Justiz:Wo in München künftig Recht gesprochen wird

Justiz: Die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sollen vom Jahr 2020 an in diesem am Leonrodplatz geplanten Komplex untergebracht werden. Simulation: Frick, Krüger, Nusser

Die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sollen vom Jahr 2020 an in diesem am Leonrodplatz geplanten Komplex untergebracht werden. Simulation: Frick, Krüger, Nusser

Im Strafjustizzentrum sollen von 2020 an sieben Behörden unter einem Dach zusammengefasst werden. Militante Gegner wollen das Projekt sabotieren.

Von Christian Rost

Im Strafjustizzentrum an der Nymphenburger Straße gibt es Dinge, die man andernorts nicht mehr findet: Telefonzellen zum Beispiel. Und diese Exemplare sehen nicht etwa aus wie die gelben rechteckigen Nullachtfünfzehn-Häuschen, mit denen einst die Post das Land überzogen hat. Die Telefonzellen im Erdgeschoss des Gerichtsbaus wurden in Röhrenform designt - in Betrieb sind sie leider nicht mehr.

Todschick war das in den Siebzigerjahren, als das siebenstöckige Gebäude in Stahlskelettbauweise hochgezogen wurde. Damals fanden die Leute auch grobe, beige Leinentapen geschmackvoll und mit orangefarbenem Stoff bezogene Stühle. Und ein undefinierbares Grün, mit dem Türen und Verkleidungselemente an Wänden und Decken gestrichen sind. Ansonsten prägt Sichtbeton das Bild.

Grauen aus Beton, Stahl und Glas

Es ist aus heutiger Sicht ein einziges Grauen aus Beton, Stahl und Glas, das nach fast 40 Jahren Justizbetrieb obendrein ziemlich abgenutzt ist. Die Bediensteten werden daher nicht traurig sein, wenn sie 2020 in das neue Strafjustizzentrum am Leonrodplatz umziehen.

An diesem Mittwoch erfolgt der Spatenstich für den auf mittlerweile 300 Millionen Euro taxierten Neubau, in dem die Strafgerichte des Amtsgerichts, der Landgerichte München I und II sowie des Oberlandesgerichts unterkommen sollen. Insgesamt sieben Justizbehörden, die derzeit über das Stadtgebiet verteilt sind, werden im neuen Justizzentrum zusammengefasst. Ursprünglich waren 200 Millionen Euro Baukosten angesetzt, und auch der Zeitplan hat sich geändert: Als noch die Münchner Olympiabewerbung lief, wollte der Freistaat bei den Spielen 2018 mit einem neuen Justizbau glänzen. Nachdem die Spiele vom Tisch waren, pressierte es nicht mehr so.

Improvisation an der Nymphenburger Straße

Allein die Baugrube auszuheben, wird nun ein Jahr dauern, auch deshalb zieht sich das Projekt über fünf Jahre hin. An der Nymphenburger Straße muss derweil improvisiert werden. Die Gerichtssäle dort können nicht kurzerhand erweitert werden, um mehr Platz für Besucher zu schaffen. In der jüngeren Vergangenheit - und besonders aktuell beim NSU-Verfahren - erwiesen sich die Säle als viel zu klein. Besucher mussten regelmäßig abgewiesen werden. Auch beim Kriegsverbrecher-Prozess gegen John Demjanjuk war das so.

Lediglich an der Optik kann die Hausverwaltung noch arbeiten. Der für die Wirtschaftsstrafkammern am Landgericht München I reservierte Sitzungssaal wurde schon neu möbliert und gestrichen, damit sich der Kulturschock für Angeklagte wie die Herren von der Deutschen Bank in Grenzen hält. Wenn die aktiven und ehemaligen Bankvorstände an den Sitzungstagen einlaufen im Gerichtsbau, fällt der Kontrast besonders ins Auge: Hier die in edlem Tuch gewandeten Männer, dort das schäbige Ambiente, in dem die Münchner Justiz Recht spricht. Im Jahr 2011 beschwerte sich ein Anwalt sogar offiziell beim damaligen für das Gebäude zuständigen Amtsgerichtspräsidenten Gerhard Zierl über die "Hygienezustände im Strafjustizzentrum".

Hochsicherheitssaal in Stadelheim

Ein neuer Gerichtssaal des Freistaats auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stadelheim ist kurz vor der Fertigstellung. Es handelt sich um einen halb in die Erde eingelassenen Hochsicherheitstrakt mit explosionssicheren Decken, der über einen unterirdischen Gang mit dem Gefängnis verbunden ist. Hier sollen von Anfang 2016 an besonders gefährdete Prozesse abgehalten werden. Mafiosi oder Terroristen können direkt aus ihren Haftzellen zu den Verhandlungen geführt werden; damit ist ein Ausbruch oder eine Befreiungsaktion praktisch ausgeschlossen. Über das Gebäude gespannte Drahtseile sollen Hubschrauberlandungen unmöglich machen. Bislang müssen Gefangene oft unter massiven Sicherheitsvorkehrungen durch die halbe Stadt zum Strafjustizzentrum an der Nymphenburger Straße und nach den Verhandlungen wieder zurück in die Haftanstalt gebracht werden. Das ist risikobehaftet, erfordert eine enorme Logistik und viel Personalaufwand. Der Hochsicherheitssaal ist 270 Quadratmeter groß, in zwei kleinere Säle teilbar und bietet Platz für maximal 207 Personen. Bis zur Fertigstellung des neuen Strafjustizzentrums am Leonrodplatz in voraussichtlich sechs Jahren ist der Stadelheimer Gerichtssaal dann der größte in München. Er kann auch für andere spektakuläre Prozesse mit großem Besucherandrang genutzt werden. Bei Prozessbeobachtern könnte sich aber wegen der massiven Bauweise und der kellerähnlichen Atmosphäre ein beklemmendes Gefühl einstellen. Bei der Münchner Justiz geht man davon aus, dass zunächst gegen mehrere mutmaßlich gewaltbereite Islamisten, die aus Syrien zurückgekehrt sind, in Stadelheim verhandelt wird. Bei den Staatsschutzsenaten des Oberlandesgerichts sind angeblich mehrere Verfahren - "im einstelligen Bereich", wie es hieß - gegen solche Personen anhängig. Zusammen mit dem Bau einer Turnhalle für die JVA kostet der Hochsicherheitstrakt rund 15 Millionen Euro. chro

In so einer abgewetzten Atmosphäre konserviert sich aber auch ein gewisser Charme. In der Gerichtscafeteria ist das für die Stammgäste unter den Prozessbesuchern, die sogenannten Prozessrentner, kaltgestellte Bier noch billig und der Leberkäs heiß. In der riesigen Gerichtskantine unterdessen finden sich noch Gerichte auf der Karte, die bei der Grundsteinlegung des Gebäudes 1973 modern waren. Vielleicht werden manche Rezepte ja übernommen ins neue Justizzentrum. Alles andere aber wird sich grundlegend ändern.

Glas als Symbol für Transparenz

An der Ecke Dachauer Straße/Schwere-Reiter-Straße beginnen nun die Bauarbeiten für den neuen Justizkomplex, in dem einmal 1300 Staatsbedienstete arbeiten sollen. Es handelt sich um das zurzeit größte öffentliche Hochbauprojekt des Freistaats. Der Präsident des Oberlandesgerichts München, Peter Küspert, ist froh, dass das Bauvorhaben endlich realisiert wird: "Der Neubau des Strafjustizzentrums ist dringend erforderlich, um die Münchner Strafjustiz räumlich und technisch angemessen unterzubringen."

In dem fünf-, sechs- und zum Leonrodplatz hin siebenstöckigen Gebäude sind 54 Sitzungssäle vorgesehen. Einer davon fällt mit 290 Quadratmetern besonders groß aus, um Besucheranstürme bewältigen zu können. Es wird ein mächtiger Baukörper mit drei Innenhöfen. Für die Front des von den Architekten "Frick Krüger Nusser Plan 2 GmbH" konzipierten Baus ist viel Glas vorgesehen, was symbolisch für die Transparenz der Rechtsprechung stehen soll.

Sabotage-Aufrufe und beschmierte Wände

Dass die Justiz unabhängig und gerecht ist, daran glauben in München offenbar nicht alle. Anarchistische Gruppen halten die Justiz für eine "unser Leben einschränkende Institution", wie es in einem Internet-Blog heißt, und rufen zur "Sabotage" auf der Baustelle auf. Schon in der Planungsphase für das Justizzentrum wurden in der Umgebung Wände beschmiert, Scheiben eingeworfen und Autos angezündet. Mehr als 300 Straftaten der Justiz-Gegner hat die Polizei registriert, der Schaden liegt bei 350 000 Euro.

Mit der Realisierung des Projektes spitzt sich die Situation nun weiter zu. Die Anarchos wollen die Bauarbeiten "auf jede mögliche Art" behindern, Zufahrtswege blockieren, Arbeiter und Nachbarn aufhetzen und "die Polizei nerven", wie es in einem Aufruf heißt.

Die ausführenden Architekten wurden bereits beleidigt und bedroht. Ihr Büro steht seither unter Polizeischutz. Aufgrund der kritischen Lage dürfte die Baustelle zur am besten bewachten in ganz Bayern werden. Auch beim Spatenstich mit Justizminister Winfried Bausback und Innenminister Joachim Herrmann am Mittwoch steht der Sicherheitsaspekt im Vordergrund.

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