Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Käfer gegen Münchner Verkehrsprojekt

  • Um den Stau auf dem Autobahnring zu bekämpfen, soll die A99 einen weiteren Tunnel bekommen.
  • In der Allacher Lohe, einem 150 Hektar großen Naturschutzgebiet, hat ein Gutachter nun nicht nur Juchtenkäfer, sondern auch weitere seltene und vom Aussterben bedrohte Käferarten wie den Hirschkäfer, den Stachelkäfer und den Länglichen Fadensaftkäfer entdeckt.
  • Dies könnte das riesige Verkehrsprojekt im Münchner Nordwesten stoppen.

Von Thomas Anlauf

Der Juchtenkäfer könnte ein riesiges Verkehrsprojekt im Münchner Nordwesten stoppen. In der Allacher Lohe, einem 150 Hektar großen Naturschutzgebiet, hat ein Gutachter nun nicht nur Juchtenkäfer, sondern auch weitere seltene und vom Aussterben bedrohte Käferarten wie den Hirschkäfer, den Stachelkäfer und den Länglichen Fadensaftkäfer entdeckt. Die Autobahndirektion Südbayern will dort, am Rand der Allacher Lohe, eine zweite Autobahntrasse samt Tunnel bauen - so steht es im Bundesverkehrswegeplan. Der Bund Naturschutz in München, der das Käfergutachten in Auftrag gegeben hat, will wegen der Funde gegebenenfalls klagen, notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof.

"Hier leben die letzten Hirschkäfer Münchens", sagt Rudolf Nützel. Der Geschäftsführer des Bund Naturschutz in München kennt das Biotop seit vielen Jahren und führt auch Interessierte durch den geschützten Eichen-Hainbuchen-Wald zwischen dem Rangierbahnhof und der Autobahn A 99. Die Hirschkäfer brauchen die jahrhundertealten Eichen, die noch in dem Rest des Münchner Lohwaldgürtels stehen. Die größte europäische Käferart mit dem markanten "Geweih" der Männchen ist in Deutschland und Bayern in seiner Population stark gefährdet und galt in einigen Gebieten Bayerns bis vor etwa zehn Jahren als ausgestorben. Das gilt auch für den Juchtenkäfer, dessen vermeintliches Vorkommen im Stuttgarter Rosensteinpark den Bau des Bahnprojekts "Stuttgart 21" um Jahre verzögert hat. Sollte die Autobahndirektion Südbayern eine zweite Tunnelröhre unter der Allacher Lohe bauen wollen, "klagen wir in jeder Instanz", sagt Nützel. "Wir wollen, dass es weiter einen Hirschkäfer und einen Juchtenkäfer in München gibt."

Den Verantwortlichen bei der Autobahndirektion ist durchaus bewusst, durch was für ein sensibles Gebiet der zweite Tunnel verlaufen könnte. "Die Problematik ist komplex, schließlich ist das auch ein FFH-Gebiet", sagt Josef Seebacher von der Autobahndirektion. In den Flora-Fauna-Habitaten stehen Pflanzen und Tiere unter besonderem Schutz. Bereits beim Bau des A 99-Autobahnrings München Nordwest gab es massive Proteste, sodass die Trasse streckenweise durch den Allacher Tunnel führt. Doch der Verkehr auf der Strecke hat in den vergangenen Jahren so stark zugenommen, dass der Autobahnabschnitt kurz vor dem Kollaps steht. Staus sind alltäglich: "Das ist die größte Stauwurzel Südbayerns", sagt Seebacher, der Sprecher der Autobahndirektion.

Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist deshalb vorgesehen, südlich der bestehenden Tunnelanlage einen neuen Tunnel auf knapp eineinhalb Kilometern Länge zu graben. Damit läge der Bau direkt unter der Allacher Lohe, zahlreiche alte Bäume müssten wohl gefällt werden. Es gibt auch alternative Pläne, etwa, den zweiten Tunnel unter der bestehenden Röhre zu bauen, was deutlich weniger Platz verbrauchen, aber wesentlich mehr kosten würde. Bereits jetzt sind im Bundesverkehrswegeplan 340 Millionen Euro als Gesamtprojektkosten für den insgesamt sieben Kilometer langen Streckenausbau veranschlagt.

"Die A 99 ist fast überall am Limit"

Dass eine Verkehrslösung kommen muss, ist sicher: "Die A 99 ist fast überall am Limit", sagt Direktionssprecher Seebacher. Mittlerweile sei der Verkehr auf den Autobahntrassen sogar schon so dicht, dass sich viele Autofahrer lieber quer durch die Stadt und über den Mittleren Ring quälen als auf dem Nordring im Stau zu stehen. Für den Schwerlastverkehr ist das allerdings keine Lösung.

Um ein wenig Linderung gegen den Stau zu schaffen, bereitet die Autobahndirektion derzeit das Planfeststellungsverfahren für ein Provisorium vor: Die Seitenstreifen der A 99 sollen möglichst bald vom Autobahndreieck Allach bis zur Anschlussstelle Feldmoching durchgängig für den Verkehr freigegeben werden. Doch auch das kostet Zeit und viel Geld, schließlich sollen die Bauarbeiten bei laufendem Verkehr stattfinden. Es müssen acht weitere Nothaltebuchten gebaut werden, der bestehende Tunnel muss von oben angebohrt werden - damit finden die Arbeiten auch im sensiblen FFH-Gebiet statt. Die seltenen Käfer, die nun gefunden wurden, umzusiedeln, sei extrem schwierig, sagt Umweltschützer Nützel. "Viele Leute denken, dann pflanzen wir eben einen neuen Wald - aber die Käfer nehmen nicht einfach jeden Wald an." Die alten gewachsenen Strukturen mit den dicken, mehrere hundert Jahre alten Eichen und Hainbuchen und den offenen sonnenbeschienenen Flächen sind offenbar ideal für die gefährdeten Insekten wie Eremit und Hirschkäfer.

Wann mit den Arbeiten an den Seitenstreifen begonnen werden kann, ist derzeit noch offen. Zunächst hieß es bei der Autobahndirektion, dass die neuen Spuren frühestens 2023 freigegeben werden könnten, doch mittlerweile wagt Seebacher keine Prognose mehr. "Das ist ein äußerst schwieriges Projekt, auch wegen der Anwohner", sagt der Sprecher. Sogar die Umsiedlung von zwei Bewohnerinnen am Rand der Lohe war bereits im Gespräch.

Zugleich will die Autobahndirektion das Verkehrsproblem rund um München nun grundsätzlich angehen. "Wir wollen uns Zeit nehmen und in Ruhe planen", sagt Seebacher. Mit großräumigen Untersuchungen soll die mögliche Verkehrs- und auch Siedlungsentwicklung im Ballungsraum betrachtet und auch simuliert werden. Denn mit dem neuen Stadtteil Freiham kommt in den nächsten Jahren weiterer Verkehr auf die Autobahnen zu. Die Planer wollen auch wissen, wo Gewerbegebiete geplant sind und welche Auswirkungen die Erweiterung des Forschungs- und Innovationszentrums von BMW im Münchner Norden auf den Verkehrsfluss haben könnte. Auch die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs wollen die Autobahnbauer in ihre Modellrechnungen einbeziehen, wie Seebacher sagt. "Wir werden ganzheitliche Verkehrslösungen suchen."

Bis ein zweiter Tunnel gebaut werden kann, könnte es also noch mindestens 15 bis 20 Jahre dauern. "Vielleicht gibt aber auch ganz woanders eine Lösung", sagt Seebacher. Eine stadtferne Umgehungsautobahn? Dazu will der Sprecher nichts sagen. Für die Käfer in der Allacher Lohe wäre das jedoch womöglich die Rettung.

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SZ vom 15.01.2019/smb
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