Jüdische Filmtage in München:Die Tränen des Nazi-Jägers

Jüdische Filmtage in München: Efraim Zuroff will Recht, nicht Rache. Er wurde zum Nazi-Jäger, weil er etwas für die Überlebenden der Schoah tun wollte.

Efraim Zuroff will Recht, nicht Rache. Er wurde zum Nazi-Jäger, weil er etwas für die Überlebenden der Schoah tun wollte.

(Foto: Robert Haas)
  • Efraim Zuroff ist Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem - und Nazi-Jäger.
  • Für die "Jüdischen Filmtage" ist Zuroff nach München gekommen, auch um über Erfolg und Scheitern seiner Arbeit zu reden. Ihm ging es speziell um den Film "The Last Nazi Hunter" bei Youtube
  • Außerdem laufen an diesem Donnerstag, 30. April, im Gasteig der polnische, Oscar-prämierte Spielfilm "Ida" (18 Uhr), danach der Dokumentarfilm "Schnee von gestern" (20 Uhr).

Von Eva-Elisabeth Fischer

"Ich bin wahrscheinlich der einzige Jude, der Naziverbrechern ein langes Leben wünscht." Der lebhafte Mann mit der gehäkelten Kippa auf dem Kopf, der das sagt, hat offenbar ein heiteres Gemüt. Oh ja, Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem, platziert seine Bonmots geschickt. Er ist in steter Bewegung, was einen angesichts seiner gemütlichen Statur ein wenig überrascht. In seiner Jugend wollte er als erster religiöser Jude Mitglied der NBA, der National Basketball Association, werden. Später, als promovierter Historiker, wandte er sich, wenn man so will, einer seltenen Ausdauersportart zu. Er wurde Nazi-Jäger.

Zuroff verdoppelt jedes Wort mit großen Gesten - er redet mit den Händen, hier in diesem fürs Mittagessen eingedeckten Restaurant eines Holiday Inn am Rosenheimer Berg. Dass er da nichts isst, versteht sich, denn er lebt koscher. Warum er in München ist? - Nein, keineswegs, um mit seinen Historiker-Kollegen vom Zentrum für Holocaust-Forschung des Instituts für Zeitgeschichte die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums zu besuchen. Von dieser neuen, in seinen Augen höchst löblichen Einrichtung hört er in unserem Gespräch zum ersten Mal. Deshalb weiß er auch nicht, dass einer seiner Kampagnen-Slogans eigentlich für das NS-Doku-Zentrum geprägt worden ist: "Es ist spät, aber nie zu spät."

Zuroff ist auch nicht für die Gedenkfeierlichkeiten 70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager Flossenbürg und Dachau angereist. Er ist einzig und allein in München, um im Kulturzentrum am Gasteig die Aufführung von Nitza Gorens Bio-Pic "The Last Nazi Hunter" bei den 5. Jüdischen Filmtagen durch seine Anwesenheit zu beehren. Und die Gelegenheit zu nutzen, über seine Arbeit zu sprechen.

Man muss niemanden umgebracht haben, "um als Mörder verurteilt zu werden"

In seinem zweiten Buch "Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des ,Nazi-Jägers'" (Prospero Verlag, 19 Euro) hat er aufgeschrieben, wie sich der Endspurt seines Strebens, Naziverbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen, gestaltet. In Deutschland, wo, international gesehen, nach wie vor die meisten NS-Verbrecher vor Gericht gestellt werden wie just der SS-Buchhalter Oskar Göring von Auschwitz, profitiert er von der neuen rechtsverbindlichen, erstmals beim Prozess gegen John Demjanjuk angewandten Rechtsauffassung. Demnach muss einer selbst niemanden umgebracht haben, "um als Mörder verurteilt zu werden", so Zuroffs Paraphrase.

Anlässlich der "Operation Last Chance", Wachpersonal in den Todeslagern und Mitglieder der Einsatztruppen in Osteuropa ausfindig zu machen, initiierte er im Sommer 2013 eine Plakataktion an Bushaltestellen in Berlin, Hamburg und Köln, bei der Hinweise auf 110 Verdächtige bei ihm eingingen. Dass in Berlin die Mitglieder der nahegelegenen Österreichischen Botschaft täglich an einem der 2000 Plakate vorbei mussten, erfüllt ihn mit Schadenfreude.

Denn mit den Österreichern als Naziverbrecher-Prozess-Verhinderer hatte er 2005 seine übelsten Erfahrungen gemacht nach der Entdeckung von Erna Wallisch, einer sadistischen Aufseherin in Ravensbrück und Majdanek, wo sie Kinder ins Gas geführt hatte. Der Pressesprecher der amtierenden Justizministerin Karin Gastinger, Christoph Pöchinger, beschied dem Nazi-Jäger, dass für einen "direkten Mord" nicht genügend Beweise vorlägen. Wallischs "entfernte Mitschuld" war bereits verjährt. Zuroff fand drei Jahre später in Polen, wo derlei Straftaten nicht verjähren, Zeugen, die vor Gericht gegen Wallisch auszusagen bereit waren. Kurz vor der Verhandlung starb sie. "Da habe ich vor Wut geschrien", sagt Zuroff.

Zuroff gehört nicht zu den Betroffenen der Schoah

Zuroff reagiert überraschend emotional. Anders als Simon Wiesenthal (1908 - 2005), der kurz nach seiner Befreiung in Mauthausen zunächst im Auftrag der Amerikaner Jagd auf Naziverbrecher machte, ist er selbst kein Kind von Überlebenden. Dass er selbst nicht zu den Betroffenen gehört, empfindet er als Vorteil für seine Arbeit: "Man braucht eine innere Distanz, um das machen zu können. Sonst zerbricht man daran", sagt der als Sohn eines Rabbiners, 1948 in der zweiten Generation in Amerika geborene.

1970 ging Zuroff nach Israel und ließ sich mit Frau und zwei Kindern in einer bereits vor 1948 als zionistische Keimzelle gegründeten Siedlung zwölf Kilometer von seinem Arbeitsplatz in Jerusalem nieder. Wie andere Amerikaner auch hatte er den Sieg der Israelis im Sechs-Tage-Krieg als Zäsur im Selbstverständnis erfahren: "Wir begriffen das Judesein erstmals nicht mehr allein als Religion, sondern als nationale Zugehörigkeit". 1978 wurde er Direktor des Simon Wiesenthal Zentrums in Los Angeles, im Sommer des Jahres 2002 initiierte er, zurück in Israel, die "Operation: Last Chance", welche finanzielle Belohnungen für Informationen aussetzt, die zur Verurteilung und Bestrafung von Nazi-Kriegsverbrechern führen.

Weinkrampf nach einem Freispruch

Wie frustrierend seine Arbeit meist ist, kann man in Gorens Film "The Last Nazi Hunter" nachvollziehen am Fall des ungarischen Offiziers Sándor Képiró, einem der Hauptbeteiligten am Massaker an 3300 Juden, Serben und Zigeunern in Novi Sad am Badeufer der Donau am 23. Januar 1942. Als Képiró 2011 wegen Mangels an Beweisen in einem abermaligen Prozess freigesprochen wird, bekommt Zuroff einen Weinkrampf.

Über sein Scheitern sagt er: "Es ist immer noch weit weniger schlimm als alles, was die Opfer durchgemacht haben." Die Schuld derer, die dieses Leid verursacht haben, werde mit zunehmendem Alter der Täter nicht geringer. Die letzten stehen vor Gericht mit mehr als 90 Jahren. Zuroff wird die Arbeit nicht ausgeben, wenn die Letzten gestorben sind. Jüngst war er auf vier Demonstrationen gegen Neonazis im Baltikum und auch in der Ukraine. Nicht nur dort werde der NS-Völkermord unzulässig gleichgesetzt mit kommunistischen Morden; Mörder von einst würden als antikommunistische Helden gefeiert. Ein Zerrbild des Holocaust. Da kann man schon wütend werden.

"Jüdische Filmtage" noch am 30. April im Gasteig: der polnische, Oscar-prämierte Spielfilm "Ida", danach der Dokumentarfilm "Schnee von gestern", 20 Uhr. Der Film "The Last Nazi Hunter" bei Youtube

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