Lange Zeit hätte es Benedict Wells (23) nicht mehr ausgehalten, unveröffentlicht zu sein. Der Literatur-Smalltalk auf den Partys war für ihn ein Graus, die Frage, ob es denn schon etwas von ihm zu kaufen gäbe, fand er mehr als nur unangenehm. "Man ist kein erfolgloser Schriftsteller, sondern einer, der mal irgendwann Schriftsteller werden will", sagt Benedict heute über diese Zeit.
Inzwischen steht der Romanautor bei Diogenes unter Vertrag - als jüngster Debütant, der jemals bei diesem renommierten Verlag aufgenommen wurde. Früher sah alles noch ganz anders aus. "Ein Schriftsteller ohne Buch ist das Schlimmste. Man hört sich ja an wie ein Hochstapler. Wenn ein Mädchen gefragt hat, was ich mache, kam ich mir immer wie ein Schwindler vor", sagt er.
Vielleicht sind es gerade solche Begebenheiten, die ihn dazu bringen, sich ab und zu aus der Welt des Smalltalks und der Partys zurückzuziehen und für sich allein sein zu wollen. In seinem bisherigen Leben hat er es jedenfalls noch nie allzu lange an ein und dem selben Ort ausgehalten - und selbst Berlin hätte er beinahe schon wieder den Rücken zugedreht: "Hätte es letztes Jahr nicht geklappt, wäre ich ins Ausland gegangen, einfach weil ich es in Berlin nicht mehr ausgehalten hätte, weiter unveröffentlicht zu sein", erzählt er.
Der Hang zum Aufbruch scheint ihm schon als kleiner Schuljunge eigen gewesen zu sein, als er seine Jugend in drei verschiedenen Internaten im Münchner Umland verbrachte. Jetzt hält ihn etwas in Berlin: Sein Erstlingswerk "Becks letzter Sommer", das am 1. September erschienen ist.
Seine Schulzeit hat Benedict in drei Einrichtungen verbracht, die unterschiedlicher nicht hätten sein könnten. In Grunertshofen im Landkreis Fürstenfeldbruck lebte er in einem katholischen Grundschulheim, danach ging er mit einem Stipendium auf ein bayerisches Elite-Internat. Im Gegensatz zur "rührigen Waisenhausstimmung" in Grunertshofen gefiel ihm seine zweite Schule aber gar nicht: "Es herrschte eine soziale Kälte, die unerträglich war und in totalem Kontrast zur wunderschönen Umgebung stand. Als ich es nicht mehr aushielt, wechselte ich schließlich auf ein weiteres Internat", sagt er. Dort hat er dann auch sein Abitur gemacht.
"Kein falsches Leben führen"
Diese Schullaufbahn lässt einen Rebellen vermuten, der es nie lange an ein und derselben Schule aushalten konnte. Aber auch ein Rebell ist Benedict nicht wirklich. "Wenn, dann rebelliere ich nur gegen dieses Gefängnis, das man um junge Leute herum zu errichten versucht", sagt er. "Man will ihnen einreden, sie müssten auf Sicherheit setzen, man will sie und ihre Träume von früh an ersticken, bis sie eben irgendwann alle Jura und BWL studieren und irgendwo versacken", sagt er: "Ich sehe es bei meinen Freunden und es bricht mir irgendwo schon das Herz, was die meisten von ihnen jetzt machen."
Er selbst wollte seine Träume auf keinen Fall begraben lassen, begann anders als die meisten seiner Mitschüler auch kein Studium, sondern zog gleich nach seinem Abschluss nach Berlin. "Ich wusste einfach, was ich wollte, ich wollte kein falsches Leben führen und mich mit 60 Jahren für meine Feigheit schämen, ich wollte schreiben, sonst nichts", sagt er.
Dass es mit dem Schreiben nicht gleich auf Anhieb geklappt hat, konnte ihn aber trotzdem nicht von seinem großen Traum abbringen - selbst dann nicht, als der anfängliche Enthusiasmus irgendwann nicht mehr über den leeren Geldbeutel und den kaum volleren Magen hinwegtäuschen konnte. "Ich habe zu der Zeit in einem echten Drecksloch mit Toilette ohne Strom und Dusche in der Küche gewohnt", erinnert er sich.
Mit Gelegenheitsjobs hielt er sich über Wasser, bevor er über einen Agenten schließlich zum Diogenes-Verlag kam. Jetzt hat er bereits seinen zweiten Roman abgeschlossen, arbeitet am dritten und reist gerade mit zwei Freunden durch die USA - Recherche für sein neuestes Buch. Und das, obwohl er eigentlich allein schon über seine Schulzeit genug zu erzählen hätte: "Es steckt in diesen 13 Internatsjahren eine Unmenge an Geschichten, Erlebnissen, Charakteren. Es war ein Paradies für einen Schriftsteller", sagt er.
Das Thema Schule hat er in seinem ersten Roman eingebracht. Er handelt von einem gescheiterten Musiker, der an einem Münchner Gymnasium Deutsch und Musik unterrichtet und seine verloren gegangenen Träume plötzlich in einem jungen Schüler wiederfindet. Und auch in seinem zweiten Roman, der nächstes Jahr erscheinen soll, findet man Benedict wieder: "Er handelt von einer verrückten Woche in Berlin."
Mehr sagt er nicht dazu, nur, dass er den Vorschuss dafür in seine Schiffsreise in die USA gesteckt hat - dorthin, wo sein dritter Roman spielen wird, der auf einer wahren Geschichte basieren soll. Darüber hinaus plant Benedict auch noch eine Fantasy-Noir-Reihe "über die düstere und wunderbare Welt der Romanfiguren", auch könnte er sich vorstellen, sich an einen Thriller zu wagen.
Er schreibe viel in Intervallen und immer an mehreren Büchern gleichzeitig, sagt er. "Grundsätzlich schreibe ich schnell und viel, aber meistens muss ich vieles verbessern, ich arbeite mich Stück für Stück nach vorne", sagt er über seine Arbeitsweise, "ich kann nicht von Anfang an was Gutes schreiben, aber ich kann meine Fehler erkennen und verbessern."
Trotz seines momentanen Erfolgs verliert Benedict nicht den Blick für seine Schwächen. Stattdessen übt er sich in Bescheidenheit: "In meiner momentanen Situation empfinde ich nur eines: tiefe Dankbarkeit", sagt er. "Ich habe mir so sehr gewünscht, mal ein Buch zu veröffentlichen, nur ein einziges verdammtes Buch, aber jahrelang sah es so aus, als wolle niemand mein Zeug haben."
Der Text ist erschienen auf der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung. Die Autorin Lisi Wasmer ist 19 Jahre alt. Weitere Texte der Jugendseite finden Sie unter www.sz-jugendseite.de.