Jung & gut (12):Schreiben heißt Figuren jagen

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"Ich wäre Schauspielerin geworden, wenn ich sprechen könnte", sagt die Autorin Claudia Klischat.

Oliver Herwig

Vor kurzem hat die 33-Jährige eines der begehrten Münchner Literaturstipendien erhalten. Soeben ist in der Edition Solitude ihr erster Erzählband "Tiefausläufer" mit zehn Kurzgeschichten erschienen. Von Überschwang trotzdem keine Spur. Die Zeit der jungen Autoren sei vorbei, fürchtet die gebürtige Wolfratshausenerin.

Das hält sie aber nicht vom Schreiben ab. Tausend Anfänge hat sie schon entworfen, an Figuren gefeilt und plötzlich entdeckt, dass sie ihr davonlaufen. "Dann muss ich sie wieder einfangen!"

Eine Autorin jagt Geschichten. Ebenso "originell wie feinfühlig, atemlos wie sprachmächtig", jubelten die Münchner Preisrichter über den Anfang von "Hinter Wänden". Die erste Geschichte ist schnell erzählt und bleibt doch vage wie ein Fiebertraum. Ein Mann wacht im Bett einer (Un-)Bekannten auf und kann sich an nichts mehr erinnern. Noch während sich die beiden lieben, kramt der Mann in seinem Gedächtnis. Versucht es jedenfalls. Da ist ein Bruder, der sich umgebracht hat? Eine Familie? Ein Pizzaexpress in Leipzig? Die Welt scheint von Mehltau überzogen, vor allem aber seine Zunge. "Ich muss jetzt etwas sagen", weiß der Protagonist, und bringt keinen Ton heraus. Je mehr er die Aktion herbeisehnt, desto eher entgleitet sie ihm. Auf der Suche nach dem verlorenen Tag reiht er Satz auf Satz, und die Welt geht in einem Stakkato von Gedankenfetzen zu Bruch. Konjunktionen verbinden nichts mehr, sie verstärken nur das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

"Hinter Wänden" verbindet aktuelle MP3-Ästhetik mit der Sprachskepsis der klassischen Moderne. "Womit beginnt eigentlich das, was man später Literatur nennt?", fragte Wolf Wondratscheck einmal in einem Interview und lieferte gleich die Antwort: "Mit der Erfahrung eines einzelnen." Erlebt hat Klischat genug. "Alles Mögliche" probierte die Autorin aus.

Sie studierte Germanistik und Philosophie, tanzte für Musicals wie "Dracula" oder "Ich, Marlene" und unterrichtete allein erziehende Sozialhilfeempfänger. Bewerbertraining von einer Autorin, die nie eine Festanstellung suchte und immer auf Achse war. "Eigentlich könnte ich auch in einem Wohnwagen leben", behauptet Klischat.

Egal ob Freiburg, Bamberg, Leipzig oder gerade wieder München, das Wichtigste bleibt das Schreiben.

Mit einer Laudatio auf Virginia Woolf bewarb sich die Autorin am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig - und wurde 1998 aufgenommen. Drei Jahre studierte sie in der Buchstadt und lernte, was einen guten Text ausmacht. Woolf war damals sehr wichtig für Klischat, heute hält sie es eher mit Beckett.

Literaturinstitut Leipzig heißt für die Preisträgerin des Open Mike und Stipendiatin am Stuttgarter Schloss Solitude engagierte Studenten und gute Betreuer. Besonders Katja Langen-Müller, die mit einem "unglaublichen Gespür" an Texte und Menschen heranging, wurde für Klischat zur Instanz. Leipzig war die "beste Schule für Kritik".

Nur eines hat sie dort nicht gelernt, und manchmal vermisst sie das Gefühl: Selbstverliebtheit in ihre Texte. So verliert sie immer wieder den Kontakt zum Geschriebenen und fühlt sich zu weit weg vom Manuskript. Vielleicht habe sie einfach ein Problem damit, sich festzulegen, mutmaßt Klischat. "Inhalt sucht Form", beschreibt sie den Augenblick, in dem neue Projekte entstehen - oder endgültig versanden. Überreif nennt sie ihre Arbeit "Hinter Wänden". Ende des Jahres, wenn das Manuskript steht, sollen sich drei Erzählungen überlagern wie Geschichten in Altmans "Short Cuts". Filmisches Denken gehört zu Klischat.

Ein Drehbuch liegt auch schon bei ihrer Agentin. "Endstation Himmelwärts" zieht sich als Roadmovie von Hamburg quer durch die Republik über die Alpen nach Venedig. Irgendwann möchte die Autorin wieder zurück nach Leipzig. "Ich mag das Kaputte dort", sagt Claudia Klischat. "Leipzig ist nicht so glatt wie München."

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