Selten kommt in München so viel Prominenz zusammen wie am Mittwochabend im Saal X, einem Nebengebäude am Isar-Gasteig HP8. Wohl mit Genugtuung würde Ministerpräsident Markus Söder die vielen schwarzen Karossen bayerischer Automobilhersteller betrachten, die vor den Gebäuden parken. Bayern ist eben nicht nur Lederhose, was sich sehr deutlich zeigt beim diesjährigen Festakt zu den 37. Jüdischen Kulturtagen München. Er ist so hochkarätig besucht wie selten zuvor. Statt Markus Söder kommt an diesem Abend allerdings dessen Ehefrau Karin Baumüller-Söder nach München. Sie wird als "erfolgreiche Unternehmerin" und "turniererfahrene Springreiterin" von Moderatorin Uschi Dämmrich von Luttitz herzlich begrüßt.
250 Gäste fasst der dicht besetzte Saal. Auf die Schnelle sei leider kein größerer zu finden gewesen, hört man von den Organisatoren. Noch sehr viel mehr Menschen wären gern gekommen - als Zeichen der Solidarität mit dem Staat Israel, aber sicher auch um diese Möglichkeit der Begegnung wahrzunehmen. Das Hallo zu Beginn der Veranstaltung will nicht enden. Es wird sich in den Arm genommen, Küsse fliegen auf die Wangen, Hände finden zueinander. An das lästige, doch immer noch präsente Corona-Virus scheint kaum jemand zu denken. Wer in den vorderen Reihen sitzt, wird gnadenlos fotografiert. Es blitzt und blinkt auch der eine oder andere Edelstein an Ohr und Finger. Wie so oft in München sieht man Jeans- und Pulliträgerinnen neben Damen in wallenden Kleidern. Die Schauspielerinnen Katerina Jacob und Monika Peitsch sind gekommen, Unternehmer wie Biovisionär Georg Schweisfurth, Ursula Schelle-Müller (Motel One) und Marianne Wille (Dallmayr) sowie Herzog Franz von Bayern mit Mann, Gloria von Thurn und Taxis mit Sohn.
Auch die Münchner Stadtpolitik ist gut vertreten mit den Referenten Clemens Baumgärtner (Wirtschaft) und Anton Biebl (Kultur), durch Stadträtin Mona Fuchs und den frisch gewählten Zweiten Bürgermeister Dominik Krause. Als Chef des Rathauses und Schirmherr ist auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zugegen. Mit spitzbübischem Augenbrauenlupfen geht er anfangs durch die Reihen. In seiner Rede spricht er dann aus, was diesen Abend maßgeblich prägt, er spricht vom 7. Oktober, vom grausamen Morden der Hamas. Mehr als 160 antisemitisch motivierte Straftaten seien in Bayern seitdem registriert worden. Es tue im leid, dass er keine gewohnt fröhliche Ansprache halten könne. Und dann verkündet Reiter die gute Nachricht aus dem Stadtrat, der just am Vormittag eine Million Euro für Münchens Partnerstadt Be'er Sheva beschlossen hatte - zum Aufbau eines Krankenhauses.
Die Solidarität wird an diesem Abend vielfach beschworen. Einen Appell an die Kulturschaffenden, diese mehr zu zeigen, schickt etwa der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) in seinem Grußwort und lobt die besondere Bedeutung der Jüdischen Kulturtage für München gerade in diesen Tagen: "Sie sind zum einen Ausdruck der Vielfalt jüdischer Kultur. Zugleich setzen wir gemeinsam ein klares Zeichen gegen Antisemitismus." Die kollektive Traumatisierung gehe tief, sagt Judith Epstein, Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition, die die Kulturtage ausrichtet (noch bis 11. Dezember).
Das Schweigen vieler Kulturschaffender findet sie "bestürzend". "Auf dem Fundament der Kultur muss die Gesellschaft zusammenfinden." Auch die Generalkonsulin Israels, Talya Lador-Fresher, empört sich über "die laute Stille" aus der Kulturszene und lobt das Motto der Veranstaltung: "Die Sprache der Kultur verbindet". Als wichtiges "Signal der Zugehörigkeit" empfindet Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, dass die Kulturtage trotz des Kriegs nicht abgesagt wurden. Wie wohltuend Musik wirken kann, beweist das Klavierspiel der erst zehnjährigen Zwillinge Franziska und Melanie Überreiter und das Konzert des aus Israel angereisten Vokalensembles Mafteach Soul. Singen sei der beste Weg, sich besser zu fühlen, sagt ihr Sprecher. Und die Gäste stimmen zu Leonards Cohens Hymne "Hallelujah" mit ein.