Süddeutsche Zeitung

Jugendherberge:Die Zeit der Etagenklos ist vorbei

  • Münchens älteste Jugenherberge wird renoviert: Es soll ein neuer Eingangsbereich und Speisesaal entstehen.
  • Gleichzeitig will sich das Haus in Neuhausen seines "verstaubten Früchtetee-Images" entledigen, sagt Architekt Wolfram Putz.
  • Die Stockbetten werden künftig als Schlafkoje in der Wand verankert sein, Etagenklos und -duschen gehören der Vergangenenheit an.

Von Marco Völklein

Bei den sieben Rundbögen im Eingangsbereich waren sich Bauleiter Ralf Weixler und die Denkmalschützer sofort einig. "Das ist ein für das Haus ganz prägendes Merkmal", sagt Weixler. "Das muss natürlich erhalten bleiben." Auch das charakteristische Treppenhaus aus den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts werde in seiner Grundstruktur nicht angetastet, die Materialien würden weitgehend erhalten bleiben, sagt Weixler. Ebenso das Gewölbe im Eingangsbereich und der Zuschnitt der Zimmer in den Stockwerken darüber, jedenfalls von den Zimmern, die nach vorne, zur Wendl-Dietrich-Straße, rausgehen. Schließlich steht das Haus nicht nur als erste innerstädtische Jugendherberge unter einem besonderen Schutz. Es ist auch ein Beispiel für die typische Blockrandbebauung, die das Viertel westlich des Rotkreuzplatzes prägt.

Ansonsten aber, das machen Bauleiter Weixler und Winfried Nesensohn vom Vorstand des bayerischen Jugendherbergs-Landesverbands bei einem Rundgang über die Baustelle rasch deutlich, wird sich einiges verändern in Münchens ältester Jugendherberge. Das Haus "soll unser neues Flaggschiff werden", sagt Weixler. Es soll eine neue Vorzeige-Herberge des bayerischen Landesverbands entstehen.

Dabei hatte das Gebäude vor Jahrzehnten eine ähnliche Funktion schon einmal, nämlich beim Bau und nach seiner Eröffnung in den Zwanzigerjahren. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren erste Jugendherbergen entstanden, zunächst vor allem auf dem Land oder in ländlichen Räumen in der Nähe der Städte. Doch gegen Ende der Zwanzigerjahre begann dann mit dem Bau in Neuhausen ein neues Kapitel: Das Haus wurde zu jener Zeit als erste "Großstadt-Jugendherberge der Welt" eröffnet, wie es beim Jugendherbergswerk heißt.

Nach dem Krieg wurde die Unterkunft erweitert: Zwei zusätzliche Häuser mit weiteren Schlaf- und Aufenthaltsräumen am Winthirplatz kamen hinzu, im Hinterhof entstand ein Speisesaal. 360 Betten bot das Haus zuletzt, etwa 60 000 Übernachtungen wurden pro Jahr gezählt.

Seit dem Frühjahr nun ist die Herberge geschlossen. Bauarbeiter sind damit beschäftigt, das Mobiliar zu entfernen und die beiden Gebäude am Winthirplatz abzureißen. Dort entsteht künftig der neue Eingangs- und Empfangsbereich, im Hinterhof wird ein neuer Speisesaal errichtet. Nur das alte Stammhaus an der Wendl-Dietrich-Straße bleibt erhalten.

Aber auch dort will sich das Jugendherbergswerk seines "verstaubten Früchtetee-Images" entledigen, wie es der Architekt Wolfram Putz vom Berliner Büro Graft ausdrückt. Er hat mit seinem Team die neue Herberge entworfen. Seit Jahren schon modernisiert das Jugendherbergswerk seine Häuser nach und nach; einige, die nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben waren, wurden geschlossen. Die Jugendherbergen stehen in direkter Konkurrenz zu privaten Hostel-Betreibern. Die wiederum stören sich am gemeinnützigen Status der Jugendherbergen und den damit verbundenen Steuervorteilen. Doch alle Beschwerden dagegen konnten die Jugendherbergen bislang juristisch abwehren.

Auf der Baustelle in Neuhausen kann man in einem Musterzimmer heute schon sehen, wie die Räume künftig aussehen werden. "Stockbetten wird es bei uns immer geben", sagt zwar Bauleiter Weixler. Aber sie werden, wenn man so will, künftig neu in Szene gesetzt: Sie sind nicht mehr einfach in den Raum hineingestellt; vielmehr sind sie künftig fest an der Wand verankert. Ein Schreiner hat jedes einzelne Bett zu einer Art Schlafkoje ausgestaltet, über breite Trittstufen in der Mitte, die im ersten Moment wirken wie überdimensionale Bücherregale, gelangen die Übernachtungsgäste in die obere Betten-Etage.

Auch im Bad wird sich einiges ändern. Etagendusche und Etagenklo gehören der Vergangenheit an, sagt Weixler. Künftig hat jedes Zimmer sein eigenes Bad und seine eigene Toilette. Um mehr Pärchen und Familien unterzubringen, wird es in dem gesamten Komplex mehr Zwei- oder Vierbettzimmer geben als bislang. Mehr als sechs Betten pro Zimmer wollen die Verantwortlichen in Neuhausen künftig ohnehin nicht mehr anbieten. Und dennoch: "Wir denken nach wie vor in Einheiten von 30 Personen", sagt Vorstand Nesensohn. Kernzielgruppen seien weiterhin Schulklassen, Musik- und Freizeitgruppen, Sport- und andere Vereine, die gemeinsam etwas erleben wollen. Eine Jugendherberge müsse mehr bieten als nur einen Platz zum Schlafen, "wir haben auch einen Bildungsauftrag", sagt Nesensohn.

Deshalb sehen die Planer immer auch genügend große Gruppen- und Aufenthaltsräume vor. Und in Neuhausen wird künftig in der neuen Herberge auch ein Kulturpädagoge als Ansprechpartner für Lehrer und Gruppenleiter fest angestellt sein, der zum Beispiel Theater- und Museumsbesuche vermitteln oder weitere Bildungs- sowie Kulturangebote in München entwickeln soll. 28 bis 30 Millionen Euro fließen in den Um- und Neubau des Hauses. Die Gäste, die auch im neuen Haus Mitglied im Jugendherbergswerk sein müssen, werden künftig für die Übernachtung etwa 20 bis 25 Prozent mehr bezahlen müssen als bislang - mit dem Umbau des Hauses steigt auch der gebotene Standard. Auch die Zahl der Betten wächst, von bislang 360 auf künftig mehr als 400. Vor allem das neue Bauwerk am Winthirplatz wird mehr Platz bieten, weil es mehr Stockwerke haben wird als die alten Bauten.

Dieser Neubau war allerdings nicht unumstritten. Zweimal musste Architekt Putz mit seinem Team in der Stadtgestaltungskommission antreten. Das Gremium, in dem unter anderem Vertreter des Stadtrats, verschiedener Behörden und freie Architekten vertreten sind, störte sich an dem ursprünglich von Graft vorgelegten Entwurf. Der sah unter anderem ein groß eingeschnittenes Foyer vor, das sich über zwei Stockwerke erstreckte. Vielen in der Stadtgestaltungskommission war das zu "aufgeregt", zudem störten sie sich an der ursprünglich geplanten Metallfassade.

Mittlerweile haben die Berliner ihren Ursprungsentwurf überarbeitet, unter anderem wurde der Foyer-Durchlass kleiner, statt der geplanten Metall- kommt nun eine Putzfassade. Architekt Putz hofft dennoch, dass seine Ursprungsidee im Grundsatz erhalten bleibt: Das Grün des Winthirplatzes soll durch das große, mit viel Glas versehene Foyer hinübergezogen werden in den ebenfalls mit Bäumen und Hecken bepflanzten Innenhof. Und der Zeitplan? Sofern alles klappt, sollen der Neubau am Winthirplatz wie auch das sanierte Haus an der Wendl-Dietrich-Straße im ersten Quartal 2021 eröffnet werden.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2018/baso
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