Jugendhilfe:Gemütlichkeit wird zum Prinzip

Jugendhilfe: Sichtbare Veränderungen: Der Zaun um das geschlossene Heim in Pasing soll mit Buchenhecken und farbigen Platten verkleidet werden.

Sichtbare Veränderungen: Der Zaun um das geschlossene Heim in Pasing soll mit Buchenhecken und farbigen Platten verkleidet werden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Probleme waren so gravierend, dass das Heim für schwierige und gewaltbereite Jugendliche in Pasing schließen musste. Und das nur wenige Monate nach der Eröffnung. Der neue Träger will in der Scapinellistraße nun vieles anders machen.

Von Jutta Czeguhn

Wir brauchen hier keine Konferenzen, wir brauchen Spielen, Werkeln, Basteln", sagt Gunter Adams. Er steht in einem großen Raum im zweiten Stock des Jugendhilfezentrums an der Scapinellistraße 17. Die Deckenverkleidung ist an einigen Stellen abgenommen, Kabel quellen heraus.

Gerade mal zweieinhalb Jahre ist es her, da roch es in diesem Saal noch nach Farbe. Stadtjugendamtsleiterin Maria Kurz-Adam stand vor etwa 60 Gästen und sprach von einem "mutigen Schritt", den man mit dem neuen Heim für schwierige, gewaltbereite Jugendliche nun gehen werde. Ihr Optimismus schien sich auf alle zu übertragen, die zur Eröffnung der Einrichtung geladen waren.

"Bei uns ist nix von der Stange"

Nur wenige Monate später, im Dezember 2012, das Desaster: Das Heim musste nach gravierenden Problemen wieder geschlossen werden. Jetzt steht Gunter Adams hier, der Pädagogik-Professor ist Chef des neuen Trägers, der Evangelischen Jugendhilfe aus Würzburg. Vieles soll anders werden, sagt er. Aus dem schmucken Konferenzraum etwa werden zwei Zimmer, werkeln statt reden. Start ist im Oktober.

Jugendhilfe: Michaela Holler wird die neue Leiterin des Heims an der Scapinellistraße, Gunter Adams ist Chef der Evangelischen Jugendhilfe Würzburg.

Michaela Holler wird die neue Leiterin des Heims an der Scapinellistraße, Gunter Adams ist Chef der Evangelischen Jugendhilfe Würzburg.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Neue Besen kehren gut, heißt es. Die "Würzburger", die das Problemheim nun anstelle des städtischen Jugendhilfeverbunds "Just M" leiten werden, gehen die Sache fränkisch gelassen an. Oder rheinländisch direkt, denn Adams, vor 60 Jahren in Remscheid geboren, scheint nicht der Typ zu sein, der sich in theoretischen Grübelschleifen verheddert. Der Professor, dem der Ruf eines unerschrockenen Machers vorauseilt, fegt mit schnellen Schritten durch den 5,1 Millionen teuren, gerade mal drei Jahre alten Bau, der nun wieder wie eine Baustelle aussieht. Adams erklärt, was geplant ist.

"Das neue Prinzip hier wird Gemütlichkeit sein", sagt er in seinem rheinländischen Dialekt. Im Raum nebenan will er Werkbänke aufstellen, auf der Dachterrasse sollen die jungen Bewohner Salat anlegen. Treppe runter, erster Stock, der Wohnbereich. Die Zimmer, noch sind sie alle identisch ausgestattet und gestrichen, bekommen neue Möbel, werden individuell gestaltet. "Bei uns ist nix von der Stange", sagt der Pädagoge.

Jugendhilfe: Auch im Inneren setzt der neue Träger aus Würzburg auf eine freundlichere Gestaltung.

Auch im Inneren setzt der neue Träger aus Würzburg auf eine freundlichere Gestaltung.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bislang gab es einen Aufenthaltsraum, künftig werden es zwei sein. Den Architekten des Gebäudes, Manfred Fischer, habe er auch schon in diese Richtung "umgepolt", und mit Johanna Reiner vom Baureferat sei die Zusammenarbeit "prima". Das Farbkonzept des Künstlers Heribert Heindl, nun ja. Man werde hier einiges überstreichen müssen. Heikel. Adams will das besser nicht vertiefen.

Gemütlichkeit, Farbe hin oder her. Für all jene, die in den vergangenen zwei Jahren verfolgt haben, wie dieses ehrgeizige städtische Projekt mit erstaunlicher Geschwindigkeit gegen die Wand fuhr, ist die entscheidende Frage die nach dem pädagogischen Konzept. Wie wollen Adams und sein Team in diesem geschlossenen Heim für hochbelastete Kinder und Jugendliche vorgehen? Im großen Aufenthaltsraum mit der Küche nebenan stehen Kaffeetassen und Gebäck auf dem Tisch.

"Wir haben keinen Zaun"

Adams ist mit einem kleinen Team aus Würzburg angereist. Michaela Holler, eine Psychologin, die die Clearingstelle im Münchner Heim leiten wird, schenkt frischen Kaffee nach. Durch die großen Fenster blickt man nach Westen hin auf den mehr als drei Meter hohen Sicherheitszaun. Die Nachbarn des Heims nennen ihn "Gefängniszaun". Für die Bewohner drinnen ging es darum, da irgendwie drüber zu kommen, unten durch. 25 Mal ist dies gelungen, im Zeitraum vom 15. April bis 15. Dezember, wie aus den Akten der Polizei hervorgeht.

"Wir haben keinen Zaun", sagt Gunter Adams. Seit elf Jahren leitet Adams an der Lindleinstraße in Würzburg-Grombühl ein Heim, in dem 200 Kinder und Jugendlichen in Wohngruppen leben. Eine Gruppe, "A-Team" genannt, betreut acht junge Menschen mit Störungen im Sozialverhalten, die eine Grenzen setzende Pädagogik und Therapie benötigen. Nur diese Jugendlichen sind geschlossen untergebracht. Das Projekt, erzählt Gunter Adams, sei in Reaktion auf den Fall "Mehmet" entstanden, der in den Neunzigerjahren Schlagzeilen machte.

Jugendhilfe: Es werden mehr Entfaltungsmöglichkeiten für die schwierigen, gewaltbereiten Jugendlichen geboten.

Es werden mehr Entfaltungsmöglichkeiten für die schwierigen, gewaltbereiten Jugendlichen geboten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Freistaat, hilflos angesichts der Frage, wohin mit noch nicht strafmündigen Intensivstraftätern, legte das Programm "Wege zur inneren Sicherheit" auf. Die Evangelische Jugendhilfe Würzburg überzeugte mit ihrem Konzept kleiner Einheiten. Mittlerweile gibt es in Bayern vier Standorte, neben Würzburg auch in Regensburg, Hallbergmoos und nun eben das Heim an der Pasinger Scapinellistraße mit seinen 14 Plätzen.

Das Münchner Heim mit Sicherheitszaun und Ausgangs- und Kontaktsperre für maximal drei Monate hat sich zumindest bislang konzeptionell deutlich von der geschlossenen Wohngruppe in Würzburg unterschieden. "Bei uns an der Lindleinstraße gibt es für die Bewohner punktuelle Geschlossenheit, das heißt, sie spielen im Hof mit den anderen Heimkindern, sie sind mit ihnen zusammen in Fördergruppen, sie haben Ausgang und können in die Stadt gehen", sagt Adams. Er berichtet von einem Ausflug mit den Bewohnern der Geschlossenen.

"Bei euch muss ich nicht cool sein"

Adams hat mitgehört, wie ein Außenstehender einen Jungen aufforderte, doch abzuhauen. "Das geht nicht, ich bin doch geschlossen untergebracht", habe der da geantwortet. Für Adams beschreibt dies, um was es ihm und seinem Team geht: "Um eine Veränderung im Denken." Michaela Holler erzählt von einem ähnlichen Erlebnis mit einer jungen Klientin. Das Mädchen habe ihr erleichtert gesagt: "Bei euch muss ich nicht cool sein, weil ihr einen Teil der Verantwortung für mich übernehmt."

Für Adams ist es eine interessante Frage, ob es auch in München gelingen wird, das Denken zu verändern. Zunächst werden, abgesehen von den baulichen, den raumatmosphärischen Veränderungen, vor allem die Gruppen verkleinert: Nicht mehr Gruppen mit sieben Bewohnern wird es geben, sondern Zweier-, Dreier-, Vierer und Fünfer-Einheiten. Jeweils 13 Mitarbeiter werden sieben Kinder betreuen, in drei Schichten, überwiegend Sozial-Pädagogen, unter Umständen auch Erzieher und Heilerzieher.

Das Wort "geschlossen" als Verpflichtung begreifen

Die Würzburger werden ihr Personal zunächst mitbringen, neue Leute (Interessenten können sich bei Michaela Holler unter 0931/2508016 melden), werden an der Lindleinstraße eingearbeitet. "Es wird von der Anzahl der Probleme abhängen, wie viele Leute aus Würzburg hier aushelfen", sagt Adams. Er habe der Regierung von Unterfranken versprechen müssen, dass es in Würzburg nicht schlechter läuft. Bei der Regierung von Oberbayern wiederum will er Lehrer für seine jungen Heimbewohner in der Scapinellistraße durchsetzen. Da müsse er noch ein paar Bretter bohren.

Die Probleme, die in München zur Schließung geführt haben, will Adams nicht groß kommentieren: "Die Latte war hier ziemlich hoch gelegt, man kann eben nicht alles schaffen." Zudem seien die Rahmenbedingungen nicht einfach gewesen, der Druck, unter dem die Funktionsträger gestanden hätten, der Mangel an erfahrenem Personal. "Auch wir haben in unserem ersten Jahr in Würzburg einen Fehler nach dem anderen gemacht", erinnert er sich.

Adam will das Heim nach außen hin öffnen

Die Erfahrung der Evangelischen Jugendhilfe mit der geschlossenen Jugendhilfe war wohl der Grund dafür, dass der Münchner Stadtrat den Würzburgern im Frühjahr dieses Jahres den Zuschlag für die Trägerschaft gegeben hat. Man habe sich zunächst nicht danach gedrängt, bei dem sogenannten Interessenbekundungsverfahren der Landeshauptstadt als Bewerber mitzumachen. Er sei dann aber angerufen worden, sagt Adams. Von wem? "Von einer Münchner Nummer, von prominenter Stelle."

Ein Faktor, der Adams sehr wichtig ist: Er will das Heim nach außen hin öffnen. Im Würzburger Ortsteil Grombühl sei man voll integriert, "die kennen unseren Laden in und auswendig". Adams ist Ehrenmitglied im nahen Schrebergarten, einmal im Jahr gebe es einen Tag der offenen Tür. "Die Leute sollen auch hier begreifen, dass das kein Mysterium ist, was wir machen", sagt der Professor, der schon mit den Verantwortlichen des angrenzenden Sportvereins, mit dem Bürgerbeirat Scapinellistraße sowie mit Polizei und Feuerwehr in Kontakt steht.

Der Zaun, das werden die Nachbarn zu allererst mitbekommen, wird an seiner Außenseite eine Buchenhecke bekommen, innen Edelstahl- und farbige Verkleidungsplatten. Adams definiert den Zaun um, er will keinen Gefängniszaun: "Ich möchte nicht, dass unsere Kinder hier ausgestellt werden, und zudem finde ich es inhuman, wenn sie dauernd auf den Bolzplatz blicken müssen."

Eines Tages aber, wenn sein Plan mit der Veränderung im Denken aufgeht, könnte es sein, dass auch die Kinder und Jugendlichen aus dem Heim an der Scapinellistraße das Wort "geschlossen" als Verpflichtung begreifen, "nicht fortzulaufen". "Dann haben wir vielleicht eine kleine Tür im Zaun, und sie können auf den Bolzplatz rüber gehen und mit den anderen spielen", sagt Gunter Adams.

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