Süddeutsche Zeitung

Kaiser Chiefs in München:Ein bisschen Bierzelt, ein bisschen Innovation

Die Kaiser Chiefs rocken München - und das Publikum bekommt, was es verlangt: "I predict a riot", "Oh my God", "Ruby" und all die anderen Hits. Doch die Musiker aus England zeigen bei ihrem Party-Indie-Konzert im Backstage auch, dass sie sich weiterentwickelt haben.

Oliver Klasen

Es riecht stark nach Essen draußen vor dem Backstage, in der neblig-trüben Novemberluft liegt ein sehr durchdringender Duft, irgendwie nach Kartoffeln. Wahrscheinlich ist es nur einer der Fastfood-Stände vor der Konzerthalle mit seinem Frittierfett, aber in diesem Moment riecht es ungemein gut, fast so gut wie Muttis hausgemachte Kartoffelsuppe.

Drinnen in der Halle ist gewissermaßen auch ein Menü angerichtet, es fällt üppig aus, gleich zwei Vorspeisen plus Hauptgang. Der erste Support-Act für die Kaiser Chiefs heißt Transfer und kommt aus dem kalifornischen San Diego. Ihr Debülalbum "Future Selves" ist gerade erschienen. Die vier Musiker fangen sehr pünktlich an, und als man sich an ihren leicht psychodelisch und in manchen Momenten nach Interpol oder den Editors klingenden Postrock gewöhnt hat, ist es auch schon wieder vorbei. Schade.

"Das klingt ja wie Smells like Teen Spirit", sagt eine junge Frau im Publikum, als die ersten Akkorde der zweiten Vorband einsetzen. Die These ist zwar etwas steil, aber immerhin, die musikalische Epoche stimmt. Dass die Band Anleihen in den frühen 90ern nimmt ist nicht zu überhören - und auch nicht zu übersehen, zwei der Bandmitglieder tragen Jeans mit Löchern an den Knien.

Die Ansagen zwischen den Songs sind so vernuschelt, dass weder deren Inhalt noch der Name der Combo auszumachen ist. Erst ein späterer Blick auf die T-Shirts am Merchandise-Stand bringt Klarheit: Tribes heißen die fünf Jungs, kommen aus dem Londoner Bezirk Camden und sind der Prototyp einer der Bands, die von der englischen Musikpresse regelmäßig als "das neue große Ding" hochgeschrieben werden.

Die Kaiser Chiefs eröffnen dann, um kurz nach 22 Uhr, ihre Show mit dem Hit "Love you less" aus ihrem 2005 erschienenen Album Employment. Sofort ist klar: Das hier wird keine Show, um vor allem das neue Songmaterial zu promoten und vielleicht am Ende als Zugabe noch ein paar Klassiker einzustreuen.

Das Publikum bekommt heute, wonach es verlangt und wofür die Kaiser Chiefs geliebt werden: Eine gute Live-Performance, mit tanzbaren Mitsing-Hymnen, vor allem aus den ersten beiden Alben. "I predict a roit", "Oh my God", "The Angry Mob" und vor allem "Ruby" werden vom Münchner Publikum gefeiert. Das neue Material des im September erschienenen Albums "Future is Medieval" wird geschickt zwischendrin eingeflochten, ohne den Party-Flow zu stören.

Für ihr viertes Album hatten sich die Kaiser Chiefs eine besondere Vermarktungsstrategie überlegt: Zunächst wurden 20 Songs auf der Homepage der Band platziert. Die User konnten sich nach Belieben zehn davon auswählen, und auch das Artwork aus einigen vorgefertigten Elementen selbst kreieren. Sie erhielten so für 7,50 britische Pfund (knapp neun Euro) ein individuell zusammengebasteltes Kaiser-Chiefs-Album.

Einige Wochen später, nachdem die Aktion abgelaufen war, erschien dann doch noch ein ganz traditionelles Album mit 13 Songs. Vielleicht war das Wähle-Zehn-aus-20-Angebot nur eine Masche, um kurzfristig Aufmerksamkeit zu erregen und vielleicht nahm es der Band auch die Entscheidung ab, aus einem umfangreichen Songmaterial die besten Stücke selbst auszuwählen.

Kritiker, die der Meinung sind, die Kaiser Chiefs hätten ihre besten Zeiten längst hinter sich, nennen ihre Shows in Musikblogs etwas verächtlich Bierzelt-Indie und auch die Kritiken für das neue Werk waren nicht eben überschwänglich.

Aber im nicht ganz ausverkauften Backstage ist deutlich zu hören: Die Band hat sich durchaus weiterentwickelt. Da sind zum Beispiel teilweise fast Kraftwerk-artige Synthie-Klänge zu hören, auch wenn diese bei den Engländern natürlich etwas wärmer wirken als bei den Düsseldorfer Elektronik-Pionieren. Insgesamt ist das neue Material beatlastiger, auch etwas experimenteller und weniger auf Indie-Hits ausgelegt als die alten Songs.

Am Ende lässt sich Sänger Ricky Wilson dazu hinreißen, einen der Songs auf den Schultern eines Fans im Saal balancierend zu singen und schließlich, wieder auf der Bühne angekommen, eine Halbe Bier in einem Zug, leerzutrinken. Genaugenommen trinkt er gut die Hälfte des Bechers aus und schüttet sich den Rest über den Kopf. Es ist also tatsächlich ein bisschen wie ein Abend im Bierzelt, allerdings einer, der wirklich viel Spaß gemacht hat.

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