Das Jugendensemble für Neue Musik BayernZwölfton mit 17 – Jugendliche wagen sich an die Musik von morgen

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Auf Abstand zur Neuen Musik? Manche jungen Musikerinnen und Musiker finden durchaus einen Zugang zu ihr. Hier ein Jumble-Konzertfoto aus dem Schwere Reiter München.
Auf Abstand zur Neuen Musik? Manche jungen Musikerinnen und Musiker finden durchaus einen Zugang zu ihr. Hier ein Jumble-Konzertfoto aus dem Schwere Reiter München. (Foto: Privat)

Ein Probenbesuch beim Jugendensemble Jumble in Alteglofsheim zeigt: In den zehn Jahren des Bestehens ist es nicht einfacher geworden, Jugendliche für Neue Musik zu begeistern. Aber es funktioniert immer wieder.

Von Paul Schäufele

Nicht mal der Hahn kräht an diesem Samstagmorgen, wohl aus Angst, die Ruhe in Alteglofsheim zu stören. Im Pfarrdorf zwölf Kilometer hinter Regensburg steht die Welt still. Nur aus dem Schloss tönt es seltsam: gezupfte Klaviersaiten, Klickgeräusche, Vogelzwitschern. Das Jugendensemble für Neue Musik Bayern (Jumble) probt für seinen Auftritt beim Münchner Adevantgarde-Festival für zeitgenössische Musik. Dort wurde das Ensemble auch vor zehn Jahren gegründet. Seitdem widmet es sich in wechselnden Besetzungen neuen und neuesten Kompositionen mit nicht nachlassender Neugier – auch wenn die Zeiten für zeitgenössische Musik vielleicht nie so schwierig waren wie jetzt.

„Ich versteh’s gar nicht ab Takt vier…“ Die Bratschistin seufzt. Und auch die Pianistin, die gläserne Akkorde in rhythmisch schwer zu bestimmenden Momenten beisteuern soll, wirkt zunehmend unglücklich. Johannes X. Schachtner, Leiter des Ensembles, nimmt sich die Zeit, die man in der Landidylle hat, und geht die Einzelstimmen von Wolfgang Rihms Ensemble-Stück „Blick auf Kolchis“ durch. Die zehn jungen Musizierenden folgen konzentriert der Partitur. Da stellt sich eine Frage: Was ist das überhaupt, Kolchis? „Kommt da nicht das Vlies her?“, fragt Benedikt Stengel. „Wow, nicht schlecht!“, sagt Schachtner.

Stengel ist für Jumble-Verhältnisse ein Experte. Der achtzehnjährige Cellist aus München besucht zum dritten Mal das verlängerte Probenwochenende in Alteglofsheim. Neue Musik begleitet ihn, seitdem er in einem der Musica-viva-Konzerte des Bayerischen Rundfunks mit zeitgenössischen Klängen in Berührung gekommen ist. Dennoch kennt auch er die Skepsis. Selbst musikaffine Freunde, denen er seine Jumble-Stücke zeigt, seien oft erst einmal abgeschreckt. „Manchmal ist es mir auch zu akademisch. Es muss mit Erwartungshaltungen gespielt werden, dann wird’s interessant“, sagt er. Er plädiert dafür, die Musik einfach auszuprobieren: „Früher hat man fast nur die Musik seiner Zeit gehört – das sollte auch heute dazugehören.“

Das sahen auch die Jumble-Gründer so. Vor zehn Jahren taten sich die Adevantgarde-Organisatoren Alexander Strauch und Johannes X. Schachtner zusammen, weil es ähnliche Gruppen schon in anderen Bundesländern gab, nur in Bayern nicht. Die Idee war, junge Leute zu begeistern, anstatt sie zu belehren. „In meiner Studienzeit musste man Leute noch dazu drängen, Neue Musik zu machen“, sagt Schachtner.

Leicht ist es auch heute nicht, wenn auch aus anderen Gründen. Schachtner ist seit Mai im Aufsichtsrat der Gema, der Verwertungsgesellschaft für Musik, die mit einer Reform die Vergütung von sogenannter Ernster und Unterhaltungsmusik gleichstellen wollte – zum Nachteil der E-Musiker. Die Reform ist nach einer hitzigen Diskussion zwar vorerst gescheitert, aber sie hat gezeigt: Neue Musik wird nicht automatisch als förderungswürdig erkannt. Und auch für das junge Ensemble wird es schwerer, sagt Schachtner. Zwar gebe es jedes Jahr ein paar Bewerbungen fürs Ensemble, doch auch wenn die Proben- und Konzertphase kaum länger als eine halbe Woche dauert, lassen sich nicht viele Jugendliche für diese Zeit verpflichten. Auch dieses Jahr gab es kurz vor knapp Absagen, schnell musste Ersatz gefunden werden für das Programm.

Proben in herrlicher Umgebung: das Jumble-Ensemble vor Schloss Alteglofsheim.
Proben in herrlicher Umgebung: das Jumble-Ensemble vor Schloss Alteglofsheim. (Foto: Susanne Just)

Mit Benedikt Stengel kann das nicht passieren. Den jungen Cellisten fasziniert die Arbeit mit den komplexen Stücken. Oft hat das Jugendensemble auch Auftragswerke im Programm, gestaltet also die Uraufführung eines Werks, das eigens für das Ensemble geschrieben wurde. So ist es auch in diesem Jahr. Die „Six taxonomic sketches“ des Münchner Komponisten Markus Schmitt greifen eine fiktionale Tier-Klassifikation auf, die der argentinische Prosa-Magier Jorge Luis Borges entworfen hat. Deshalb muss Benedikt Stengel schnelle Finger auf den Cello-Saiten auf- und abgleiten lassen – „Möwenlaute“ steht dazu in Schmitts Partitur. Die ist zwar grafisch ein Wunderwerk, gibt aber Fragen auf. Für Benedikt Stengel bedeuten diese Schwierigkeiten eine der Freuden der Neuen Musik: „Man kann ja mit dem Komponisten sprechen! Wie soll das Pizzicato sein, wie ist die zeitliche Abfolge? Oder was bedeutet diese Notation?“, sagt er. So nehme er viel mit von den Tagen in Alteglofsheim.

Ein geschärftes Gefühl für Rhythmus, eine neue Perspektive aufs Instrument. Die kann er gut gebrauchen, denn Stengel, der seit Mai auch einen der begehrten Plätze im Bayerischen Landesjugendorchester hat, steht vor der Entscheidung, Musik zur Karriere zu machen. Ob er sich dabei auf Neue Musik spezialisieren möchte? „Nein, es würde mir sonst etwas fehlen, das ich sehr gerne mag“, sagt er.

Samstagabend im Kreativquartier Schwere Reiter. Das Jugendensemble für Neue Musik Bayern spielt sein Jahreskonzert: kristalline Klänge des Avantgarde-Großmeisters Pierre Boulez, untergründig Drohendes von Rihm, aber auch die kuriosen, brillanten Miniaturen von Markus Schmitt. Insgesamt zwölf Musizierende werden auf der Bühne gestanden haben. Das Publikum ist nur etwa doppelt so zahlreich. „Es wäre schon schön, wenn etwas mehr Leute sich Neue Musik anhören würden“, findet Benedikt Stengel danach. Beirren lässt er sich nicht. Er möchte auch im nächsten Jahr wieder dabei sein.

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