Justizvollzugsanstalt:Hinter den Gittern von Stadelheim

Die Münchner Justizvollzugsanstalt ist mit 1500 Insassen eine der größten Deutschlands. Ein Rundgang durch ein Gefängnis, aus dem schon seit mehr als 20 Jahren keinem mehr die Flucht gelungen ist.

Von Susi Wimmer (Text) und Claus Schunk (Fotos)

1 / 9

-

Quelle: Claus Schunk

In München gibt es viele bekannte Gebäude, doch nicht alle sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Wie es hinter den Mauern und Zäunen eines der größten Gefängnisse des Landes, der Justizvollzugsanstalt Stadelheim, aussieht, wissen die wenigsten - freiwillige Besuche in der 14 Hektar großen Anlage sind eher selten. Derzeit sitzen hier rund 1500 Häftlinge ein. Unter ihnen ist auch Beate Zschäpe, die sich im NSU-Prozess derzeit vor Gericht verantworten muss.

2 / 9

Der Umschlagplatz

-

Quelle: Claus Schunk

Die graue Stahltür ist das Erste, was die Neuankömmlinge zu Gesicht bekommen, wenn sie aus dem "Zeiserlwagen" steigen. Wer hier landet, hatte gerade Kontakt mit der Münchner Polizei und wird verdächtigt, etwas ausgefressen zu haben. Aber nicht nur die "Kundschaft" der Münchner Polizisten geht hier ein - und weniger aus. Der Gebäudetrakt ist quasi der Bahnhof von Stadelheim. Wird beispielsweise ein gesuchter Räuber aus Landshut in München festgenommen, landet er hier. Sind genügend Gefangene beisammen für eine Fahrt nach Niederbayern, wird der Räuber dorthin verlegt, wo er die Straftat begangen hat. Ein in München verurteilter Mörder reist nach der Verhandlung über Stadelheim nach Straubing, wo man für die härteren Fälle zuständig ist. "Die Polizei hat da fast so einen Liniendienst, wie Flixbus", sagt Anstalts-Chef Michael Stumpf.

Wenn ein Gefangener aus München etwa zu einer Beerdigung nach Hamburg muss, wird er schubweise von einer Anstalt zur nächsten gekarrt, was schon mal eine Woche dauern kann. "Schub" wird der Gefangenentransport generell genannt. 6000 neue Gefangene rücken über das Jahr verteilt in Stadelheim ein, manche werden von Martin Mayr (Foto) gefahren, dem Vize-Chef des Vorführdienstes in Stadelheim. Die Aufschrift "Flieger" an der Tür der Justizvollzugsanstalt ist übrigens nicht mehr aktuell. Für Abschiebehäftlinge gibt es mittlerweile in Eichstätt eine zentrale Sammelstelle.

3 / 9

Einfache Ausstattung

-

Quelle: Claus Schunk

Wenn die Tür ins Schloss fällt und das Klacken des Schlüssels zu hören ist, dann kann schon ein Gefühl der Beklemmung aufkommen. Neun Quadratmeter misst eine Gefängniszelle in Stadelheim. Ein Pritschenbett, Tisch, Stuhl, Regal, Wasserkocher und Fernseher. Das gehört zur Grundausstattung einer Zelle. Zudem ist in einer Ecke der Zelle eine Toilette und ein Waschbecken zu finden - nicht mehr offen im Raum, sondern durch Trennwände abgegrenzt. In der Zelle verbringt der Häftling die meiste Zeit seines Aufenthalts. Hofgang gibt es nur für eine Stunde am Tag. Bevor die Zellentüre zugeht, führen Sozialarbeiter mit allen Neuankömmlingen Gespräche. "Besonders sehr junge oder sehr alte Männer, die erstmals im Gefängnis sind, haben damit Probleme", sagt Markus Wruck.

Deshalb werde nach alltäglichen Fragen wie "Wer füttert meine Tiere" oder "Was passiert mit meiner Wohnung" auch überprüft, ob der Neue suizidgefährdet ist. Der Durchschnittshäftling bleibt etwa 90 Tage in der JVA. Mit 1500 Insassen sei Stadelheim derzeit "voll", sagt Chef Michael Stumpf. Die meisten sind Untersuchungshäftlinge, nur die wenigsten - rund 270 Männer - sitzen hier Haftstrafen ab. Die 1894 gegründete Haftanstalt ist in sechs Abteilungen untergliedert, darunter eine relativ junge Einrichtung, die sich um Gewaltstraftäter kümmert, die nach langen Gefängnisaufenthalten zwei bis fünf Jahre therapiert werden und auf vorzeitige Entlassung hoffen.

4 / 9

Nicht zu überwinden

-

Quelle: SZ

Die Mauer ist sechs Meter hoch, der Zaun davor aus Stacheldraht und die Wächter in den sechs Türmen sind bewaffnet: "Wer da flüchten will, muss schon recht dämlich sein", sagt Stadelheims Chef Michael Stumpf. Ausbrüche habe es aus der JVA deshalb schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gegeben. "1986 sind noch welche über die Kanalisation raus, aber da haben wir dicht gemacht." Der Lieferverkehr werde mittels eines Herzschlagdetektors beim Ausfahren auf blinde Passagiere überprüft, auch das Beladen von Wagen, die in die Freiheit fahren, werde von Beamten kontrolliert. Vor drei Wochen erst habe ein Gefangener abhauen wollen: Er simulierte fürchterliche Bauchschmerzen und wurde zur Abklärung in eine Klinik gebracht. Dort wollte er stiften gehen - erfolglos.

5 / 9

Freundliche Aufnahme

-

Quelle: SZ

Blümchen an den Wänden, Schokolade im Körbchen: Erika Addae will den Neuankömmlingen die Aufnahme in Stadelheim zumindest ein bisschen angenehm gestalten. Ihr saßen schon Fußball-Bosse wie der ehemalige 60er-Präsident Karl-Heinz Wildmoser oder Banker wie Gerhard Gribkowsky gegenüber. Die Neuankömmlinge werden fotografiert und ihre Daten abgeglichen. Tatsächlich hatten es zwei Verhaftete schon einmal geschafft, auf der Fahrt in die JVA ihre Identität zu tauschen. Sie sahen sich ähnlich, es fiel nicht auf. Einer sollte nach einer Woche entlassen werden, der andere hatte eine längere Strafe abzusitzen. Nach der Entlassung des Ersten, so der Plan, sollte der Zweite den Irrtum bemängeln.

6 / 9

Kontakt zur Außenwelt

-

Quelle: SZ

Neben dem Entzug der Freiheit ist für die Insassen von Stadelheim die Kontaktsperre ein wesentlicher Teil ihrer Strafe. Pro Monat wird den Gefangenen nur eine Stunde Besuch erlaubt - nur in den ersten drei Monaten sind es zwei Stunden pro Monat. Bei besonderen Anlässen kann zusätzlich ein Sonderbesuch beantragt werden. Bei Untersuchungshäftlingen entscheiden Gericht und Staatsanwaltschaft über die Personen, die einen Besuch anmelden, bei Strafgefangenen obliegt die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt. Ist ein Besuch genehmigt, kommt es auf das Verhalten des Häftlings an, wo dieser stattfindet. Bei Leuten, "bei denen wir glauben, dass sie keinen Unfug machen", so Anstaltsleiter Stumpf, wird ein Besuch in einer eigens eingerichteten kleinen Cafeteria genehmigt.

Dort kann man sich an den im hellen Raum verteilten Tischchen in relativ angenehmer Atmosphäre unterhalten. Ungemütlicher sind dagegen die Besuchsräume mit niedrigen Trennglasscheiben - oder die geschlossenen Kabinen mit Telefon. Die klassische Feile im Kuchen will zwar kein Besucher in den Knast schmuggeln, doch bei Häftlingen sind heute Drogen, USB-Sticks und vor allem Handys begehrt. Letztere werden sogar in Körperöffnungen gesteckt, um bei der Kontrolle nicht aufzufallen. Dass Angestellte der JVA für die Häftlinge Sachen in die Anstalt schmuggeln, kam auch schon vor. Vor zwei Jahren etwa wurde eine verliebte JVA-Psychologin wegen Korruption verurteilt.

7 / 9

Schweißen, malern, sägen

-

Quelle: Claus Schunk

Verurteilte Strafgefangene sind in Bayern zur Arbeit verpflichtet, dementsprechend viele Werkhallen finden sich auf dem 14 Hektar großen Areal in Giesing. Es gibt eine Malerei, eine Schlosserei, eine Schreinerei und eine Gärtnerei, in denen die Häftlinge gegen geringes Entgelt arbeiten und auch Lehrlinge ausgebildet werden. Maximal kann ein Gefangener 300 Euro im Monat verdienen, davon muss er einen Teil für die Zeit nach der Entlassung ansparen.

Tatsächlich kann sich jeder Privatmann an die JVA Stadelheim wenden, und diese beispielsweise mit dem Weißeln oder Tapezieren seiner Wohnung beauftragen, was dann von den Gefangenen unter Aufsicht ausgeführt wird. Die Werkzeuge sind übrigens alle genau abgezählt und registriert - nach der Arbeit wird akribisch kontrolliert.

8 / 9

Freiwillig in der Schule

-

Quelle: Claus Schunk

Hinten huschen Bartagamen durch das Terrarium, vorne büffeln 14- bis 21-jährige Insassen für den Mittelschulabschluss oder den Quali im vergitterten Klassenzimmer. Maximal zwölf Schüler werden hier in Vier-Monats-Kursen für ihren Abschluss vorbereitet, sie sitzen hauptsächlich wegen Drogendelikten, Raub oder schwerer Körperverletzung in der Jugendabteilung von Stadelheim. Lehrer Tobias Mörtl (Foto) und Studienrätin Ursula Franz unterrichten die schweren Jungs zusammen mit einem dritten Kollegen. "Die haben viel Energie, man muss sie nur in die richtige Richtung lenken", sagt die Lehrerin. Angst kennt sie nicht, wenn sie mit der Gruppe alleine ist. "Es brodelt manchmal ein bisschen unter ihnen, da muss man ein Auge drauf haben."

Ansonsten findet sie das Unterrichten hinter Gittern besser als draußen. "Die Jugendlichen sind freiwillig hier und wollen einen Abschluss machen." Einen Messerstecher, der kurz vor dem Abi nach Stadelheim kam, habe man in Begleitung nach draußen zu den Prüfungen geschickt. "Er hat bestanden." Um die praktischen Abschlussprüfungen absolvieren zu können hat man in der Justizvollzugsanstalt sogar eine kleine Küche eingerichtet. Da falten die Strafgefangenen eifrig Servietten, decken eine Tafel und kochen ein Menü. "Da haben wir schon wahre Talente entdeckt." Und am Ende des Kurses, bei der Zeugnisverleihung, hat Ursula Franz immer Tränen der Rührung in den Augen.

9 / 9

Unterirdische Anklagebank

Hochsicherheitsgerichtssaal der JVA München-Stadelheim, 2016

Quelle: Claus Schunk

Stadelheim ist in erster Linie als Untersuchungsgefängnis für Häftlinge gedacht, die auf ihre Verhandlung warten. Für besonders heikle Verfahren, etwa gegen Terrorverdächtige, wurde im vergangenen Jahr ein 17 Millionen Euro teurer Hochsicherheitsgerichtssaal eröffnet. Die Angeklagten müssen nicht mehr durch die Stadt zum Strafjustizzentrum transportiert werden, sondern erreichen den Verhandlungssaal auf dem JVA-Gelände durch einen unterirdischen Gang.

Doch der Start missglückte, am ersten Prozesstag im November beschwerten sich Anwälte über die Bedingungen, vor allem über zu wenige Klos. Der Richter brach den Prozess nach wenigen Minuten ab. Inzwischen aber wird im Saal wieder verhandelt.

© SZ vom 10.10.2017/imei
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: