Süddeutsche Zeitung

Kabarett:In Jacket und Boxershorts

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Beim ersten "Truderinger Fensterbrettl" geht es um schlechte Musik, um Corona-Vibes und um Lieder in Moll. Der Nachwuchspreis für Kleinkunst geht an den Musikkabarettisten Florian Wagner für seinen Auftritt als Versager

Von Ilona Gerdom, Trudering

Etwa 50 Menschen sitzen auf Bänken und Stühlen auf der Wiese des Kulturzentrums in Trudering. Sie sind da wegen des ersten "Truderinger Fensterbrettls", ein Nachwuchspreis für Kleinkunst und Kabarett. Vier Künstlerinnen und Künstler haben an diesem Samstag je zwanzig Minuten Zeit, um eine Jury aus Vertretern des Kulturreferats, Kultur-Journalisten und einem Stadtrat für sich zu gewinnen. Für die beste Show gibt es 1500 Euro sowie eine Trophäe aus Ebenholz und Silber gefertigt von Konrad Schätz.

Der Start verzögert sich. Dicke Regentropfen zwingen die Veranstalter, das Fensterbrettl nach drinnen zu verlegen. Gut eine Stunde später haben sich alle im großen Saal des Stadtteilhauses eingefunden. Bevor das Comedy-Programm beginnt, ergreift Katrin Habenschaden, Münchens zweite Bürgermeisterin und Patin des Projekts, das Wort. Gerade in der Pandemiezeit sei es schwer, eine Karriere als Künstler zu starten, stellt die Grünen-Politikerin fest. Umso wichtiger seien Preise wie dieser. Die Preisgelder, die bei 100 Euro anfangen und bei 1500 aufhören, sind von Spendern wie dem Truderinger Kulturkreis, der Paulaner Brauerei und anderen finanziert.

Als erstes betritt Marie-Theres die Bühne. Ihren Nachnamen will sie nicht verraten. Die 26-Jährige setzt sich ironisch mit sich selbst auseinander. Damit, dass das Aufwachsen auf dem Land vor allem aus "Treckerfahren, Holzhacken und Saufen" bestand. Damit, dass sie nicht dem tradierten Bild von Weiblichkeit entspricht. Dass Marie-Theres erst seit September 2019 Stand-up-Comedy macht, merkt man. Noch fehlt es an Übung, doch damit geht sie gelassen um. Dass sie ihren Arm als Spickzettel verwendet, macht sie sympathisch.

Musikkabarettist Florian Wagner hat keine Angst vorm Publikum. Das zeigt schon sein Outfit: Der 30-Jährige präsentiert sich in Jackett und Boxershorts. Eine Hommage ans Leben im Homeoffice? Ein Unterwäschefetischist? Die Antwort bleibt er schuldig. Stattdessen spricht Wagner von den großen Erwartungen, die an einen Künstler gestellt werden. Deshalb wolle er die Messlatte nach unten legen. So sitzt er also am Klavier und singt: "Das ist ein schlechtes Lied, aber mit Absicht schlecht". Und dann kommt alles, was für ihn bei einem mangelhaften Song nicht fehlen darf: eine schlechte Melodie, zu lange Pausen, "Wiederholungen, die nerven und stören". Einen richtigen Schluss gibt es nicht, der Song hört mittendrin auf. Vom abrupten Ende erholt sich das Publikum schnell und belohnt Wagner mit viel Applaus. Auch seine anderen Werke wie das musikalische Corona-Tagebuch, bei dem aus Abbas "Dancing Queen" die Distancing Queen und aus dem "Final Countdown" der final Lockdown wird, begeistern.

Miss Cherrywine, die eigentlich Tina Damm heißt, ist ebenfalls Musikkabarettistin. In ihrem ersten Stück stellt sie sich vor: "Ich sitze hier und singe meine Lieder in Moll." Sie schreibe gerne von "fürchterlichen Dingen" und komponiere "Melodien, die deprimierend klingen". Die Texte der 49-Jährigen erzählen davon, dass sie auf Psychopathen steht, aber auch ein Bestatter als Partner in Frage käme. Mit Tod und Vergänglichkeit setzt sich Damm nicht nur auf der Bühne auseinander. Sie richtet aufklärende Veranstaltungen aus, die das Thema Sterben enttabuisieren sollen: "Ich verstehe das als meine Mission".

Warum geht ein Münchner nach Österreich? Der Frage will sich Michael Mutig, gebürtiger Münchner, der in Wien lebt, stellen. Davon entfernt sich der 35-Jährige jedoch recht schnell. Im Mittelpunkt stehen vielmehr polarisierende Themen wie gendersensible Sprache. Außerdem greift Mutig häufig auf Stereotypen und Klischees zurück. Das kommt nicht bei allen gut an. Trotzdem holt er, der Bühnenerfahrene, nach Wagner die meisten Lacher. Nach den Auftritten zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Wenig später verkündet Oliver Hochkeppel, Kulturredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, das Ergebnis. Der vierte Platz geht an Marie-Theres. Dritte wird Miss Cherrywine. Den zweiten Platz macht Michael Mutig, dem das Preisgericht ans Herz legt, sich in Zukunft um "einen anderen Umgang mit Nationalitäten und Stereotypen" zu bemühen. Und der Sieger ist, so Hochkeppel, "ein Versager, denn er hat sich bemüht schlecht zu sein, und das ist ihm ums Verrecken nicht gelungen". Gemeint ist Florian Wagner, der auch den mit 250 Euro dotierten Publikumspreis nach Hause bringt. Einer, der keinen Preis bekommen hat, aber einen verdient hätte, ist Filmregisseur und Kabarettist Julian Wittmann. Er stand an diesem Abend zum ersten Mal als Moderator auf der Bühne. Mit Charme und Witz hat er für gute Stimmung gesorgt. Auch er ist eines der Nachwuchstalente des Abends.

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Quelle:
SZ vom 26.07.2021
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