Jugend und Sexualität:Wie geht das mit dem Gummi?

Was Sex angeht, unterschätzen Eltern ihre 11-13-jährigen Kinder, den 17-Jährigen trauen sie dafür schon viel zu viel zu. Die Dr.-Sommer-Studie über Liebe, Körper und Sexualität.

Birgit Lutz-Temsch

Wie geht Petting? Ist es schlimm, wenn ich "ihn" nicht anfassen will? Kann man vom Küssen schwanger werden? Jeden Tag öffnet Eveline von Arx, promovierte Pädagogin zahlreiche Briefe mit diesen oder ähnlichen Fragen. Eveline von Arx ist seit drei Jahren Dr. Sommer. Seit Jahrzehnten ist das Dr.-Sommer-Team der Jugendzeitschrift Bravo eine Institution in Sachen Aufklärung. In Zusammenarbeit mit der Münchner Agentur iconkids & youth international research hat das Team nun eine Studie über den sexuellen Zustand der Jugend Deutschlands präsentiert. 1447 Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren und deren Eltern sind getrennt voneinander befragt worden.

Jugend und Sexualität: Eveline von Arx

Eveline von Arx

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Haben Jugendliche heute überhaupt noch Fragen über Sexualität, oder ist durch die Medien und das Internet ohnehin schon alles klar? Von Arx: Es ist ein Trugschluss, zu denken, durch die sexualisierte Gesellschaft seien die Jugendlichen gleichzeitig auch aufgeklärt. Das stimmt überhaupt nicht. Zwei Drittel der Jugendlichen halten sich zwar für aufgeklärt. Fragt man aber genauer über Verhütung nach, stellt man fest: Das ist gar nicht so. Dann wissen 63 Prozent der Zwölfjährigen eigentlich nicht bescheid.

sueddeutsche.de: Was kommen dann für Antworten? Von Arx: Zum Beispiel glaubt jeder fünfte Jugendliche, dass Mädchen nur direkt nach ihrer Periode schwanger werden können. Jeder vierte denkt, "aufpassen" sei sicher.

sueddeutsche.de: Womit sie völlig daneben liegen. Von Arx: Ja. Man muss bei jungen Mädchen ohnehin jederzeit davon ausgehen, dass sie schwanger werden könnten, denn die meisten haben noch einen sehr unregelmäßigen Zyklus, der sich nicht gut berechnen lässt. Jugendliche setzen den Begriff Aufklärung also überhaupt nicht mit Verhütung gleich.

sueddeutsche.de: Was hat das für Auswirkungen auf den Umgang mit Aids? Von Arx: Leider hat unsere Studie gezeigt, dass sich etwa 42 Prozent der Jugendlichen überhaupt keine Gedanken über Aids machen.

sueddeutsche.de: Wie wirkt sich ein solches Ergebnis auf ihre künftige Arbeit aus? Von Arx: Wir haben festgestellt, dass wir noch intensiver darauf hinweisen müssen, dass das Kondom als einziges Verhütungsmittel zuverlässig vor Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützt. Wenn wir also wieder ein Special über Verhütung machen, werden wir dem Thema Aids mehr Raum geben müssen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen Eltern bei der Aufklärung? Von Arx: Immer noch eine sehr große. Vor allem die Mütter sind wichtige Ansprechpartner. Da heute auch ein partnerschaftlicherer Umgang zwischen Eltern und Kindern gepflegt wird als noch vor 30 Jahren, haben Eltern heute einen besseren Zugang zu den Kindern und einen unschätzbaren Vertrauensbonus. Eltern müssen ihren Kindern signalisieren, dass sie mit allen Fragen zu ihnen kommen können.

sueddeutsche.de: Schätzen Eltern ihre Kinder richtig ein? Von Arx: Das muss man differenziert sehen: Bei unserer Studie haben zwei Drittel der Mütter die sexuelle Erfahrung ihrer Kinder richtig eingeschätzt - ein Drittel ist also nicht informiert. Es fällt aber auf, dass Mütter den 11 bis 14-Jährigen deutlich mehr kindliche Eigenschaften zuschreiben, als diese es selbst tun, besonders die Mädchen sind schon weiter. Den 16- und 17-Jährigen trauen die Eltern dafür umso mehr - und oft schon zu viel - zu.

sueddeutsche.de: Wann machen Jugendliche ihre ersten Erfahrungen? Von Arx: Die Mädchen sind den Jungen meistens weit voraus: Die Hälfte aller 13-jährigen Mädchen hat bereits auf den Mund geküsst, aber nur ein Drittel der Jungen. Die Hälfte der 14-Jährigen Mädchen hatte schon einen festen Freund, aber nur ein Fünftel der Jungen. Die meisten erleben zwischen 15 und 17 Jahren ihr erstes Mal.

sueddeutsche.de: Wann sollte man also mit aufklärenden Gesprächen beginnen? Von Arx: Wenn die Kinder elf oder zwölf sind, denn mit zwölf ist bereits ein Drittel der Jugendlichen geschlechtsreif, könnte also schwanger werden oder Kinder zeugen.

sueddeutsche.de: Womit kämpfen Jugendliche in der Pubertät noch? Von Arx: Mit ihren körperlichen Veränderungen. Die meisten fühlen sich zwar wohl in ihrer Haut. Rund ein Fünftel hat aber ein Problem mit dem Gewicht. Interessant ist, dass sich nicht nur Mädchen zu dick finden, sondern fast genauso viele Jungen. Allerdings verbindet etwa ein Viertel der Mädchen unangenehme Erinnerungen mit der ersten Periode. Nur fünf Prozent der Jungen finden dagegen den ersten Samenerguss schrecklich.

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