Jüdisches Museum:Stolperstein im luftleeren Raum

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Die Kunst der Einfachheit: Nicht der Holocaust steht im Mittelpunkt der Ausstellungen, sondern der jüdische Alltag.

Holger Liebs

54 steile Stufen führen hinauf ins Licht. 54 Stufen in einem vollständig in polierten Sichtbeton gefassten Treppenschacht: ein nackter, puristischer Passagen-Raum, einzig von oben durch ein schmales Band mit Tageshelle geflutet. Diese erhabene, dabei aber vollkommen unaufdringliche Ästhetik edler Leere ist Programm für das Jüdische Museum in München, das an diesem Donnerstag feierlich eröffnet wird.

Das vornehme, an der Fassade mit geschliffenem Travertin verkleidete Schmuckkästlein der Architekten Wandel, Hoefer, Lorch - erst der zweite Neubau in Deutschland seit Kriegsende für ein Jüdisches Museum nach dem metallischen Berliner Gebäudeblitz von Daniel Libeskind - will sich nicht wie sein entfernter Verwandter aus der Hauptstadt als theatralisches Raumerlebnis, als expressionistische Skulptur aufspielen, sondern begreift sich vor allem als dienendes Museumsgehäuse.

Diese Atmosphäre eleganter Zurückhaltung ist auch im großzügig verglasten Foyer spürbar, von dem aus man, im neu eingerichteten Café "Tafel & Schwafel International" oder in Rachel Salamanders "Literaturhandlung", die urbanen Dimensionen des St.-Jakobs-Platzes erst wirklich zu erschließen lernt.

Vor allem aber prägt die Kunst der Reduktion, die dem neuen Museumsbau als Markenzeichen aufsitzt, auch das Ausstellungskonzept des Gründungsdirektors Bernhard Purin. Das wird schon an der Anzahl der Exponate sichtbar. Im Deutschen Historischen Museum in Berlin sind die Säle gefüllt mit rund 8000 Stücken, das Berliner Jüdische Museum beherbergt immerhin noch 4000 Objekte - im vergleichsweise kleinen Münchner Neubau sind es derzeit etwa 150. "Wir wollten keine Exponat-Orgien", so Purin.

Speaking Germany

Es ist dennoch ein erstaunlich dichter, dabei belebender, ja unterhaltsamer Parcours durchs neue Haus entstanden; auch deshalb, weil man auf eine symbolhafte Plakatierung des Grauens verzichtete - wie man es auch vermieden hat, eine rein rückwärtsgewandte Schatzkammer für die Relikte der Leidenszeit einzurichten. Schon im Jahr 1999 hatte ein Kolloquium bindend beschlossen, dass das Jüdische Museum kein Shoah-Museum werden solle.

Purin will demnach, ganz der Nachbarschaft zur Synagoge und der jüdischen Gemeinde verpflichtet, eine lebendige Kultur vermitteln. "Wir wollen keinen Lehrplan zur Shoah abarbeiten, kein Bildungsziel erreichen". Es komme so oder so jedes einzelne Objekt der Ausstellungen schon von sich aus mit dem Holocaust in Berührung.

Purin will die jüdische Kultur in ihrem Alltag darstellen. Dabei setzt er auf jüngere Medien, auch auf die Aura einzelner Erinnerungsobjekte, aber eben nicht auf deren Fülle. Obwohl schon die Wittelsbacher in ihren Wunderkammen Judaica zur Schau stellten, die von zuvor vertrieben Juden hinterlassen worden waren - eine frühe Form der Raubkunst, von der wenige Exponate momentan im ersten Obergeschoss ausgestellt sind -, muss sich das Jüdische Museum heute seine Sammlung erst wieder neu zusammenstellen. Immerhin: Einzelne Judaica, wie ein kostbares süddeutsches Gebetbuch für den Schabbat aus der Zeit um 1790, konnte man selbst erwerben - bei Ebay.

Und so prangen in der Dauerausstellung "Stimmen - Orte - Zeiten" im Kellergeschoss des Museums (Kuratorin: Jutta Fleckenstein) Comic Strips des Amerikaners Jordan B. Gorfinkel an den Wänden. Anders als in den "Maus"-Geschichten Art Spiegelmans überwiegt in Gorfinkels Cartoonserie "Everything's Relative", die er regelmäßig in der New Yorker Jewish Week veröffentlicht, ein heiter-melancholischer Grundton.

Der Holocaust-Überlebende Sejde und sein Enkel Bernie reisen auf Einladung des Jüdischen Museums nach München - und treffen dort auf einen russischen Juden, der freilich eher aussieht wie ein bayerischer Skinhead. Zunächst hatte Sejde sich jedoch gegen die Fahrt gewehrt: "Ich versuch' nicht zu denken an das, was die anderen sollen nicht vergessen."

In der Dauerausstellung kann man auch den Stimmen von displaced persons in München sowie von zugereisten Juden seit 1870 lauschen. So spricht C. Friedrich Bilski, 1914 aus Posen nach München gekommen, noch gutgläubig vom "gutkatholischen bayerischen Volk", das mit dem Wort ,Jude' lediglich Menschen bezeichne, die mühelos zu Geld gekommen seien.

Heute weiß man es besser, aber die jüdische Vergangenheit in dieser Stadt ist immer noch selten sichtbar - Gunter Demnigs ins Trottoir eingearbeitete "Stolpersteine" mit Markierungen früheren jüdischen Lebens, in anderen Städten längst implementiert, fanden in München kein Gefallen.

Doch dafür gibt es jetzt einen interaktiven Stadtplanteppich, auf dem signalfarbene Markierungssockel bewegt werden, damit Fotokästen an der Wand aufleuchten; sie zeigen beispielsweise, wo genau 1949 Juden gegen die Süddeutsche Zeitung demonstrierten, weil diese damals den antisemitischen Leserbrief eines "Adolf Bleibtreu" veröffentlicht hatte. Noch sinnvoller als die begehbare Stadtkarte ist es, dass die Künstler Renata Stih und Frieder Stock, die den Plan entwickelt haben, ihn auch als Faltblatt mit 99 Stationen für Stadtwanderungen im Eins-zu-eins-Maßstab aufbereitet haben.

Im Jahr 1292 wird "Abraham aus Municha" als erster Jude in München registriert. 1910 leben gut 11000 Juden vor Ort. 1938 lässt Hitler, noch vor den Novemberpogromen, die liberale Münchner Hauptsynagoge schleifen. Das Jüdische Museum im Ensemble am St.-Jakobs-Platz ist ein Anfang. Es führt mit seinen Ausstellungen selbstbewusst und beispielhaft die Problematik solcher Museen vor, die ihre Exponate aus aller Welt zusammensuchen müssen, dabei immer den Verdacht im Nacken spüren, dass man es mit Raubkunst zu tun habe, und die oft auf großzügige Leihgaben und Stiftungen angewiesen sind.

Ein Anfang im luftleeren Raum: das ist auch die Aktion "Speaking Germany" der Künstlerin Sharone Lifschitz, die 2005 als "junge, jüdische Frau" per Anzeige in Erscheinung trat, die in Deutschland Gespräche "über nichts Besonderes" führen wolle. Lifschitz' Protokolle ihrer Dialoge prangen nun an den Museumsfassaden und werden bald schon überall in München sowie im Netz nachzulesen sein. Man müsse in der Ausstellung auch lachen dürfen, so Purin. Wie Lifschitz zeigt, lacht es sich wesentlich leichter, wenn man ohnehin schon miteinander spricht.

Info: www.juedisches-museum-muenchen.de; www.speaking-germany.de. Museumskatalog bei Prestel 12,95 Euro.

© SZ vom 22. März 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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