JVA Stadelheim:Wie Häftlinge Weihnachten feiern

JVA Stadelheim: Michael Mück muss als Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes die Kollegen einteilen, die an Heiligabend Dienst tun.

Michael Mück muss als Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes die Kollegen einteilen, die an Heiligabend Dienst tun.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In der Justizvollzugsanstalt Stadelheim gibt es ein Weihnachtsessen und einen Christbaum, der Tölzer Knabenchor singt. Aber bei den Gefangenen fließen auch mal die Tränen.

Von Hubert Grundner

Die frohe Botschaft erreichte heuer knapp 60 Adressaten: So viele Gefangene durften noch vor den Feiertagen die Justizvollzugsanstalt (JVA) an der Stadelheimer Straße 12 vorzeitig verlassen, erklärt deren Leiter, Michael Stumpf. 39 weitere Insassen bekamen Ausgang oder Urlaub. Alle übrigen der derzeit 1400 Häftlinge, 143 davon Frauen, werden Weihnachten getrennt von ihren Familien und Freunden verbringen. Wie an allen anderen Tagen des Jahres kehren sie nach 17 Uhr in ihre Zellen zurück, wenig später fallen hinter ihnen die Türen ins Schloss.

Graue Routine, könnte man sagen, und doch, das weiß der evangelische Pfarrer Felix Walter, ist und bleibt der 24. Dezember für viele Gefangene etwas Besonderes. "Gerade jetzt kochen die Gefühle hoch: Weihnachten und Geburtstage sind schwierige Termine. Da merkt man es halt besonders schmerzhaft, eingesperrt zu sein." Auch wenn man versuche, den Insassen das Leben in Haft erträglicher zu machen, dürfe man nicht vergessen: "Den Menschen hier geht es nicht gut", sagt der Seelsorger.

Die Gefangenen suchen Trost in der Religion

So mancher von ihnen sucht gerade in diesen Tagen Trost in der Religion. Und da Menschen aus mehr als 80 Ländern in Stadelheim einsitzen, fällt die Liturgie entsprechend vielfältig aus. Auf den spanisch-portugiesischen Gottesdienst am Montag folgten am Dienstag je eine Messe für Italiener, Kroaten und Polen, während die englischsprachigen Christen bereits am zweiten Advent in der Anstaltskirche gefeiert haben. Anhänger verschiedener orthodoxer Kirchen kommen schließlich am 6. Januar in Sancta Maria Consolatrix Afflictorum zusammen, wie die Anstaltskirche passenderweise heißt: Trösterin der Betrübten.

Trostspender für Landsleute sind häufig Ordensleute, die in die JVA kommen, wie Michael Stumpf berichtet. Engen Kontakt zu "ihren" Gefangenen hielten auch die britischen und amerikanischen Konsulate. Für andere Gefangene hingegen zeigten deren Herkunftsländer oft nicht das geringste Interesse.

Umso schöner - und notwendiger - ist es, wenn freiwillige Helfer in die Bresche springen. Dazu zählt besonders der Arbeitskreis Ehrenamtliche in der Straffälligenhilfe. Etwas indirekter fällt die Unterstützung aus, die von evangelischen Kirchengemeinden in Haidhausen, Moosach und Kirchheim geleistet wird. Dort sammeln, so Pfarrer Felix Walter, Ehrenamtliche Spenden und machen daraus Geschenkpakete, die dann während der Weihnachtsfeiertage an Gefangene verteilt werden, die ohne Angehörige sind oder die kein Geld haben, um sich selbst ein Geschenk zu machen.

Die Wärter sind an Weihnachten "Mitgefangene"

Bis zu einem gewissen Grad sind in einer JVA die Wärter stets auch "Mitgefangene" - eine Mindestbesetzung von Beamten muss an den Feiertagen anwesend sein. Gerade für die Spätschicht Leute zu finden, sei dann oft schwer, räumt Michael Mück ein. Der 59-Jährige ist seit 14 Jahren Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes. Man könnte auch sagen, er ist Chef aller Uniformierten, von denen im Übrigen keiner im Dienst eine Waffe trägt. "Wir fragen halt ab, wer an Weihnachten arbeitet und wer an Silvester", erklärt der groß gewachsene Mann lakonisch. Circa 150 Männer und Frauen in Olivgrün braucht es jedenfalls pro Tag, um den Betrieb hinter den hohen, mit Stacheldraht gesicherten Mauern am Laufen zu halten.

Von Stadelheim dabei als Betrieb zu sprechen, ist mehr als berechtigt: Praktisch alle klassischen Handwerksberufe sind mit Werkstätten vertreten, in denen auch ausgebildet wird. Wobei sich, dies nur nebenbei, gerade hier zeigt, dass der Job im Justizvollzug längst keine Männerdomäne mehr ist. Die Handwerksbetriebe unterstehen Christine Weller, der Dienstleiterin im Südbau. Hinzu kommen Wäscherei, Küche und Bäckerei, die zwischen den Jahren durchmachen, während ansonsten die Arbeit ruht. Allerdings, erklärt Weller, stellten die Häftlinge gerade jetzt vermehrt Anträge auf Besuch und Telefonate.

JVA Stadelheim: In der Schreinerei hängen die ersten Werkstücke, die Häftlinge dort gefertigt haben.

In der Schreinerei hängen die ersten Werkstücke, die Häftlinge dort gefertigt haben.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Wenn möglich, wird das auch großzügiger als sonst gehandhabt, denn schließlich kommen die Verwandten ja oft von weit her", sagt sie. Ansonsten weiß sie aus ihrer Dienstzeit im Frauengefängnis Aichach zu berichten, dass Frauen die Weihnachtszeit viel bewusster als Männer erlebten. Entsprechend "liebevoller und kreativer" schmückten sie Zellen und Gemeinschaftsräume - wie zum Beweis ihrer Worte steht wenige Schritte entfernt ein von Männerhand eher nüchtern dekorierter Christbaum.

Im Gottesdienst fließen im Tränen - auf Station zeigen die Häftlinge Pokerface

JVA Stadelheim: Arbeitstherapeut Sven Thiel mit einer Schreinerarbeit, die für den Verkauf bestimmt ist.

Arbeitstherapeut Sven Thiel mit einer Schreinerarbeit, die für den Verkauf bestimmt ist.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine Veranstaltung, bei der viele Gefangene beiderlei Geschlechts dann doch Gefühle zeigen, ist der Festgottesdienst. Heuer fand er am Mittwoch, dem Vorweihnachtstag, statt. Und weil es seit den Siebzigerjahren zur Tradition gehört, ist auch wieder der Tölzer Knabenchor in der Anstaltskirche aufgetreten. Es ist eine für brave Sänger wie böse Buben und Mädchen meist gleichermaßen berührende Erfahrung. Am Ende des Festgottesdienstes fließen oft Tränen - auch bei Männern. "Auf Station zeigt man dann wieder das Pokerface", beschreibt Pfarrer Felix Walter ein nicht unübliches Verhaltensmuster.

Auf "harte Hunde" können Michael Stumpf und seine Mitarbeiter aber bestens verzichten. Sie bemühen sich deshalb, dass gerade bei jüngeren Gefangenen der Aufenthalt in Stadelheim ein einmaliger Ausrutscher bleibt. Einer dieser Kümmerer ist der Inspektor und Arbeitstherapeut Sven Thiel. Der gelernte Schreiner merkte irgendwann, dass er mehr mit Menschen zu tun haben wollte. 1999 sattelte er auf Justizvollzugsbeamter um und kam 2001 nach München. In der Schreinerwerkstatt betreut er nun bis zu zehn straffällig gewordene Jugendliche.

In Kooperation mit einer Sozialarbeiterin und einem Sozialpädagogen finden neben der Arbeit feste Gesprächsgruppen statt. Die Jugendlichen sollen sich, vereinfacht gesagt, daran gewöhnen, früh aufzustehen, aufzuräumen, dem Vorgesetzten Bescheid geben, wenn sie zum Beispiel zum Arzt müssen. Kurzum, sie lernen den Tag zu strukturieren und dadurch sich selbst zu disziplinieren.

"Es heißt eben ,Guten Tag' und nicht ,Halt's Maul'"

Dazu gehören auch einfachste Umgangsformen. "Es heißt eben ,Guten Tag' und nicht ,Halt's Maul'", verdeutlicht Sven Thiel seine Intention im Umgang mit den Jungen, von denen viele keinen Schulabschluss haben. Umgekehrt sollen diese Anerkennung erfahren, sich freuen, wenn sie sehen, dass ihre Arbeit und ihr Auftreten geschätzt werden. Zum Beispiel verkauft die JVA Holzspielzeug und ähnliches, das die Jugendlichen angefertigt haben, auf dem Weihnachtsmarkt am Mangfallplatz. Unverkäuflich sind hingegen die ersten Werkstücke der Jugendlichen. Sie hängen nebeneinander an einer Wand der Schreinerei und sind Sinnbild einer mentalen Standortbestimmung: Darauf steht beispielsweise "Schwabing 11,1 KM", "Garching 21 KM" oder auch "Harbin 7813 KM".

Wie unschwer zu erraten ist, handelt es sich um Heimatgemeinden junger Straftäter. Wo komme ich her, warum bin ich hier, wie gewinne ich meine Freiheit zurück? So lauten vermutlich die Fragen, die sich hinter der banalen Kilometer-Entfernung zwischen Stadelheim und einem beliebigen Ort der Erde verbergen. Eine Antwort darauf wollen Sven Thiel und seine Schützlinge möglichst schnell finden. Zunächst aber räumen sie die Werkstatt auf, sie bleibt die nächsten Tage geschlossen.

Als Weihnachtsessen gibt es Rinderbraten

Unterdessen laufen in der Therapiestation, die der Psychologe Willi Pecher leitet, bereits die Vorbereitungen für das gemeinsame Weihnachtsessen. Paul und Georg stehen in der dazugehörigen kleinen Küche, der eine rührt Spätzleteig, der andere brät Auberginenscheiben an. Als Hauptgericht steht Rinderbraten auf der Speisekarte. Schließt man die Augen und genießt den feinwürzigen Bratenduft, kommt tatsächlich Weihnachtsstimmung auf. Paul hat das Kochen von seiner Oma gelernt und stellt sich geschickt an. Wer ihn sieht, kann ihn sich gut als liebevollen Vater vorstellen. Tatsächlich hält er Kontakt zu seiner Familie, "Gott sei Dank", wie er sagt. Einmal im Monat werde er regelmäßig besucht. Der 28-Jährige hofft, im April 2017 freigelassen zu werden. Fünfeinhalb Jahre wird er dann wegen gefährlicher Körperverletzung abgesessen haben.

Bei Fritz wird es wohl noch länger dauern, bis sich für ihn die Gefängnistore öffnen - "wenn alles gut geht, 2019/2020". Ins Gefängnis kam der 33-Jährige nach der Jahrtausendwende zunächst in Straubing, die Tat, für die er seitdem büßt: Mord. Näheres will Fritz nicht erzählen. Der Freundeskreis von einst hat sich längst zerschlagen, wenigstens sein Vater besuche ihn regelmäßig alle 14 Tage. Nach einer abgebrochenen Lehre hat er in Haft eine Lehre als Bürokaufmann absolviert, jetzt lässt er sich zusätzlich zum Elektriker ausbilden. Und er ist in Therapie.

Es gehe darum, sagt Fritz, das bisherige Leben zu reflektieren und, "warum ich in den Knast gekommen bin". "Was ist mein Anteil, was kann ich ändern?", lauten die Fragen, mit denen er sich beschäftigt. Was Weihnachten für ihn bedeutet? "Jeder geht unterschiedlich damit um. Aber am Abend sitzt du halt doch allein in der Zelle, und die Erinnerung an früher stürmt auf dich ein."

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