Süddeutsche Zeitung

Justiz in München:Ein Gerichtssaal für Terroristen

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Von Christian Rost

Der neue Hochsicherheitsgerichtssaal in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim soll bereits Ende des Jahres erstmals für Verhandlungen genutzt werden. Das teilte der scheidende Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) München, Karl Huber, am Donnerstag mit. Der besonders gesicherte Verhandlungssaal in der JVA mit 200 Plätzen ist auch für Verfahren gegen Personen vorgesehen, die sich in Syrien oder dem Irak terroristischen Organisationen wie dem Islamischen Staat angeschlossen haben und nach Deutschland zurückkehren. Huber rechnet mit einer steigenden Zahl solcher Staatsschutzverfahren, es seien zeitnah mehrere Prozesse zu erwarten - "im einstelligen Bereich".

Dass die Münchner Justiz Platzprobleme bei aufsehenerregenden Prozessen hat, bereitete Huber vor allem beim Verfahren wegen der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Kopfzerbrechen; dieser Prozess läuft nun seit fast 200 Verhandlungstagen und hat bislang 30 Millionen Euro gekostet. Aber auch Gerichtsverfahren gegen prominente Angeklagte wie Uli Hoeneß zeigten der Justiz ihre Grenzen auf, weil es immer mehr Leute gebe, die sich daran "ergötzen", wie Huber sagte. Da dieser Trend wohl nicht umzukehren ist, spricht sich Huber dafür aus, Gerichtsverhandlungen zumindest teilweise etwa im Internet zu übertragen.

Der Planungseifer ließ nach

Die räumliche Situation der Justiz wird sich trotz des neuen Saals in Stadelheim aber wohl erst nach dem Jahr 2020 deutlich entspannen. Dann soll das neue Strafjustizzentrum am Leonrodplatz fertig gestellt werden. In dem auf 300 Millionen Euro taxierten Neubau werden von da an alle Strafsachen verhandelt, die Zivil- und Verwaltungsgerichte bleiben an ihren Standorten. Das neue Strafjustizzentrum sollte ursprünglich bereits in drei Jahren in Betrieb gehen; nachdem aber die Olympiabewerbung für 2018 geplatzt war, ließ der Planungseifer in den Behörden etwas nach.

Die Zahl der Straf- und Zivilverfahren ist in den vergangenen zehn Jahren im Bezirk des OLG München nach Hubers Worten "deutlich zurückgegangen". Sein Haus ist den Land- und Amtsgerichten in Oberbayern, Schwaben und dem größten Teil Niederbayerns übergeordnet und somit für etwa sieben Millionen Menschen im Freistaat zuständig. Im Vergleich zum Jahr 2005, als noch etwa 75 000 Strafsachen im OLG-Bezirk bearbeitet wurden, sind es nun 27 Prozent weniger. Huber führt dies zurück auf eine bessere Sicherheitslage durch höhere Präsenz und bessere Ausstattung der Polizei sowie auf die Erkenntnis, dass sich Verbrechen meist nicht lohnt: "Raubüberfälle auf Banken gibt es ja kaum mehr", sagte der Präsident.

Deals vor Gericht als taugliche Instrumente

Auch bei den an den Amtsgerichten bearbeiteten Zivilsachen (minus 22 Prozent) und Berufungen an den Landgerichten (minus 20 Prozent) gab es deutliche Rückgänge. Gestiegen ist die Zahl der Verfahren an den Familiengerichten von 39 000 auf jetzt etwa 48 000. Zudem belasten komplizierte Wirtschaftsverfahren oder Arzthaftungsprozesse zunehmend die Justiz. Dabei sind die Gerichte und Staatsanwaltschaften im OLG-Bezirk personell so gut ausgestattet wie nie zuvor. Weil der Landtag zuletzt erneut 75 zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte bewilligt hat, "ist die notwendige Zahl fast erreicht", sagte Huber. Dies habe zur Folge, dass "die Mühlen der Justiz relativ rasch mahlen".

Huber verteidigte die Arbeit der Justiz gegen Kritik. So sei es völlig in Ordnung gewesen, das Verfahren gegen Formel-1-Boss Bernie Ecclestone gegen 100 Millionen Dollar einzustellen. "Wenn jemand viel Geld hat, ist diese Summe eben hoch", sagte der Gerichtspräsident. Auch die sogenannten Deals vor Gericht - milde Strafen im Gegenzug für ein Geständnis - seien taugliche Instrumente im Gerichtsalltag. Verfahren würden damit erheblich abgekürzt.

Nacht Schichtende in der Zelle übernachtet

Nach zehn Jahren an der Spitze des Oberlandesgerichts geht Karl Huber Ende des Monats im Alter von 67 Jahren in den Ruhestand. Damit endet eine bemerkenswerte bayerische Karriere: Der gebürtige Oberpfälzer war zunächst Polizist in München und studierte nebenbei Jura. Er habe oft nachts und an den Wochenenden gearbeitet und nach Schichtende für einige Stunden in Haftzellen geschlafen, um tagsüber an die Uni gehen zu können, erzählte er. Nach dem zweiten Staatsexamen schied er als Kommissar aus dem Polizeidienst aus und begann bei der Justiz als Ermittlungsrichter.

Sein erster Fall war eine Haftbefehlseröffnung gegen einen 18-Jährigen, der seine Eltern umgebracht hatte. Huber arbeitete 30 Jahre lang als Richter, bis er schließlich zum OLG-Präsidenten und zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs berufen wurde. Als oberster Verfassungsrichter in Bayern hatte er etwa 1200 Verfassungsbeschwerden und mehr als 200 Popularklagen - beispielsweise im Streit über das Fragerecht im Landtag - auf dem Tisch. In seiner Amtszeit als OLG-Präsident musste Huber die Auflösung die Außenstellen der Amtsgerichte im ländlichen Raum mitverantworten und zog sich dabei den Zorn etlicher Bürgermeister zu, die die Bedeutung ihrer Gemeinden schwinden sahen. Im Ruhestand will sich Huber nun viel in der Natur bewegen, für seine erste lange Wanderung quer durch Bayern hat er sich eine Strecke von 140 Kilometern vorgenommen.

In seinen Ämtern nachfolgen wird ihm der bisherige Präsident des Nürnberger Oberlandesgerichts, Peter Küspert. Er begann seine Laufbahn in der bayerischen Justiz im Jahr 1983 als Richter bei den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen. Zeitweilig arbeitet er im Justizministerium, war Präsident des Landgerichts Regensburg und wurde 2011 OLG-Präsident in Nürnberg.

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SZ vom 20.02.2015
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