"Jud Süß - Film ohne Gewissen":Bösartigster Propagandafilm

Hätte er sich selber von Goebbels zu einer Rolle überreden lassen?, will eine Reporterin wissen. Bleibtreu runzelt die Stirn, man merkt ihm an, dass er genervt ist. "Das sind doch hypothetische Fragen, die kann keiner beantworten", sagt er.

Zurück zum Film also, in dem Goebbels Marian überredet, die Hauptrolle im wohl bösartigsten antisemitischen Propagandafilm zu spielen. Der Film bündelt alle Klischees, die den Juden seit Jahrhunderten angehaftet werden - mit Marian in der Rolle des Jud Süß als Prototyp des historischen Hofjuden. In Oskar Roehlers Film wird der Schauspieler schlussendlich an einer Frage zerbrechen: Inwiefern trägt er mit Schuld am Holocaust?

Diese Frage beschäftigte auch die Gerichte im Nachkriegsdeutschland: Als einziger Künstler war der Regisseur Veit Harlan unter anderem wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden. In einem der Verfahren benannte ein ehemaliger Häftling des KZ Sachsenhausen die SS-Scharführer, die jüdische Insassen nach der Filmvorstellung verprügelt und einen bissigen Hund auf sie gehetzt hatten. Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten indes konnte Harlan nie nachgewiesen werden.

Das deutsche Kino wagt sich also mit dem Film Jud Süß - Film ohne Gewissen an die Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels seiner Vergangenheit. Es ist ein Film, keine Dokumentation. Oskar Roehler schafft eine komplexe Mischung aus Fiktion und vermeintlichen Originalaufnahmen. Denn die Schwarzweißaufzeichnungen, die Roehler aus Jud Süß zeigt, sind nachgedreht, wobei sich der Regisseur hier strikt an das historische Vorbild gehalten hat. Kostüme, Gestik und Mimik der Schauspieler - alles passt. Vermutlich wären etwaige Abweichungen dem Publikum gar nicht aufgefallen. Die wenigsten hier im Saal dürften das Original kennen.

Umso mehr Freiheiten nimmt sich Roehler aber beim Porträt der Person Marians. Eine Fiktion ist geradezu essentiell für das Drehbuch: Marians Frau Anna, mit großer Tiefe gespielt von Martina Gedeck, ist im Film eine Vierteljüdin, in Wirklichkeit war sie Katholikin. "Es war evident nötig, die Figur in dem Drehbuch zu verändern, um das Verhalten der Frau dem Zuschauer zu erklären", sagt Roehler und presst die Lippen aufeinander. Den Vorwurf der Geschichtsfälschung lässt er sich nicht gefallen. Er habe keine Fakten manipuliert. Was er gemacht habe, verstehe er unter "künstlerische Freiheit".

Eine Szene hat dem Regisseur besonders heftige Kritik eingebracht: Gudrun Landgrebe taucht als Gattin eines KZ-Aufsehers auf. Während eines Bombenangriffs auf Berlin zwingt sie Marian, den Text der Vergewaltigungsszene aus Jud Süß zu rezitieren, findet dies und das Knallen der Bomben im Hintergrund furchtbar erregend und lässt sich anschließend von Marian von hinten am offenen Fenster nehmen.

"Der Jude als Projektionsfläche für sexuelle Obsession" - so beschreibt Regisseur Oskar Roehler die Szene und verrät auch, dass sie gar nicht von ihm stammt. Sondern von Drehbuchautor Klaus Richter, der wiederum sagt, die Szene hätte er von Anfang an eingeplant gehabt, "um die Sexualpathologie des Nationalsozialismus auf den Punkt zu bringen".

In München reagiert das Publikum gelassen: Die Szene hätte vielmehr etwas von einem "Budenzauber" gehabt, sagt eine ältere Dame, derart surreal und überzeichnet habe das Geschehen gewirkt. Den Saal verlässt hier keiner.

Für das Filmteam gibt es Applaus. Zweimal sogar.

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