Spezialeinsatzkräfte der bayerischen Polizei haben am Dienstag in den frühen Morgenstunden sechs Wohnungen in München durchsucht. Mit der Razzia wollen das Landeskriminalamt (LKA) und die Münchner Generalstaatsanwaltschaft gegen judenfeindliche Hasskriminalität vorgehen. Gleichzeitig drangen Polizisten – darunter Spezialeinheiten – in die Wohnungen von 13 weiteren Beschuldigten im übrigen Freistaat ein, um Beweismaterial sicherzustellen, unter ihnen ein Mann und eine Frau aus dem Landkreis Erding und aus der Kreisstadt Ebersberg. Die Ermittlungen richten sich laut LKA gegen insgesamt 19 Beschuldigte, sechs Frauen und 13 Männer im Alter zwischen 16 und 66 Jahren.
Im Mittelpunkt des zweiten „Aktionstags gegen antisemitische Straftaten“ drei Tage nach dem Gedenken an das Novemberpogrom von 1938 standen diesmal unter anderem Verfahren mit Bezug zum Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres. Deutschlandweit koordinierte das Bundeskriminalamt diesmal die Durchsuchungsaktion. Mehr als 60 Einsatzkräfte allein in München vernahmen die Beschuldigten und beschlagnahmten Mobiltelefone und einen Laptop.
„Jüdische Bürgerinnen und Bürger erleben Anfeindungen, wie wir sie vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehalten haben“, sagte der Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle am Dienstag. Das hat einschneidende Folgen im Alltag: Jüdische Münchnerinnen und Münchner lassen sich die Zeitung des Zentralverbands nur noch in neutralem Umschlag zustellen, um nicht identifizierbar zu sein. Manche verzichten darauf, ihr Judentum öffentlich zu zeigen. Die liberale jüdische Gemeinde in München stellt aus Sicherheitsgründen ihren Chanukka-Leuchter nicht ins Fenster ihrer Räume, wie es eigentlich Tradition wäre. Synagogen und andere jüdische und israelische Einrichtungen müssen von der Polizei auf höchster Sicherheitsstufe geschützt werden. Eltern melden ihre Kinder vom Training in einem jüdischen Fußballverein ab – aus Angst vor Übergriffen und Anschlägen.
Der „Aktionstag gegen antisemitische Straftaten“, der im Jahr 2023 vom Antisemitismusbeauftragten der bayerischen Justiz, Oberstaatsanwalt Andreas Franck, maßgeblich vorbereitet und durchgeführt worden sei, soll laut Röttle zeigen, dass der Rechtsstaat judenfeindliche Straftaten mit Nachdruck verfolge. Franck war am Einsatz am Dienstagmorgen selbst beteiligt. Bei den Verfahren aus dem vergangenen Jahr kam es nach Angaben des Generalstaatsanwalts „weit überwiegend zu Verurteilungen der Täter zu empfindlichen Geldstrafen“.
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Judenfeindliche Parolen waren – trotz gegenteiliger Beteuerungen – auch immer wieder aus dem Umfeld des inzwischen aufgelösten propalästinensischen Camps vor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und bei von dort ausgehenden Demonstrationen zu lesen und zu hören. Im Oktober nahm die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Billigung von Straftaten auf, nachdem die Münchner Gruppierung „Palästina spricht“ auf Instagram den Terrorüberfall der Hamas mit den Worten rechtfertigte: „Vor einem Jahr hat Gaza seine Ketten gesprengt.“
Eine Aktivistin der Gruppierung likt in den sozialen Netzwerken islamistische Accounts. Sie teilte nach Recherchen der Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus (Firm) aber auch schon mal anti-israelische Sticker der Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“. Judenhass als gemeinsamer Anknüpfungspunkt der unterschiedlichen extremistischen Szenen.
Das hat auch die Razzia vom Dienstagmorgen gezeigt. Drei der Beschuldigten im Bereich des Polizeipräsidiums München werden dem rechten Spektrum zugerechnet, drei Tatverdächtige stellten Bezüge zum Nahostkonflikt her. Die Beschuldigten – in München sind es zwei Frauen und vier Männer – sollen in sozialen Netzwerken gegen Juden gehetzt haben. Die Tatvorwürfe reichen von Volksverhetzung über Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen bis hin zu Beleidigungen von Politikern.
So feierte ein 33 Jahre alter Mann aus dem Hasenbergl nach LKA-Angaben auf einer Social-Media-Plattform die Terrororganisation Hamas. Ein 23-Jähriger aus Untergiesing verband seinen Judenhass mit Vernichtungsfantasien gegen Homo- und Transsexuelle; er postete auf der Seite der TV-Show „Germany’s Next Topmodel“, diese Menschen sollten „ab nach Auschwitz“. Ein 22-Jähriger aus dem Stadtteil Neuperlach verspottete in widerwärtiger Weise die in einem Konzentrationslager ermordete Jüdin Anne Frank. Bei ihm mussten die Einsatzkräfte die Wohnungstür gewaltsam öffnen.
Weitere Beschuldigte leben in den Stadtteilen Harlaching, Am Hart und Untergiesing. Der älteste von ihnen ist 59 Jahre alt. Zwei der Tatverdächtigen kommen aus muslimischen Ländern.
„Immer häufiger werden Worte zu Taten“
Norbert Radmacher, der Präsident des Bayerischen Landeskriminalamtes, verwies am Morgen in einer Stellungnahme auf die dramatische Zunahme judenfeindlicher Straftaten nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober vergangenen Jahres. In den ersten neun Monaten 2024 wurden bayernweit bereits 370 antisemitische Straftaten gemeldet – hundert mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Bayern hat nach der Terrorattacke binnen sechs Monaten insgesamt 527 Fälle von israelbezogenem Judenhass registriert. In München hatte die Polizei vergangenes Jahr 164 judenfeindliche Hassdelikte verfolgt. 83 dieser Taten gingen auf das Konto von Rechtsextremisten, 60 wurden von mutmaßlich islamistischen oder propalästinensischen Tätern begangen.
So zeigte Anfang Oktober ein 23 Jahre alter Münchner vor der Synagoge auf dem Jakobsplatz mehrmals den Nazi-Gruß. Ebenfalls im Oktober wurde am U-Bahnhof Marienplatz ein 19-Jähriger judenfeindlich angepöbelt und bespuckt. Im Juli wurde in der Schillerstraße ein Mann, der eine Kippa trug, angegriffen, beleidigt und verletzt.
„Immer häufiger werden Worte zu Taten“, so LKA-Präsident Rademacher. Am 5. September feuerte ein mutmaßlicher Islamist in München mehrere Schüsse auf das NS-Dokumentationszentrum und auf das israelische Generalkonsulat ab. Nur weil beide Einrichtungen zu diesem Zeitpunkt noch geschlossen waren, waren keine Opfer zu beklagen.