Kaffeerösterei in München:Der Kenner schlürft vernehmlich

Kaffeerösterei in München: Volker Meyer-Lücke mit Kaffeeröstautomat, der in seinem Büroraum im Werksviertel steht.

Volker Meyer-Lücke mit Kaffeeröstautomat, der in seinem Büroraum im Werksviertel steht.

(Foto: Florian Peljak)

Volker Meyer-Lücke, einst Dallmayr-Chefeinkäufer, vermarktet nun seine eigene Kaffeemarke. Die Bohnen bezieht er am liebsten aus afrikanischem Anbau.

Von Philipp Crone

Muss man vielleicht einfach nur der Nase nach? Volker Meyer-Lücke hat sein Büro in einem Multi-Komplex im Werksviertel. Da es sich bei der Unternehmung des 56-Jährigen um eine Kaffee-Marke handelt, die bislang nur in einem Raum residiert, der allerdings mit einer eigenen Röstmaschine ausgestattet ist, könnte man einfach dem Geruch folgen. Aber: Es riecht in diesem Bürogebäude überall danach, in jedem Stock und jedem Gang, denn auch im München des Jahres 2023 trinkt die große Mehrheit der Mensch eben: Kaffee. Und genau in diesem mehr als gesättigten Markt will der Mann eine neue, weitere Marke etablieren?

Zumindest weiß er sehr wahrscheinlich, worauf er sich einlässt, denn der Mann arbeitet seit 35 Jahren mit den braunen Bohnen, die meiste Zeit für das Haus Dallmayr, als Chefeinkäufer, also als derjenige, der die noch nicht braune Bohne in so kontinuierlicher Qualität und Menge liefern musste, dass der Prodomo-Kunde im November keinen Unterschied schmeckt zum Kaffee vom Mai. Dabei, und da wird es dann sofort interessant, kommen die Bohnen ja nicht das ganze Jahr über aus Brasilien oder Vietnam.

So verbreitet das Getränk sein mag, so viele Menschen sich in den Cafés der Stadt und in der Ausstellung des Deutschen Museums über die Pflanze, ihren Anbau und die Weiterverarbeitung informiert haben: Kaffee bleibt geheimnisvoll wie die Frage, warum er eigentlich so schmeckt, wie er schmeckt. Deshalb gießt Meyer-Lücke selbstverständlich mal einen auf. Er schenkt ein und doziert: "Blumig, ausbalanciert, rund, da braucht man weder Zucker noch Milch dazu." Und, man kann es nicht anders sagen: Er hat recht.

Beim Kaffee geht es um Geschmack, Tamtam und Handwerk. Viele aus dem bärtigen Teil der Münchner Bevölkerung haben längst ihren Mehrtakter gegen Zweikreiser ersetzt, Siebträger mit sieben Gramm pro 25 Milliliter statt Zylinder mit sechs Liter pro 100 Kilometer. Die Kaffeemaschine ist im Mainstream angekommen, den die Bohne allerdings Meyer-Lücke zufolge zügig wieder verlassen soll. Und wenn der nun den Begriff "Nachhaltigkeit" schon längst "nicht mehr hören kann", dann ist spätestens klar, dass man es hier mit einem extrem versierten Selbstdarsteller und Selbstverkäufer zu tun hat. Um in der Sprache der Bohne und ihrer Connaisseure zu bleiben, könnte man über den schlanken Mann mit der espressocremigen Stimme sagen: raffiniert, ausgewogen und überraschend, mit einer deutlichen Note Selbstbewusstsein und einer ganz leichten Ahnung von Arroganz.

Wenn Meyer-Lücke über seine neue Marke Alrighty spricht, die die Essenz von Nachhaltigkeit darstellen und so viel Gutes bewirken soll wie sonst keine Bohne, nennt er erst einmal Zahlen. Als Einkäufer hat er täglich 200 Tassen Kaffee verkostet, war 30 Mal in Äthiopien und hat Dallmayr verlassen, um mit der neuen Marke etwas für den Kaffee-Sektor und die Kaffeebauern zu tun. Und: Jeder Deutsche trinkt laut Deutschem Kaffeeverband 170 Liter pro Jahr, mehr als Bier. "Selbst während Corona ging der Kaffee-Absatz nicht runter, sondern hoch", sagt Meyer-Lücke. Dabei verteilt sich der Kaffee-Konsum zu 80 Prozent auf den Heimgebrauch, 20 im Café. "Die Wissbegier beim Kaffee steigt", sagt er.

Man kann bei der Zubereitung alles falsch machen

Der Schwenk zu Filterkaffee und Espresso geht schnell, beim Filter (den man bitteschön einmal mit heißem Wasser vorspülen soll, um den Eigengeschmack rauszulösen), wird langsamer und länger extrahiert, beim Espresso kurz und unter hohem Druck. Deshalb ist der Filterkaffee auch stärker, "weil einfach die Kontaktzeit von Kaffee-Mehl und Wasser länger ist." Kaffee sei extrem komplex, auch weil im Unterschied zum Wein noch das Rösten hinzukomme. "Dabei muss ich alle Schätze noch aus der Truhe holen." Man könne, wie bei einem guten Stück Fleisch, auch bei der Zubereitung noch alles falsch machen. An dieser Stelle muss der Nachhaltigkeits-Beauftragte doch einmal die Kaffee-Kapsel loben, "deren wesentlicher Vorteil ist: aromaschonend, die richtige Mahlung und Dosierung, da kann man bei der Zubereitung nichts falsch machen". Denn sonst sei Alterung beim Kaffee ein sehr großes Thema. Sauerstoff ist der Haupt-Aromakiller der Bohne, ob roh oder geröstet. "Auch gelagerter Rohkaffee darf nur wenige Monate liegen bleiben."

"Kaffee wird zunehmend nicht mehr nur als Getränk, sondern im Ganzen wahrgenommen", sagt Meyer-Lücke. Die Leute fragten sich mittlerweile auch, woher die Bohnen kommen. Und weil Meyer-Lücke ein Meister der Selbstvermarktung ist ("Ich war auf der Prodomo-Packung"), sagt er dann auch noch, dass er "zu viele Dinge gesehen habe, die ich lieber nicht gesehen hätte" und deshalb mit der Firma Caretrade Coffee etwas zurückgeben wolle. Was hätte er lieber nicht gesehen? "Die Armut in Afrika natürlich, die Lebensbedingungen, der Umgang der Industrie mit Land." Er reklamiert für sich, zu wissen, was den Menschen aus der Kaffee-Zunft wirklich hilft.

22 Länder aus Afrika produzieren kaum noch zehn Prozent

Und was ist nun so nachhaltig an diesem Kaffee? Meyer-Lücke zählt mit seinen Fingern, die wirken, als ob sie schon den ein oder anderen Sack Rohkaffee gewuchtet haben, bis drei. Das Durchschnittsalter des Kaffeefarmers und der -farmerin ist bei deutlich über 50. Zweitens kämen 60 Prozent der weltweiten Kaffeeproduktion mittlerweile aus Brasilien und Vietnam, somit seien von den etwa 50 Kaffee-produzierenden Ländern zum Beispiel die 22 aus Afrika sehr ins Hintertreffen geraten seien. "Die produzieren keine zehn Prozent mehr." Also kommen Meyer-Lückes Bohnen aus diesen Ländern. Und da nach seiner Schätzung 60 Prozent der Kaffee-Arbeit von Frauen erbracht wird, kauft er vor allem bei Kaffee-Bäuerinnen. Und, drittens, von jungen Bauern. "Am liebsten von einer 25-Jährigen aus dem Kongo." Jedes der vier Produkte erfüllt mindestens eines der Kriterien. Und dann gibt es noch die Projektkaffees, was bei Whiskytrinkern die Einzelfass-Abfüllung wäre und bei Wein-Wichtigtuern der Einzelhang.

Meyer-Lücke, zwischen Bremen und Hamburg aufgewachsen, machte eine Lehre bei einem Kaffee-Händler und wurde anschließend in die Welt geschickt. In Brasilien testete er bis zu tausend Kaffees am Tag, "mit dem Löffel, und man spuckt ihn wieder aus". Aber das Geräusch dabei ist eines, was sonst wohl selten mit Kaffee-Genuss verbunden wird: lautestes Schlürfen, "damit eine konstante Menge Flüssigkeit über die Zunge läuft". Meyer-Lücke macht es vor, es klingt wie ein kaputter Rasierer. "Frrrrrt". Körper, Säure, Aroma, das hat Meyer-Lücke hundertfach getestet pro Tag.

"Körper ist das Mundgefühl, ein Schluck Milch fühlt sich anders an als Wasser." Säure sei schon schwieriger, da gibt es 80 verschiedene Abstufungen, und dann kommt das Aroma, Johannisbeere oder Tabak, die Assoziation. Bei Dallmayr musste er immer dafür sorgen, dass der Kaffee gleich schmeckt, heute kann er sich besondere Sorten und Ernten aussuchen und die als Besonderheit anpreisen. "Allein in Äthiopien gibt es 6000 verschiedene Arabica-Untersorten", sagt Meyer-Lücke. Die sich genetisch und dadurch auch sensorisch unterscheiden. Meyer-Lücke macht jetzt Spezialitäten-Kaffee statt Spitzenkaffee, wie die Werbung jahrzehntelang soufflierte. "Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland etwa 6000 Röstereien, jetzt sind es 800." Dabei hat man das Gefühl, dass Kaffee viel sichtbarer geworden ist. In Cafés?

Nord- und Westdeutsche seien Filterkaffee-affin, sagt er

Kaffee und München, dazu kann Meyer-Lücke auch etwas sagen, weil er zu allem gerne etwas sagt. Ziemlich flüssig, muss man konstatieren. "Nord- und Westdeutschland sind immer noch eher affin für Filterkaffee", sagt Meyer-Lücke, "in Süddeutschland ist die Espresso-Fraktion deutlich größer." Es wundert dann nicht, dass der Kaffee-Mann den Preis von neun Euro für 250 Gramm seines Spezialkaffees sehr routiniert erklären kann. "Im Lebensmitteleinzelhandel wird der mit Abstand meiste Kaffee verkauft." Kaffee hole die Kunden mit am häufigsten in die Märkte. Und deshalb werde dieses Produkt auch so günstig. "Ein Preisniveau, das aus meiner Sicht viel zu günstig ist." Sind dann 30 Euro pro Kilo sehr viel? "Bei Kapseln mit sieben Gramm rechnet auch niemand hoch, da käme man auf 60 Euro pro Kilo." Sein Kaffee koste pro Tasse weniger als 30 Cent. "Aber den Cappuccino kaufen wir ohne Probleme für mehr als drei Euro."

Gespräch vorbei, Eigenwerbung ausgeblendet, der Kaffee ist längst kalt. Den kann man also nicht mehr trinken? "Doch, beim Verkosten gibt es auch keinen heißen Kaffee, sondern lauwarmen mit 50 Grad." Der Geschmack wäre sogar noch am nächsten Morgen gleich. Bis dahin könnte Meyer-Lücke aber auch ohne jegliche Probleme über Kaffee weiterreden, und wach bleiben würde er ja auch.

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