Justiz-Projekt:Münchens jüngste Richter

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Mit jugendtypischen Straftaten beschäftigt sich der "Munich Teen Court", den Justizminister Georg Eisenreich vorstellte. (Foto: Erasmus-Grasser-Gymnasium)

In Fällen von Diebstahl, Schwarzfahren oder auch Bedrohung urteilt der "Munich Teen Court" über jugendliche Straftäter. Die Höchststrafe dürfte für viele hart sein.

Von Joachim Mölter

Der junge Mann hat es sich ganz schnell verscherzt mit den beiden jungen Frauen, mit denen er sich treffen sollte: Zum ersten Date erschien er eine halbe Stunde zu spät, beim zweiten Termin war's immer noch eine Viertelstunde, und als er dann endlich da war, fing er auch noch an zu lachen, so als sei das Ganze bloß ein Spaß für ihn. "Das hat mich gestört. Er hat mich nicht wertgeschätzt", erzählt Nora El Shershaby, eine der jungen Frauen. Sie fühlte sich nicht ernstgenommen und belächelt, ein Eindruck, den Emro Bishar Mohamud bestätigt, die zweite Frau, die dem Jungen gegenübersaß. Der begriff offensichtlich nicht, welche Chance er da gerade verspielte, und um was es überhaupt ging.

Die Frauen, beide 17, gehören zum so genannten "Munich Teen Court", eine Art Schülergericht, das seit diesem Schuljahr in München tagt, und das Bayerns Justizminister Georg Eisenreich nun der Öffentlichkeit vorstellte. Beteiligt an dem Projekt sind die Jugendhilfe-Organisation "Brücke", die Staatsanwaltschaft München I und bislang vier Kooperationsschulen - das Erasmus-Grasser- und das Bertolt-Brecht-Gymnasium, die Maria-Probst-Realschule und die Mittelschule an der Fernpaßstraße. Aber im Grunde können sich alle Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren über die Homepage der "Brücke" bewerben. "Letztes Jahr waren wir über jede Anmeldung froh", sagt die Sozialpädagogin Simona Huber eingedenk der Umstände durch die Corona-Pandemie.

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Immerhin 41 Schülerinnen und Schüler kamen zusammen, sie wurden von der Jugendhilfe geschult, seit November leitet ihnen die Staatsanwaltschaft Jugend-Strafsachen weiter, damit sie darüber befinden. "Es ist nicht das geeignete Verfahren für schwere Straftaten", sagte Justizminister Eisenreich, "eher für jugendtypische Fälle." Diebstahl, Schwarzfahren, Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Bedrohungen, so was halt. Das Prinzip des Teen Courts sei "nicht der klassische Ansatz, wo ein Erwachsener von oben herab mit einem Jugendlichen spricht", sagt Staatsanwältin Sonja Orel: "Bei Gleichaltrigen auf Augenhöhe funktioniert der Zugang besser."

Nora El Shershaby kann das bestätigen, sie hatte auch einen Jungen vor sich, der wegen Diebstahls angeklagt war. "Er hat schon nach fünf Minuten erzählt, dass Depressionen der Grund für seinen Diebstahl waren und er ein Glücksgefühl bekommen hat, als er was zu essen geklaut hat", berichtete sie: "Das hat uns gezeigt, dass wir auf einer guten Wellenlänge sind."

Verhandelt hat der Teen Court zunächst nur online über Videokonferenzen, erst jetzt ist wieder direkter Kontakt möglich. Bislang hat er etwa 35 Fälle erledigt, künftig sollen es 100 pro Schuljahr sein. In jedem Fall treffen sich drei Schülerrichter mit einem Täter oder einer Delinquentin, gemeinsam besprechen sie den Fall und diskutieren über eine angemessene erzieherische Maßnahme. "Wir sprechen nicht so gern von Strafe", sagt Frieda Nicoll, 15. "Es geht darum, dass die Täter ihre Tat reflektieren." Wie lange die Sitzungen dauern, hänge ab "von der Bereitschaft der Täter, sich darauf einzulassen", sagt Leonard Nube, 16. In der Regel sei es eine halbe bis eine dreiviertel Stunde. "Es ist nicht so viel Arbeit", findet Emro Bishar Mohamud.

Die Sanktionen fallen meist milde aus: Ein Mädchen sollte eine Bewerbung schreiben als ersten Schritt aus ihrer prekären Situation; ein anderes bekam eine Power-Point-Präsentation zum Thema Schwarzfahren als Aufgabe, weil ihr nicht bewusst war, dass das eine Straftat ist. Und ein Junge, der bei einem Klassiker erwischt wurde - der Mitnahme eines Verkehrsschildes in eher mehr als weniger alkoholisiertem Zustand - kam mit einem Podcast davon, in dem er das Geschehen des Abends aufarbeitete. Möglich sind auch Arbeitsleistungen oder ein Handy-Entzug. "Das ist die Höchststrafe", findet Minister Eisenreich.

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Werden die Aufgaben erledigt, wird das Verfahren eingestellt. Nimmt jemand die Sache nicht ernst, so wie der eingangs erwähnte Junge, geht die Akte zurück an die Staatsanwaltschaft, und die Betreffenden sehen sich etwas später einem erwachsenen Berufsrichter gegenüber. Der spricht dann von oben herab etwas strenger und urteilt oft auch härter.

"Aber das sind Einzelfälle", sagt Leonard Nube über die Uneinsichtigen und Widerborstigen. Die meisten seien dankbar, vergleichsweise glimpflich aus ihrem Schlamassel rauszukommen, so der übereinstimmende Eindruck der Jugendlichen, die dem Minister bei der Vorstellung des Projekts zur Seite standen. Auch Eisenreich spricht von "einer hohen Akzeptanz und niedrigen Rückfallquote", jedenfalls sei das die Erfahrung. Das erste Schülergericht wurde ja bereits vor 20 Jahren in Aschaffenburg eingerichtet, im Lauf der Zeit kamen elf weitere Städte in Bayern dazu, nun ist auch München dabei - ein "bayerisches Erfolgsmodell", findet Eisenreich.

Es scheint tatsächlich eine Win-win-Situation zu sein, denn auch die Schülerrichter profitieren. Als "persönlich bereichernd" empfand Immanuel Marchese, 16, die Tatsache, Gleichaltrigen helfen zu können. Charlotte Kliem, 14, berichtete von Selbstvertrauen, das sie gewonnen habe, Frieda Nicoll davon, "dass man viel Lebenserfahrung sammeln kann, vom Pädagogischen her und auch vom Juristischen". Sie will nächstes Jahr wieder mitmachen, "um auch Erfahrung in Präsenzsitzungen zu kriegen".

Die "Brücke"-Pädagogin Simona Huber bescheinigt den teilnehmenden Teenagern freilich schon jetzt: "Sie haben es geschafft, trotz der Online-Distanz ihr Feingefühl zu behalten." Den Unterschied zwischen einem Lächeln aus Dankbarkeit und einem aus Überheblichkeit haben sie jedenfalls ganz offensichtlich erkannt.

© SZ vom 05.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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