatsblättern ausgewählte Werke aus den jeweiligen Jahresausstellungen der Kunstakademien in München und Nürnberg. Neben der gedruckten Version gibt es eine Online-Ausgabe, in der kurze Videos veranschaulichen, worum es geht. Der QR-Code auf dem jeweiligen Kalenderblatt führt direkt dorthin. Susanne Hermanski

Next Generation, LfA-Kunstkalender 2024, auch digital abrufbar unter lfa.de/kalender

Industriestadt München

Ein Foto vom Werksgelände der Lokfabrik Kraus aus dem Jahr 1913: in der Mitte der Kamin des Heizkraftwerks der Bahn, in dem heute die Freiheiz-Halle ihren Sitz hat als Veranstaltungsort für Konzerte und Parties.
Ein Foto vom Werksgelände der Lokfabrik Kraus aus dem Jahr 1913: in der Mitte der Kamin des Heizkraftwerks der Bahn, in dem heute die Freiheiz-Halle ihren Sitz hat als Veranstaltungsort für Konzerte und Parties. (Foto: Bayerisches Wirtschaftsarchiv )

Hip-Hop, Partys und angesagte Szenebands – die Milla im Glockenbachviertel ist einer der beliebtesten Clubs in München. Wer weiß schon, dass in dem Gebäude Holzstraße 28-30 früher die Westermühle stand, urkundlich erwähnt bereits ab 1335, die aus der fließenden Isar Energie zum Sägen und Mahlen erzeugte. Später lieferte der Westermühlbach dann den Strom für das heutige Gebäude, in dem die ehemalige Fabrik des Elektrotechnik-Pioniers Alois Zettler ihren Sitz hatte – und heute eben die Milla. Die Firma existiert übrigens heute noch in Puchheim bei München, als Teil der internationalen Zettler Group. Viel Industrie aber ist heute aus München verschwunden und damit auch die Erinnerung daran, dass die Stadt um 1900 der größte Industriestandort in Bayern war.

Der Arbeitskreis Industriekultur des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung will dazu beitragen, dass das Bewusstsein für dieses Stück Münchner Geschichte nicht gänzlich verloren geht. Vor ein paar Jahren hat er dazu das Buch „Industriekultur in München - zwischen Abriss und Bewahren“ herausgebracht mit vielen Abbildungen ehemaliger, aber auch noch erhaltener Industriegebäude. Auch heuer gibt es wieder einen Kalender zum Thema, der einen weiten Bogen schlägt von alten Fabriken zu den heutigen Resten von Industriekultur. Vom Kaufhaus der Leder- und Triebriemenfabrik Hesselberger in Biederstein über den Gerberblock im Lehel bis zum Kaufhaus Oberpollinger in der Neuhauser Straße. Ein spannendes Stück Münchner Zeitgeschichte. Ariane Witzig

Industriekultur in München 2025– Zwischen Abriss und Bewahren, Franz Schiermeier Verlag München, 15 Euro, Bestellungen über stadtatlas-muenchen.de

Lichtkunst in Bergwerken

Eine Szene im Bergbaumuseum: Die Steinsalzgewinnung im Salzbergwerk Wieliczka bei Krakau. Mit ihrem "Lightpainting" lassen die Fotografen Ralf Emminger und Martin Reindl die Szene aussehen wie eine moderne Installation.
Eine Szene im Bergbaumuseum: Die Steinsalzgewinnung im Salzbergwerk Wieliczka bei Krakau. Mit ihrem "Lightpainting" lassen die Fotografen Ralf Emminger und Martin Reindl die Szene aussehen wie eine moderne Installation. (Foto: Ralf Emminger & Martin Reindl)

Ein düsterer Gang führte hinab zur vielleicht beliebtesten Ausstellung des Deutschen Museums. Das Bergwerk ist legendär; es gibt wohl nicht viele Münchner, die noch nie in ihrem Leben in diese Kunstwelt unter Tage eingetaucht sind. Als sie im Zuge des zweiten Abschnitts der Sanierung des Museums im Frühjahr 2022 zugesperrt werden musste, war das Bedauern groß. Ob und wann es wieder eröffnet wird, ist noch unklar. Jene, die es vermissen, können sich inzwischen mit einem besonderen Kalender trösten. Der Franz Schiermeier Verlag München hat ihn herausgegeben mit Lichtkunstfotografien von Ralf Emminger und Martin Reindl. Die beiden Fotografen, die sich auf Lightpainting-Fotografie, also Lichtmalerei spezialisiert haben, konnten dort ihrem Hobby nachgehen.

Mit langen Belichtungszeiten „malten“ sie mit einer Lichtquelle in die Fotografien Inszenierungen der verschiedenen Bergwerkszenarien. So leuchtet die Lore zum Abtransport von Steinkohle plötzlich in tiefem Rot, während goldene, kuppelförmige Netze über den Gleisen den dunklen Raum warm erhellen. In der Szene der Kahnförderung fährt der Bergwerker in seinem Stollen nicht auf schlammfarbenem, sondern unwirklich karibik-türkisfarbenem Wasser, blau-weiß und golden gleißende Lichtschlangen schlängeln sich durch schmale braune Gänge, das Grubenpferd schleppt seine schwere Ladung durch einen purpurrot leuchtenden Schacht. So stehen diese Lichtmalereien im krassen Kontrast zu den Szenerien schuftender Arbeiter unter Tage und verleihen ihnen zugleich eine faszinierende Lebendigkeit und Frische, die ihnen alle Düsternis nimmt. Ariane Witzig

Lichtkunst Bergwerk 2025, von Ralf Emminger & Martin Reindl, Franz Schiermeier Verlag München, 18 Euro, Bestellungen über stadtatlas-muenchen.de

Zeitgenössische Lyrik

„Meine Zukunft kommt schleichend“, beginnt ein Gedicht von Emma Riedl. „Ich komme ihr jeden Tag etwas näher / Und doch erreiche ich sie nie“. Dafür hat sie wie eine andere Schülerin des Murnauer Staffelsee-Gymnasiums erreicht, dass eines ihrer Gedichte im Zilpzalp-Kalender 2025 abgedruckt ist; gleich hinter denen berühmter Schriftsteller, von Rose Ausländer bis Michael Lentz, Ingeborg Bachmann bis Elke Erb.

Auffallend ist, dass den Kalender 2025 besonders viele zeitgenössische Zeilen prägen – auch Gedichte von Münchner Lyrikern wie Birgit Müller-Wieland oder Àxel Sanjosé sind darunter. Das ist schön, bindet es den Kalender doch stärker an die hiesige Literaturszene an. Vermutlich hat es damit zu tun, dass neben der Künstlerin Susanne Hanus (für Gedichtauswahl und Linolschnitte verantwortlich) auch die Münchner Lyrikerin Andrea Heuser eingebunden war.

Mit der Zukunft setzt sich übrigens auch Nikolai Vogel auseinander. „Hoffnung, die sich erfüllt“ ist eine seiner Antworten auf die Frage, was man im nächsten Leben sein wolle. Emma Riedl jedenfalls weiß: „Man kann die Zukunft auch ändern, / Doch das Ergebnis bleibt immer offen.“ Antje Weber

Zilpzalp-Gedichtekalender, Stiftung Lyrik Kabinett, 12 Euro, Bestellungen über den Buchhandel oder info@lyrik-kabinett.de

Gedichte und Korrespondenzen

"Ohne Warum" lautet der Titel eines Gedichtes von Angelus Silesius, das auf dem Cover des Gedichtekalenders 2025 zu finden ist.
"Ohne Warum" lautet der Titel eines Gedichtes von Angelus Silesius, das auf dem Cover des Gedichtekalenders 2025 zu finden ist. (Foto: C.H. Beck)

Wer den „C.H. Beck Gedichtekalender 2025“ durchblättert, wird viele Korrespondenzen finden. Zwischen dem edlen Grün, das Hildegard von Bingen beschreibt, und dem weißen Laub, das ein Paul Celan aufruft. Zwischen dem Gedicht „An das Baby“, in dem Kurt Tucholsky sarkastisch einen Lebenslauf skizziert, und Friedrich Hölderlin, der in hohem Ton das Gleiche tut.

Wer mit diesem Kalender durch das Jahr geht, findet pro Monat zwei sorgfältig ausgesuchte Gedichte, von Angelus Silesius bis Barbara Köhler, angereichert mit Pinsel-Vignetten von Chris Campe. Dirk von Petersdorff hat den Kalender, der ursprünglich unter dem Namen „Kleiner Bruder“ im Verlag Langewiesche-Brandt in Ebenhausen beheimatet war, für den Münchner Verlag C.H. Beck herausgegeben. Und es ist anregend, nicht zuletzt über Hölderlins „Lebenslauf“ einmal wieder nachzudenken: „Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt / All uns nieder, das Leid beuget gewaltiger“, beginnt er. Und endet mit den Zeilen, dass der Mensch alles prüfen müsse, auf dass er danken lerne und „verstehe die Freiheit, / Aufzubrechen, wohin er will“. Antje Weber

C.H.Beck Gedichtekalender 2025, München, 20 Euro, Bestellung über den Buchhandel oder bestellung@beck.de

Im Reich der Tiere

Seinen "Riesenschmacht" stillt dieser Papageientaucher auf der Juni-Seite des Kinder-Kalenders mit Fischen - "auf bis zu sieben oder acht hat er's schon oft gebracht".
Seinen "Riesenschmacht" stillt dieser Papageientaucher auf der Juni-Seite des Kinder-Kalenders mit Fischen - "auf bis zu sieben oder acht hat er's schon oft gebracht". (Foto: Douglas Florian/Moritz Verlag/IJB)

In wen ein Fuchs sich wohl verwandeln wollen würde? „In einen Bach, in dem das Eis still bricht, tausendfach“ – oder „in eine Rinne, die lauscht der Schneeflocken zarter Stimme“? So vermutet es Imre József Balázs in seinem Gedicht, zu dem Éva Márton eine wunderschöne Illustration auf hellblauem Grund entworfen hat: Ein Fuchs sitzt an einem sich dunkelblau über das Bild schlängelnden Bach, hält Schnauze und Pfote vorsichtig in das Wasser, in dem Eisschollen und Fische treiben.

Es ist die zweite Seite im Januar des diesjährigen Kinderkalenders der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) und des Moritz-Verlags; jede Woche im Jahr beginnt mit einem neuen zweisprachigen Gedicht und einer Illustration, die das Team der IJB aus 53 Büchern in vielen Sprachen aus 37 Ländern ausgesucht hat. Es sind längere und kürzere, gereimte und nicht gereimte, heitere oder nachdenkliche Verse über Tiere in jedweder Gestalt, kleinere und größere Menschen, aber auch Wäscheleinen oder Küchengeräte. Eine beflügelnde Reise in das Reich der Poesie, an deren Ende man nur allzu gerne wieder von vorne zu blättern beginnt. Dabei ergeht es einem ähnlich wie dem unersättlichen Papageientaucher in dem Gedicht von Douglas Florian: „Ein Papageientaucher stopft wie toll / den Schnabel gern mit Fischen voll“. Barbara Hordych

Der Kinder-Kalender 2025, München, 25 Euro, Bestellung über www.moritzverlag.de

Buchstabensuppe auslöffeln

Das X vor dem U - Wolfgang Lauter formt Denkbilder aus Buchstaben.
Das X vor dem U - Wolfgang Lauter formt Denkbilder aus Buchstaben. (Foto: Wolfgang Lauter)

Zählt man sie alle zusammen, samt Umlauten und dem ß, dem scharfen, sind es doch nur 30 Knirpse, auf denen die ganze Welt unserer Gedanken ruht. Normalerweise in Scharen als treue Diener der Worte über die Seiten marschierend, erschafft ihnen der Münchner Künstler Wolfgang Lauter selber eine Bühne mit seinen Typobildern, von denen er zwölf wieder zu einem Kalender zusammengestellt hat. Und wie die Worte immer neue Kommentare zu Zeit, Geist und Ungeist schaffen, gelingt das auch den Buchstaben.

Kreischbunt gekleidet drängt sich das X vor das U und scheint dessen Form zu verschieben. Die Umsetzung im Realen kann man wieder von nächstem Jahr an in Amerika erleben. Im März tanzen T, A, N und Z auf dem V, in dessen Krater schon das Magma glost. Und argumentativ für jede Komplexität gewappnet ist, wer auf das Novemberblatt blickt. „Das kommt nicht in Frage“, steht da, das „nicht“ in Warnfarbenrot – über dem in seinen Dimensionen verzerrten Wort „Punkt“, das fast den gesamten Raum einnimmt. Das Recht des Lauteren. Eine Mahnung im Januar: Jahreszahlenkolonnen auf dem Blatt. Das neue Jahr rot markiert. Zwei Reihen grauer Jahre gibt es: 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945. Nach 2025 sind noch alle Jahre weiß. Christian Jooß-Bernau

Wolfgang Lauter: Kalender Typobilder, Edition Lauter Kunst, zu bestellen per E-Mail an wlauter@freenet.de oder in der Wasserburger Bücherstube, Schustergasse 5, Wasserburg am Inn

Der Sinn des Lebens

Es war lange Zeit die Frage aller Fragen. Aber nun wissen wir endlich, dass der Sinn des Lebens 42 ist. Zumindest hat das in Douglas Adams’ Science-Fiction-Reihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ ein Supercomputer als Ergebnis herausgebracht. Was das bedeutet, für uns, für unsere Gegenwart, darüber macht sich nun wiederum Nicolai Sarafov in seinem Kalender „Bilder zur Zeit“ für das Jahr 2025 Gedanken. Es ist die 42. Ausgabe des Kalenders, den der ehemalige Design-Professor und Leiter des Instituts für Bagonalistik in München im Eigenverlag herausbringt.

Bagonalistik, das ist in etwa der Versuch, den Sinn im Unsinn zu finden. Und um das im Falle der 42 zu tun, hat Sarafov unter anderem „moderne Geistesblitze“ und die „altbewährte Arithmetik“ herangezogen, wie er im Vorwort schreibt. Auf den Blättern danach geht es etwa um den Humor, der geeignet sei, „den Sinn des Lebens zu unterstützen“. Oder die Frage, ob Politiker „mit verkehrtem Lebenssinn ausgestattet“ seien: „zu allem fähig, aber für nichts zuständig?“. Dazu gibt es wie immer humorvolle Zeichnungen und Collagen. Und auch wenn sich das mit der 42 am Ende nicht ganz klärt, hat man doch über den Menschen viel gelernt. Jürgen Moises

Nicolai Sarafov: Bilder zur Zeit 42, Nettopreis 32 Euro, Bestellung über www.bago.net

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