Jugendarrest:15 Stunden weggesperrt

Jugendarrest: Nach 15.45 Uhr müssen die Jugendlichen in ihre Zellen.

Nach 15.45 Uhr müssen die Jugendlichen in ihre Zellen.

(Foto: Claus Schunk)
  • Insassen des Jugendarrests werden fast 15 Stunden pro Tag weggesperrt, der Einschluss ist um 15:45 Uhr.
  • Die Gefängnisse wünschen sich mehr Personal.

Von Martin Bernstein

Er ist ein Schuss vor den Bug, die letzte Warnung der Justiz, Erziehungs- und "Zuchtmittel" zugleich: der Jugendarrest. 1642 Jugendliche und junge Erwachsene haben ihn vergangenes Jahr in Stadelheim abgesessen, weil sie eine Straftat begangen oder richterliche Weisungen ignoriert haben. In den Tagen und Wochen im Arrest sollen die Jugendlichen lernen, es künftig besser zu machen.

"Der Vollzug ist erzieherisch zu gestalten", heißt es im neuen Jugendarrestvollzugsgesetz, das am 1. Januar in Kraft tritt. Doch wie viel Erziehung ist möglich, wenn die Arrestinsassen täglich fast 15 Stunden weggesperrt werden? Das habe nichts mit Erziehung zu tun, sondern mit Personalmangel, argwöhnen die, die das selbst schon einmal erlebt haben. Experten geben ihnen recht.

"Die Personalsituation im Jugendarrest, aber auch in der ,normalen' Haft, ist miserabel", sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn. Der stellvertretende Vorsitzende des Anstaltsbeirats der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim hat nach der jüngsten Sitzung den benachbarten Jugendarrest an der Schwarzenbergstraße besucht. Und hat erfahren, dass die Zellentüren der jungen Leute sich dort bereits um 15.45 Uhr schließen - und erst um 6.30 Uhr wieder aufgehen. "Das ist völlig verfehlt", sagt von Brunn.

Die langen Schließzeiten, die auch vom Anstalts- und Vollzugsleiter bestätigt werden, sind nicht neu. Bereits vor vier Jahren, am 27. Mai 2014, besuchte eine Delegation der "Länderkommission zur Verhütung von Folter" die Münchner Jugendarrestanstalt. Und schlug Alarm: Der Nachteinschluss müsse nach hinten verlegt werden, um dadurch mehr Zeit für Betreuungsangebote zu schaffen. Einen Einschluss um 18 Uhr hielten die Experten für sinnvoll.

"Der Einschluss um 15.45 Uhr ist zu früh", sagt auch Jugendrichter Christian Gassner vom Amtsgericht München. Gassner ist "Vollzugsleiter" an der Schwarzenbergstraße, also für die inhaltliche Ausgestaltung des Jugendarrests zuständig. Besser wäre aus seiner Sicht 18 oder sogar 19 Uhr. "Aber es genügt nicht, nur aufzusperren", betont er. Dann müssten auch erzieherische Maßnahmen erfolgen - zum Beispiel durch Externe oder eine Anleitung zur Freizeitgestaltung.

Jugendarrest

60 Plätze hat die Münchner Jugendarrestanstalt. Davon sind im Schnitt 30 besetzt, 25 von männlichen Jugendlichen oder jungen Männern. Voll wird es insbesondere in den Ferien und an den Wochenenden. Die meisten verbüßen ihren Arrest wegen Körperverletzungsdelikten, Drogenverstößen oder Diebstählen. Aber auch Schulschwänzer sind dabei. Und Jugendliche, die einen Warnschussarrest verbüßen: einen Jugendarrest, den ein Richter zusätzlich zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verhängt hat, damit dem Jugendlichen das Unrecht seines Tuns deutlich wird. Zwei Drittel der Insassen im Münchner Jugendarrest sind Deutsche. Elf Justizvollzugsbeamte beaufsichtigen die Jugendlichen in drei Schichten. bm

Ebenso wie Michael Stumpf, der Leiter der JVA, hält Gassner den Einschluss der Jugendlichen für prinzipiell sinnvoll. Die jungen Straftäter bräuchten Zeit "zum Runterkommen", sagt Stumpf. "Rundumbetreuung" oder ein "Animationsprogramm" lehnen beide entschieden ab. Auf vier Säulen ruht der Jugendarrest laut Gassner: geregelter Tagesablauf, Einzelgespräche, Gruppenmaßnahmen und Zeit zum Nachdenken. "Der Einschluss gehört dazu."

Doch gehört er auch in dieser Länge dazu? Gehört es dazu, dass Jugendliche im Arrest den Eindruck bekommen, sie würden weggesperrt, weil es zu wenige Sozialpädagogen gibt? Und dass sie sich deshalb beispielsweise freiwillig zum Putzdienst melden, um länger "draußen" bleiben zu können? Die Länderkommission hat schon vor vier Jahren die Personalausstattung an der Schwarzenbergstraße moniert.

Das neue Gesetz bringt jede Menge neuer Aufgaben

Neun männliche und zwei weibliche Vollzugsbeamte, dazu eineinhalb Stellen im Sozialdienst - das sei offenkundig zu wenig. Geändert hat sich nichts. "Auf meinem dienstlichen Wunschzettel steht mehr Personal", gibt Anstaltsleiter Stumpf zu. Mehr uniformierte Beamte, eine Aufstockung des Sozialdienstes, auch ein Psychologe: Jugendrichter Gassner würde Stumpfs Wunschzettel sofort unterschreiben.

Dass es in der Vergangenheit schon Verbesserungen gegeben habe, insbesondere was die sozialtherapeutischen Angebote betrifft, lässt Stumpf hoffen. Nicht zuletzt auf das neue Gesetz, das er wie Gassner für eine "sinnvolle Geschichte" hält. Weil eben der erzieherische Aspekt darin betont werde, weil die "Entwicklung und Stärkung der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Jugendlichen" darin vorgeschrieben sei. "Aber das geht nur mit mehr Personal", betont Gassner.

Das neue Gesetz bringt jede Menge neuer Aufgaben. Ein Förder- und ein Erziehungsplan wird verlangt, die enge Zusammenarbeit mit den Eltern, ein Abschlussbericht. Alles sinnvoll, sicher. Aber auch personalintensiv. Ein Nullsummenspiel also?

Der Abgeordnete von Brunn befürchtet sogar eine weitere Verschlechterung der Personalsituation durch das neue Gesetz. "Alles, was die Staatsregierung bisher getan hat, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt der Anstaltsbeirat. "Im Endeffekt führt das zu viel zu viel Wegsperren statt Resozialisierung und Unterstützung für die Inhaftierten und zu einer starken Belastung für die Justizbeschäftigten."

Im Justizministerium sieht man das anders. Neben der Verstärkung des allgemeinen Vollzugsdienstes sei "gerade auch ein Ausbau der Fachdienste insbesondere im Bereich der Sozialpädagogen und Psychologen wünschenswert", greift Pressesprecher Thomas Pfeiffer den Wunschzettel aus Stadelheim auf. Doch ob die Wünsche in Erfüllung gehen werden? "Es bleibt hier den Haushaltsverhandlungen für den kommenden Doppelhaushalt 2019/2020 im Herbst vorbehalten, zusätzliche Personalstellen für den Jugendarrest zu schaffen."

Konkrete Vorgaben zur Dauer der Einschlusszeiten gebe es nicht, betont Pfeiffer. Das sei Sache der jeweils örtlich Verantwortlichen. Der Ministeriumssprecher sagt aber auch: "Konsequenter Vollzug des Jugendarrestes und seine erzieherische Ausgestaltung sind keine Gegensätze.

Gerade wenn sich die Jugendlichen durch vorherige mildere Sanktionen nicht haben beeindrucken lassen, soll ihnen durch einen kurzen, aber deutlich spürbaren Freiheitsentzug und den damit verbundenen Zwang zur Selbstbesinnung bewusst gemacht werden, dass ihre Verfehlungen nicht ohne Konsequenzen bleiben und fortgesetztes, sozialschädliches Verhalten nicht ungeahndet bleibt." Der freiwillige Putzdienst im Jugendarrest dürfte so in jedem Fall gesichert sein.

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