Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Bühne? Frei!:Neutralisiert von der Södersonne

Kultur-Lockdown, Tag 71: Der Kabarettist wünscht sich Traumfänger gegen nächtliche Störgefühle.

Gastbeitrag von Jürgen Kirner

Eigentlich hatte ich mir in diesem Jahr zu Weihnachten einen Traumfänger gewünscht. Denn die Tante Anni hat gesagt, ein solcher würde meine derzeitigen Albträume als Soloselbständiger verbessern. Und, die Tante Anni muss es ja wissen. Ihr sie seit zweieinhalb Jahrzehnten begleitender Albtraum heißt Arno. Er ist selbstausgewiesener Klopapierlagerverwalter, ungefragter Virusexperte, sowie schnarchender Allzeit-Hypochonder und wird von ihr, dank der im Schlafzimmer Feng-Shui-mäßig positionierten fünfundzwanzig Traumfänger, seit ebenso 25 Jahren erfolgreich und ohne Totschlag ertragen. Anni behauptet, dass Arnos schlechte Energien nachts im Netz hängen bleiben und anschließend im Morgengrauen durch die fränkische Södersonne neutralisiert würden. Aber, nachdem wir uns innerfamiliär nix schenken - überhaupt, gegenseitig und sowieso - ging mein Weihnachtswunsch nicht Erfüllung.

Und weil über meinem Bett auch zu Beginn des Jahres 2021 weder indianisches Pferdehaar noch Apanatschis Federschmuck baumelt, werden meine Albträume und schon gleich gar nicht das Virus von mir weichen, sondern mich weiterhin begleiten. Davon hat mich Tante Anni nun soeben telefonisch absolut überzeugt, nachdem sie über Dieter Reiters Mutmaßung des geplatzten Wiesntraums 2021 gelesen hatte. Aus gut unterrichteter Quelle weiß Anni nämlich, dass auch Dieter Reiter keinen Traumfänger besitzt, um derartige Albträume abzuwenden.

Somit wird's auch nichts mit meiner Wunschtraumerfüllung für eine baldige Rückkehr auf die Bühnen, die für uns nicht nur die Welt, sondern auch Lohn und Brot bedeuten. Ganz zu schweigen von 16 Tage lang singen, feiern und überschäumende Lebensfreude verbreiten auf der Zelt-Bühne in unserer Schönheitskönigin auf der Oidn Wiesn. Der Kaas is bissn! Und das alles nur, weil mir niemand zu Weihnachten einen Traumfänger unter das Christkind gelegt hat.

Aber: als Oberpfälzer Künstler und Satiremensch ist man kreativ und einfallsreich. Vielleicht hilft ja auch allabendlich im Bett vorm Einschlafen und zum Vertreiben böser Träume beziehungsweise des Virus, der Refrain unseres Schönheitsköniginnen und Brettl-Spitzen-Hits in Endlosschleife? "Oh wie herrlich ist das Leben / oh wie schön ist doch die Welt / wir verkaufen d'Schwiegermutter / und versaufen ihra Geld." Wohlwissend, dass nicht jeder Text Sinn machen muss oder Wunder bewirkt. Hauptsache, man hat Spaß dabei. Und der ist aktuell eh sehr rar. Genauso wie Traumfänger, als persönliches Weihnachtsgeschenk für albtraumgeplagte Künstler.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2021
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